Horst Bosetzky

Das Attentat auf die Berliner U-Bahn


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der ihn auch in Serie bauen konnte. Er fand ihn schließlich in dem 1814 in Hamburg geborenen Feinmechaniker und Universitätsmechanikus Johann Georg Halske, der in Berlin mit einem anderen Mechaniker eine kleine Werkstatt betrieb und für Siemens schon verschiedene Reparaturen ausgeführt hatte.

      »Sehen Sie mal, Meister Halske, was ich hier für Sie habe.« Siemens breitete seine Zeichnungen vom neuen Zeigertelegraphen auf einer Werkbank aus. Als er mit seinen Erklärungen fertig war, sah er gespannt zu Halske hinüber.

      Der schüttelte den Kopf. »Det soll loofen, Herr Leutnant? Nee, det looft nie im Leben nich.«

      Verstimmt ging Siemens nach Hause, verfiel aber nicht in Depressionen, sondern machte sich daran, aus Zigarrenkistenbrettern, Blech, Eisen und Kupferdraht selber ein Modell seines Zeigertelegraphen zu basteln. Es war primitiv, aber es funktionierte, und Johann Georg Halske war nun vollauf begeistert.

      »Wissen Se wat, Herr Leutnant? Ick haue hier ab, und wir machen zusammen ’n telegraphischen Laden uff!«

      »Ja, schon, aber …« Noch scheute Siemens davor zurück, Abschied vom Militär zu nehmen, denn er hatte weiterhin für seine Geschwister zu sorgen – und er wollte irgendwann auch heiraten, seine Cousine Mathilde Drumann. So nahm er das herrliche Modell seines Zeigertelegraphen, das Halske alsbald gebaut hatte, und ging damit in die Bendler Straße, wo der Große Generalstab eine Kommission gebildet hatte, deren Aufgabe darin bestand, die Fortschritte auf dem Gebiet der Telegraphie zu verfolgen und die Einführung der elektrischen anstelle der optischen Telegraphie vorzubereiten.

      Chef dieser Kommission war General Etzel. Der war anfangs etwas ungehalten, als Werner Siemens zu längeren Ausführungen ansetzte, brach aber bald in Lobeshymnen aus. »Hervorragend, lieber Siemens! Einfach hervorragend! Damit wäre mit einem Schlag das Problem der elektrischen Telegraphie gelöst.«

      Siemens winkte ab. »Bis auf die Isolierung bei unterirdischen Leitungen. Die Bodenfeuchtigkeit dringt beim Kautschuk durch die Nähte, und nehmen wir Glasröhren, bekommen wir die Verbindungsstellen zwischen ihnen nicht hermetisch abgedichtet. Ich möchte also vorschlagen, es zunächst einmal mit Leitungen über der Erde zu versuchen.«

      Der General lachte. »Erlauben Sie mal! Wir werden unsere kostbaren Kupferdrähte landaus, landein in der freien Luft aufhängen, dass jeder, der gerade knapp bei Kasse ist, sich ein Stück davon klauen kann!«

      »Ich bitte Sie, Herr General, doch nicht bei uns in Preußen!«

      Trotzdem machte sich Siemens mit Feuereifer daran, das Problem der Isolierung von Erdkabeln zu lösen. Zu Hilfe kam ihm dabei sein Bruder Carl. Der schickte ihm aus London die Probe einer Substanz, die aus Sumatra stammte und Guttapercha genannt wurde. Sie sollte dieselben Eigenschaften wie Kautschuk haben, nur dass sie sich kneten ließ, wenn man sie erwärmte. Siemens nahm sich einen Kupferdraht und umgab ihn mit einem Mantel aus Guttapercha. Es war die vollkommene Isolierung, und die Kommission zeigte sich sehr angetan davon. Siemens entwarf eine Presse, mit der sich Drähte fabrikmäßig mit Guttapercha ummanteln ließen, und Halske baute diese Presse. Der Generalstab orderte viele tausend Meter isolierten Drahtes für eine erste große Versuchsleitung von Berlin nach Großbeeren.

      Man bot Siemens die Leitung aller preußischen Telegraphenlinien an, der militärischen wie der öffentlichen. Doch er lehnte ab, denn er war schon zu sehr Unternehmer. Ihn reizte das Risiko. Aber so ganz ohne Netz wollte er, dachte er an seine Geschwister und seine künftige Frau, denn doch nicht leben, und so beschloss er, weiterhin beim Militär zu bleiben. Aber aus dieser sicheren Deckung heraus wollte er dennoch etwas wagen. Also ging er wieder einmal zu Johann Georg Halske.

      »Meister Halske, wir haben schon oft darüber gesprochen, dass wir gemeinsam eine Telegraphenfabrik aufmachen wollen. Ich muss aber erst für den Generalstab die Telegraphenlinien fertigstellen, ich bin kein Deserteur. Doch als stiller Teilhaber kann ich jetzt schon mitmachen. Mein Vetter, der Justizrat Siemens, will uns sechstausend Taler borgen. Schlagen Sie ein!«

      Johann Georg Halske tat es, und am 12. Oktober 1847 gründeten die beiden die Telegraphen-Bauanstalt von Siemens & Halske. Das Gründungskapital bestand aus einem Darlehen von 6842 Talern, das Werner Siemens von seinem Vetter Johann Georg erhalten hatte. Der Firmensitz war Berlin, wo man in einem Hinterhaus in der Schöneberger Straße 19 eine Werkstatt für zehn Mitarbeiter angemietet hatte.

      Der erste große Auftrag für Siemens & Halske kam 1848 von der preußischen Regierung, die so schnell wie möglich darüber informiert werden wollte, was in der Paulskirche von der Deutschen Nationalversammlung diskutiert und beschlossen wurde. In kürzester Zeit sollte eine Telegraphenlinie von Berlin nach Frankfurt/​Main verlegt werden. Rund fünfhundert Kilometer mussten hierzu überbrückt werden, was zur einen Hälfte mit Kabeln, zur anderen mit Freileitungen geschah. Am 28. März 1849 konnte als erste wichtige Nachricht die Wahl des preußischen Königs Wilhelm IV. zum Kaiser übermittelt werden.

      Der erste Rückschlag für Siemens & Halske kam schon bald, als nämlich im Sommer 1850 ein Amerikaner in Hamburg einen Telegraphenapparat vorführte, den der Kunstmaler Samuel Morse in den Vereinigten Staaten erfunden hatte. Dieser Schreibtelegraph benutzte einen Elektromagneten, mit dessen Hilfe Striche und Punkte in ein laufendes Papierband gestanzt wurden.

      »Wir müssen einsehen, dass dieser Apparat unserem überlegen ist«, sagte Siemens. »Nur eignet er sich so, wie er ist, nicht für die praktische Ferntelegraphie, und unsere Chance besteht darin, ihn in dieser Hinsicht so zu verbessern, dass alle unseren Apparat kaufen wollen.«

      Das gelang dann tatsächlich, und die Firma entwickelte sich prächtig, vor allem auch, weil man sich ausländische Märkte erschließen konnte. Für Russland baute man ein riesiges Telegraphennetz, man gründete eine Londoner Niederlassung und errichtete später ein eigenes Kabelwerk. Sogar durch das westliche Mittelmeer und durch das Rote Meer wurden Kabel verlegt. 1874 lief mit der Faraday das erste eigene Kabelschiff der Firma Siemens & Halske vom Stapel.

      Eine wesentliche Ursache für das schnelle Aufblühen unserer Firmen sehe ich darin, sollte Siemens später in seinen Lebenserinnerungen schreiben, dass die Gegenstände unserer Fabrikation zum großen Teil auf eigenen Erfindungen beruhen … Andauernde Wirkung konnte das allerdings nur infolge des Rufes größter Zuverlässigkeit und Güte haben, dessen sich unsere Fabrikate in der ganzen Welt erfreuen.

      Werner Siemens blieb rastlos. 1852 heiratete er seine erste Frau Mathilde, die ihm die Söhne Arnold und Wilhelm gebar. Für die Berliner Feuerwehr entwickelte er ein Feuermeldesystem auf der Grundlage der Telegraphie, er erfand den Doppel-T-Anker, formulierte das dynamoelektrische Prinzip und baute die erste Dynamomaschine. Bis 1878 sollte es dauern, bis deren Kinderkrankheiten überwunden waren, dann begann der Siegeszug des Starkstroms.

      Während er auf dem Lehrter Bahnhof stand und wartete, konnte Werner Siemens seinen Blick keine Sekunde von den Dampflokomotiven abwenden, die ankamen und wegfuhren. Sie erinnerten ihn an vorzeitliche Drachen, die Rauch und Feuer spien. Zu dieser Assoziation passte auch, dass sie bei der Vulcan AG in Stettin gebaut worden waren.

      Direkt vor ihm war eine Maschine mit Schlepptender zum Halten gekommen, eine 1B-gekuppelte Personenzuglokomotive. Die Petroleumlampen glänzten ganz harmlos, aber Siemens wich automatisch ein paar Schritte nach hinten, denn solch eine Dampflok war ja nichts anderes als ein Sprengkörper. Passte das Personal nicht auf oder versagten die Instrumente, explodierte der Kessel und riss alles in den Tod, was in seiner Nähe stand.

      Es ärgerte ihn, was er da sah. Dieser Rauch, dieser Schmutz! Und überhaupt, wie konnte man mit einer Dampfmaschine auf Rädern durch die Landschaft fahren! Um wie viel sinnvoller und vor allem praktischer war es dagegen, die Energie stationär zu erzeugen, mit riesigen Dynamomaschinen in einem abgelegenen Kraftwerk, und sie dann in Form von elektrischem Strom mit Hilfe von Drähten sauber über weite Strecken zu transportieren. Eine moderne Lokomotive brauchte dann einen starken elektrischen Motor und Vorrichtungen, um sich den Strom aus den Schienen oder über der Strecke angebrachten Leitungen zuzuführen.

      Im Prinzip war das alles ganz einfach, doch ihm war schon klar, dass es noch viele Jahre dauern würde, bis die elektrischen Züge wirklich fuhren und die dampfenden und feuerspeienden Ungetüme abgelöst