Malte Kerber

Zschopautal ... da geht's der Heimat zu!


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Grenzen des Erzgebirges und des Sachsenlandes hinaus wird es gesungen. Der Dichter beschreibt darin einfühlsam, wie die Leute nach dem vollbrachten „Togwerk“ oder „Tochwarch“ heimwärts ziehen. Die Abendstimmung über Berg und Tal, über Wald und Feld lässt sie des Tages Mühen vergessen. Aber er meinte wohl auch:

       Alles findet sein Ende,

       und ein jeder kommt einmal nach Hause.

      Und das haben wir bei unserer Lebensfahrt und während unseres gemeinsamen Wanderns immer eindringlicher erfahren: Ja, es geht alles seiner Heimat zu. Vor allem im Älterwerden.

      Im Jahr 2011 bereiteten wir uns ein großes und unvergessliches Wandererlebnis. „Auf Schusters Rappen“ zogen wir über den Fernwanderweg „Romantische Straße“ von den Ufern des Mains bis zum Alpenrand. Von Würzburg bis nach Füssen wanderten wir „im Stück“ 560 Kilometer, mit den Rucksäcken „am Mann“ bzw. „an der Frau“. Eine gute Leistung für unsere zu diesem Zeitpunkt gemeinsamen 146 Lebensjahre! Da wird wohl auch der erfahrene Wanderer zustimmen.

      Als wir wieder zu Hause angekommen waren, lag eine wunderbare Zeit hinter uns. Schwer nur fanden wir in den Alltag zurück. Deshalb entschlossen wir uns nach einigen Wochen, dass wir 2011 noch einmal losziehen würden. Nach dem langen „Kanten“ über die „Romantische Straße“ sollte das Wanderjahr mit einer kleineren Tour ausklingen. In den Herbst hinein wollten wir wandern. In den Herbst hinein in zweifacher Hinsicht: einmal was diese Jahreszeit, ihren Reiz und ihre Besonderheiten anbetrifft. Zum zweiten hofften wir auf einen neuen schönen kleinen Abschnitt des gemeinsamen Weges in unseren Lebensherbst hinein.

      Die Wanderung sollte uns wieder einmal in das Erzgebirge führen. Als Wegbegleiter entschieden wir uns für die Zschopau. Für den Fluss, der unterhalb des Fichtelberggipfels entspringt und der nach etwa 140 Kilometern in die Freiberger Mulde mündet. Doch wir wollten die Zschopau in ihrem Lauf nicht von der Quelle bis zur Mündung begleiten, so wie es meist üblich ist. In die entgegengesetzte Richtung wollten wir wandern. Von Döbeln bis zum Fichtelberg sollte die Tour gehen.

      Wir lieben es, dem Gebirge und den Bergen entgegenzuziehen. Und da war es nicht nur die Quelle, aus der die Zschopau entspringt, welche uns lockte. Wir wollten vor allem zum Fichtelberg wandern. Zu ihm hinauf, um den Wolken ein Stück näher zu sein. Erreicht er auch keine alpinen Höhen, so ist er mit seiner Gipfelhöhe von 1215 Metern der höchste Berg des Erzgebirges und damit der höchste Berg im Osten unseres Landes. Nicht der alte Brocken im Harz, wie viele annehmen. Der Inselsberg im Thüringer Wald kann sich ebenfalls nicht mit dieser stolzen Höhenmarke schmücken. Doch auch diese haben ihre Besonderheiten. Die Erfahrung der Bergsteiger und Wanderer bestätigt immer wieder:

       Jeder Berg hat das Seine.

      Man muss es nur entdecken. Man sollte den Berg erleben, ihn begreifen. Am besten, indem man sich ihm aus der Ferne nähert und ihn ruhig besteigt. Übrigens sind für uns ältere Wanderer Rekordmarken nicht wichtig. Selbstverständlich freuen wir uns nach jeder Tour über bezwungene Wanderkilometer sowie über bergauf und bergab gestiegene Höhenmeter.

      Wer das Unverwechselbare eines Berges mit eigener Kraft und mit seinen eigenen Sinnen erfahren kann, dem ist am Ziel seiner Sehnsucht gleichgültig, ob er auf dem Gipfel einige Meter höher steht oder eben nicht. Eine schöne Metapher auch für die Lebenswanderung, auf der sich jeder von uns befindet.

      Das Besondere des Fichtelbergs sowie seiner Tochter, der Zschopau, die er an seinem Osthang zu ihrem Lauf ins Leben entlässt, beides wollten wir erkunden. Deshalb also sollte uns der Weg an der Zschopau entlang führen. Flussaufwärts - dem Berg entgegen.

       Vorausgedanken in Döbeln

      September ist es geworden! Der 9. September ist heute. Schnell vergingen der Frühling und der Sommer! Der Herbst beginnt! Abwandern! Abschied nehmen vom Wanderjahr 2011, in dem wir uns das große Erlebnis „Romantische Straße“ erwanderten. Nun noch einmal „Hinaus in Wald und Flur!“ Für das Zschopautal entschieden wir uns also. Die etwa 140 Kilometer, die der Fluss von seiner Quelle bis zu seiner Mündung läuft, die wollen wir ihm „entgegenlaufen“. Also flussaufwärts wandern.

      Starten werden wir morgen an der Freiberger Mulde bei Technitz. Dort, wo die Zschopau ihren eigenen Lauf beendet. Das Ziel unserer Wanderung ist der Fichtelberg, an dessen Nordhang das schöne Flussmädchen ihr Quellgebiet hat. Im Vergleich zu unseren sonstigen Wanderunternehmungen handelt es sich um eine kleine Tour – was ihre Zeitdauer und die Kilometerzahl anbetrifft. Doch die Vorbereitung gestaltete sich auch diesmal recht aufwändig.

      Ich hatte die Absicht, es uns nach Möglichkeit recht bequem werden zu lassen. So wollte ich die Etappen „freundlich“ gestalten. Länger als 22/23 Kilometer sollten sie nicht werden. Doch das erwies sich bei der Vorbereitung im Hinblick auf die Unterkünfte zum Teil als schwierig. Vor allem wollte ich garantiert wissen, dass wir an jedem Tagesende ein gebuchtes Quartier unserer Wahl ansteuern konnten. Unsere Vorstellung: angemessener Komfort und freundliche Zimmerpreise, die unserem Geldbeutel entsprechen.

      Meine Erfahrung bei der Suche im Internet: Auch im Erzgebirge haben die Hotels und Pensionen mit einigermaßen versprochener Qualität ihren „guten“ Preis. Wir werden bald sehen, ob und wie mir die Planung und Organisation unserer Zschopauwanderung mit den genannten Prämissen gelungen ist. Was das erste Quartier hier im „Döbelner Hof“ anbetrifft, können wir die Frage positiv beantworten. Ein feines und vor allem ruhiges Zimmer konnten wir am späten Nachmittag beziehen.

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      In Berlin heute Vormittag dicker und ungemütlicher Regen. Schon auf dem Weg von der Heidelberger Straße im heimatlichen Alt-Treptow zum nahe gelegenen S-Bahnhof wurden wir nass bis aufs Hemd. Wir stellten fest: Unsere alten Wanderanoraks sind hinüber. Beide brauchen wir noch für diese Tour neue Wind-/Regenjacken. Alle Sparsamkeit in Ehren!

      Militärisch pünktlich standen wir auf der untersten Ebene des Berliner Hauptbahnhofs, um im Zug Hamburg – Berlin – München – Innsbruck unsere Bahncard-geschützten Plätze einzunehmen. Übrigens: Mit diesen vier Städten haben wir auch bereits Wanderbekanntschaften geschlossen. Am intensivsten selbstverständlich mit Berlin! Viele Kilometer sind wir in unserer Heimatstadt schon auf Entdeckungstouren unterwegs gewesen. Sowohl zu Fuß als auch auf den Fahrrädern. Und die Radwanderung „Rund um Berlin“ ist uns in guter Erinnerung geblieben! 550 Kilometer strampelten wir da in einer guten Woche.

      Im Zug während der Fahrt nach Leipzig ein interessantes Gespräch mit einem Sachsen, der in der Nähe der Messestadt zu Hause sei, wie er mir erzählte. Er arbeite als Techniker auf der Baustelle der Elbphilharmonie in Hamburg. Auch so ein Projekt, bei dem die Kosten im Vergleich zur Planung aus dem Ruder laufen würden. Und mit den Terminen läge man schon über zwei Jahre im Rückstand, beurteilte er den Stand der Arbeiten. Er lächelte dabei ein wenig. Warum wohl?

      In Leipzig mussten wir umsteigen. Immer, wenn ich die weite Halle dieses eindrucksvollen Kopfbahnhofs betrete, erinnere ich mich an meine Leipziger Studentenjahre und an meine Aspirantenzeit an der „Kalle“-Marx-Universität. So auch diesmal. Mit ein wenig Wehmut, wie ich mir gestehen muss. Da spielt vor allem der Gedanke eine Rolle, wie schnell die Lebensjahre seit damals doch vergangen sind.

      Mit der kleinen Regionalbahn juckelten wir nach Döbeln. Die Industrievororte von Leipzig, die wir durchfuhren, deprimierend in ihrer Verlassenheit. Die Landschaft wurde waldiger und hügeliger. Die Freiberger Mulde meldete sich nach kurzer Zeit durch das Abteilfenster bei uns an. Bald war unser Ziel erreicht. Der Döbelner „Hauptbahnhof“ – ein Bahnhof von der verlassenen Sorte, wie sie heute vielerorts üblich sind und immer mehr werden.

      Döbeln trägt wie manch andere Stadt den Beinamen „Goldene Stadt“. Nach einer kurzen Busfahrt ins Zentrum stellten wir fest, dass es sich trotzdem nicht um ein vordergründig schillerndes Exemplar seiner Art handelt. Zwischen den auslaufenden Hängen des Erzgebirges gelegen, das Zentrum von zwei Armen der Mulde umfasst, wirkt die Stadt insgesamt sehr seriös, solide und irgendwie arbeitsam. Letzteres mag an einigen schönen Beispielen der Industriearchitektur aus der Gründerzeit liegen.