Joachim Bräunig

Die Magie der Sucht


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konnte. Beide Frauen hatten sich bestens eingearbeitet und konnten sehr gut mit den Klienten umgehen. Oft mussten sie diese vertrösten oder anderweitig besänftigen, da keiner der Anwälte verfügbar war oder keine kurzfristigen Termine vergeben werden konnten.

      Die beiden Sekretärinnen waren Mitte vierzig, hatten erwachsene Kinder und die Familienplanung war abgeschlossen, sodass sie weiterhin voll zur Verfügung standen.

      Rita Schmoll war die Chefsekretärin und die rechte Hand von Ulf Sorge. Er hatte grenzenloses Vertrauen in sie und wusste zugleich, dass sie jederzeit für sein Unternehmen zur Verfügung steht und bei Arbeitsende nicht auf die Uhr schaut. Häufig fielen Überstunden an, ohne, dass sie nach einer zusätzlichen Vergütung fragte. Sie war eine äußerst charmante Frau mit großem Selbstvertrauen. Ihre attraktive Erscheinung setzte sie immer vorteilhaft ein und sie war stets dem neuesten Trend entsprechend gekleidet. Rita Schmoll war seit Bestehen des Büros angestellt und hatte ihre Kollegin Bea Lutz in die Belange der anfallenden Tätigkeiten eingearbeitet. Sie war glücklich geschieden und ihr Exehemann war im Rathaus von Waren/​Müritz beschäftigt und zugleich als Stadtrat tätig. Beide hatten zwei Kinder, die jedoch bereits ihre eigenen Wege gingen und aus dem elterlichen Haus ausgezogen waren. Sie trug ihr langes blondes Haar immer offen und band es gelegentlich, wenn keine Kundengespräche anstanden, zu einem Pferdeschwanz zusammen.

      Bea Lutz war als zweite Sekretärin im Büro angestellt und erledigte den Großteil der anfallenden schriftlichen Arbeiten und war für die ordnungsgemäße Archivierung aller Vorgänge verantwortlich. Sie konnte bezüglich der Schönheit von Rita Schmoll nicht mithalten und ging auch nicht so modebewusst gekleidet. Mit ihrer etwas schüchternen und zurückhaltenden Art besaß sie dennoch einen gewissen Charme und war bei den Klienten gleichfalls beliebt, wobei sie an den Gesprächen mit ihnen nicht beteiligt war, dies war ausschließlich das Aufgabengebiet von Rita Schmoll. Sie trug, im Gegensatz zu Rita Schmoll, ihr Haar stets streng nach hinten gekämmt, was ihr eine gewisse Härte verlieh.

      Die Räume der Anwaltsbüros lagen direkt an der Unterwallstraße, welche eine Verlängerung der Strandstraße war. Der Weg zum Stadthafen betrug lediglich fünf Minuten. Der Stadthafen, an dem zu guten Zeiten und bei schönem Wetter bis zu circa 50 Boote anlegen konnten, war mit zahlreichen Bistros und Cafés gesäumt. Die Gaststätten hatten alle Terrassen mit mehreren Plätzen zum Aufenthalt im Freien eingerichtet, die stets sehr gut besucht waren. Vom Stadthafen waren es gleichfalls nur wenige Minuten bis ins Zentrum von Waren, dessen Mittelpunkt ein großer Marktplatz bildet. Der Weg zum Markt vom Stadthafen aus wurde von zahlreichen Läden und Boutiquen gesäumt, die verschiedenste Waren zum Kauf anboten. Auf dem Marktplatz selbst befanden sich wiederum mehrere Läden, Gaststätten, Eisbars und Cafés. Zudem boten in den Sommermonaten viele Einzelhändler ihre Waren oder saisonale Früchte in extra aufgestellten Ständen an.

      Die Stadt war ein großer Touristenmagnet und lockte jährlich zahlreiche Urlauber und andere Feriengäste an. In der Nähe des Marktes befanden sich das Stadtgeschichtliche Museum sowie mehrere Hotels und Pensionen, welche stets gut ausgebucht waren und bei denen meistens eine längerfristige Vorbestellung von Nöten war. Vom Marktplatz führten beidseitig Fußgängerzonen in die immer sehr belebten Außenbereiche des Zentrums. Die Einwohner waren sehr freundlich und gaben den Touristen, welche nach gewissen Orten fragten, bereitwillig Auskunft.

      Die Büroräume der Kanzlei „Sorge und Partner“ waren vor drei Jahren großzügig umgebaut worden und besaßen insgesamt fünf Räume. In dem etwas größeren hatte Ulf Sorge sein Büro, des Weiteren hatten die beiden Anwälte Kai Schulten und Christoph Scholz je ein kleineres Büro von ungefähr zwanzig Quadratmetern. Die beiden Sekretärinnen teilten sich gemeinsam ein Büro, welches gleichzeitig als Vorraum zu den Büros der Anwälte und Ulf Sorge bildete, wobei der Eigentümer des Unternehmens außerdem einen getrennten Zugang zu seinem Büro hatte. Außerdem verfügte die Kanzlei über einen separaten Konferenzraum, der zumeist bei gleichzeitigen Gesprächen mit den jeweiligen Klageparteien genutzt wurde. Die Räume verfügten über modernste Informationstechnik, sodass bei Erfordernis ein sofortiger Zugriff zu notwendigen Daten oder Vergleichen möglich wurde. Alle Vorgänge wurden computerunterstützt erfasst und registriert, was die Arbeit der Sekretärinnen wesentlich erleichterte und zugleich einen geringeren Aufwand bei der Archivierung bedeutete. Die Räume waren mit neuen großzügig gestalteten Fenstern ausgestattet worden, was einen bedeutend größeren Lichteinfall wie vor dem Umbau zur Folge hatte. Gleichzeitig war das gesamte Mobiliar erneuert worden, welches jetzt in hellen Farben gestaltet ist. Die Räume wirkten sehr freundlich, wozu auch die weichen Sitzgelegenheiten einen wesentlichen Beitrag leisteten. Sie befanden sich im ersten Obergeschoß eines ebenfalls vor drei Jahren gründlich sanierten Hauses, welches auch von außen einen einladenden Eindruck erweckte. Ulf Sorge und sein damaliger Partner hatten sich zu Beginn ihrer gemeinsamen Tätigkeit ein Haus in Ufernähe mit Blick zum Hafen gewünscht, jedoch war das zum damaligen Zeitpunkt für beide aus finanziellen Gründen nicht möglich. Sie hatten sich im Laufe der Jahre mit den Räumen arrangiert und wollten nicht nochmal umziehen und durch die gesamte Sanierung des Gebäudes kamen die Anwälte ihren ursprünglichen Wünschen, außer dem Uferblick, sehr nahe.

      „Frau Schmoll, habe ich heute noch wichtige Termine?“, fragte Ulf Sorge seine Sekretärin.

      „Nein, sie haben erst am Montag früh den nächsten Termin“, antwortete Rita Schmoll.

      „Dann gibt es auch morgen keinen Termin?“

      „Nein, Herr Sorge.“

      „Gut, dann kann ich mich wiedermal auf ein langes Wochenende freuen.“

      „Das haben sie sich verdient.“

      „Ja, das war eine anstrengende Woche“, erwiderte Ulf Sorge.

      „Bei diesem schönen Wetter können sie einen Ausflug unternehmen“, schlug Frau Schmoll vor.

      „Nein, ich werde mich ausruhen und völlig entspannen. Ich werde mich in meinem Garten auf die Liege legen und auf den Anruf meiner Tochter warten.“

      „Wie geht es ihr?“, erkundigte sich Frau Schmoll.

      „Sie haben sich sehr gut eingelebt. Das Juweliergeschäft ihres Mannes läuft sehr gut und Martina hat sich in dem Hotel als Managerin gut eingearbeitet“, erwiderte Ulf Sorge.

      „Das freut mich für sie. Wie lange ist ihre Tochter bereits in Australien?“, fragte die Sekretärin.

      „Knapp ein Jahr. Ich freue mich für sie, auch wenn ich sie vermisse.“

      „Das geht mir mit meinen Kindern ebenso, aber das ist der Lauf der Dinge, das die Kinder größer werden und ihre eigenen Wege gehen.“

      „Wir haben es ebenso gemacht und sind zu Hause ausgezogen, um auf eigenen Beinen zu stehen, aber wenn es die eigenen Kindern sind, versteht man erst, warum die Eltern damals so traurig waren“, philosophierte Ulf Sorge.

      „Sie haben recht, aber die Telefonate werden sicher sehr teuer“, mutmaßte Frau Schmoll.

      „Sicher, aber für meine Tochter ist mir nichts zu teuer“, gab ihr Vorgesetzter zurück.

      „Wie geht es ihrer Frau?“, erkundigte sich Rita Schmoll.

      „Ich glaube, es geht ihr nicht besonders gut und ich bin fast überzeugt, dass sie die Betreuung ihrer Eltern zu Hause nicht mehr lange aufrechterhalten kann. Der Aufwand ist größer wie erwartet, trotz der Hilfe eines Pflegedienstes. Ich hoffe, sie verlangt nicht zu viel von sich selbst.“

      Ulf Sorge hatte sich mit seiner Frau geeinigt, dass sie zur Betreuung ihrer bettlägerigen Mutter und des gleichfalls gesundheitlich angeschlagenen Vaters nach Berlin in ihr Elternhaus zieht. Seine Frau wollte ihre Eltern nicht in ein Pflegeheim geben, aber nach dem gestrigen Telefonat schien seine Frau bald am Ende ihrer Kräfte zu sein und sie überlegte nun ernsthaft, dies doch zu tun.

      In diesem Augenblick traten gleichzeitig die beiden Anwälte Kai Schulten und Christoph Scholz aus ihren Büroräumen und wollten sich ins Wochenende verabschieden. Beide lächelten ihrem Chef und den Sekretärinnen zu und Kai Schulten sagte: „Ich möchte ihnen ein schönes und erholsames Wochenende wünschen. Ich denke, wir haben