Rudi W. Berger

Berge blau und die Fahne rot


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Wie hoch auch hinaus, sie steht für eine wirklichkeitsnahe Literatur mit eindeutig parteilichem Gedankengut. Für mich bedeutet das, nicht zu lamentieren, noch beschreibend festzustellen, sondern provokant zu sein und anzugreifen. Erst wenn da ein Funke zündet, würde ich sagen, hier beginnt, nein, das ist ihrer Aufgabe gemäß, wirkliche Literatur. Wie gerne erinnere ich, wenn sie verfilmt zum „Straßenfeger“ wurde, weil sich der Zuschauer nicht als Objekt, sondern Subjekt der Geschichte fühlte. Diese Erkenntnis war der Dünger unseres Leselandes DDR. Für mich ist sie es noch heute, wenn ich höre, man kann eh nichts ändern und resignierend wegschaut. Sich demzufolge als Gestalter zu wissen, dafür braucht es allerdings jene Tasten Mut und Kraft, die der Schriftsteller schreibend schlägt. Sie sind der Hebel, der das Adrenalin ins Blut schießen lässt. Ob Marx, Lenin oder Fidel Castro oder wer auch immer, keinem Revolutionär wird es darin anders ergehen. Sie sind Riesen an Geist und Energie, die das Alte zerschlagen und Neues schaffen, wir sind es, wir, das große Wir: Gott Mensch als Schöpfer seiner selbst. Dieses herrliche Hochgefühl trotz aller Niederlagen. Dieser Triumph!

      Diese Geschichte lebe ich, indem ich sie mit meiner bescheidenen Kunst gestalte. Älteren mag es nicht schwer fallen, aus jener stürmischen Zeit heraus meine Bühnenstücke zu verstehen. Jüngere werden sich erst hinein versetzen müssen. Das zu ermöglichen und zu wissen, woher wir kommen und wo hinaus es gehen sollte, war der eigentliche Anlass, die dramatischen Texte zu sammeln, obwohl sie mich von wichtigeren Vorhaben abhielten.

      Wer glaubt, meinem Anliegen nicht folgen zu können, sollte es wenigstens versuchen, denn dahinter verbirgt sich, was jedermann einschneidend treffen kann. Wenn ihm die Courage fehlt, sich dem zu widersetzen, darf er sich nicht wundern, dass eines gänzlich unerwarteten Tages die blutige Kriegsgewalt von seinem dicken Fell frisst. Er sollte auf den Volksmund hören: Durch Schaden man klug. Das äußere ich nicht aus Rechthaberei, noch wünsche ich es ihm, sondern aus eigenen Erfahrungen. Zum großen Glück nicht umsonst. Ich konnte bei Kuba, Kurt Barthel, Nationalpreisträger der DDR in die Lehre gehen, ganz wie es der Poet in seinem „Gedicht vom Menschen“ verkündete:

       Der Nackenschlag, der Fußtritt sei gesegnet –

       der Peitschenhieb, der im Gesichte brennt.

       Wo immer Menschenschmerz dem Menschenstolz begegnet,

       wird aus dem Sklaven Spartcus der Insurgent.

       THEATER, THEATER

       Eine ungewöhnliche Liebesgeschichte aus der Stadt der Karpfenpfeifer 1 als Bühnenspaß

      Raue Luft. Arbeit und Geld ist in der Kommune knapp. Das „Karpfenpfeiferfest“ fällt aus. Die „Gette der Gerechtigkeit“ auf dem Rathaus fröstelt. Ede, ohne Job, auch. Er will die Heimat entgegen seiner Freunde verlassen. Doch er trifft wieder auf Anita, eine frühere Liebe, die sich als Flittchen durchschlägt als auch auf Lässig, einen seiner Chefs des insolvent gegangenen Möbelwerkes „MÖZEU“, der beide einst in flagranti ertappte. Ede mag Anita noch immer, doch sie lebt mit Lässig zusammen, jetzt Stadtrat und Besitzer eines Autosalons, der mit großem Pomp eingeweiht wird, aber in die roten Zahlen kommt. Mit anderen ebenfalls betroffenen Unternehmern macht er Ede und seinesgleichen für die desolate Lage verantwortlich, denn jene würden in den Kaufhäusern umher lungern, während sie die Stadt generös stützten.

      Die empörte Öffentlichkeit boykottiert sein Geschäft und attackiert ihn mit Leserbriefen. Anita ist nicht mit Lässig einverstanden. Ede nutzt diese Gelegenheit, sie aber, an bessere Tage gewöhnt, weist ihn noch ab. Ede, ohnehin frustriert, bedrängt sie während der nächtlichen Vorstellung einer Theatergruppe, die für die Stadt als auch das ausgefallene Karpfenpfeiferfest einen Hoffnungsbaum setzt. Dabei werden sie wiederum in flagranti überrascht. Ein Skandal. Da Lässig, geschäftlich angeschlagen, seinen Rivalen als Vergewaltiger anzeigt, verlässt ihn Anita. Um den Ruin durch einen Versicherungsbetrug abzuwenden, besticht er einen Pyromanen, der in der Stadt sein Unwesen treibt. Weil sich jener im letzten Augenblick weigert, zündelt er selber und wird dabei fälschlicherweise als der gesuchte Brändler ertappt.

      Der niedergebrannte Autosalon ist wieder aufgebaut. Ede und Anita, von den Freunden sehnlich erwartet, kommen mit ihren Koffern und erleben im Beisein der städtischen Honoratioren die Neueröffnung. Zur gleichen Zeit erscheint die Polizei mit dem Sträfling Lässig am einstigen Tatort. Jener beschuldigt Ede als Brändler, warnt, der habe eine Bombe im Koffer und alles geht in Deckung. Um den Verdacht abzuwenden, öffnet der den Koffer und bombardiert mit Anitas Unterwäsche die Polizei, die das Feuer eröffnet. Dennoch brennt es in der Stadt. Die Sirenen heulen und Lässig entwischt in der Turbulenz, von der Polizei verfolgt.

      Großes Hallo. Ede und Anita fallen sich in die Arme. Die Freunde sammeln die Unterwäsche ein, packen deren Koffer weg und feiern beide als Paar.

      Personen:

      Ede, Arbeitsloser

      Karl, sein Freund

      Lässig, Besitzer eines Autosalons

      Anita, leichtes Mädchen und dessen Geliebte

      Hacke, Leiharbeiter

      Boxer, Leiharbeiter

      Brenn, Stadtstreicher und Pyromane

      Japaner

      Frau Regierungsrat, Bankdirektor,

      Bürgermeister, Polizisten, Sprecher, Angestellte

      Jugendliche, Reporter, Zeitungsboy,

      Mittelständische Unternehmer

      Schauspieler und Protagonisten in Hüten

      Musikanten und Trommler

       Bühnenbild

      Grundeinrichtung: Eine Abrissruine mit dem Firmenschild MÖZEU, die in eine ungeräumte Parkecke mit einer Bank ausläuft. Gegenüber die Fassade des Autosalons OPELLA und die Skulptur des Karpfenpfeifers, im Hintergrund ein städtischer Platz mit Bankfiliale und Polizeiinspektion. In der Ferne Trommeln

       1.

       Ede und Karl, Bierflaschen in den Händen, dösen auf der Bank vor einem Busch. Bierdosen liegen verstreut. Vor dem Autosalon stehen einige Modelle. Er wird mit Girlanden und Fähnchen geschmückt. Großes Plakat: Heute Neueröffnung

      Anita: (Stolpert als Straßenmädchen mit hohen Absätzen herein und späht nach Kundschaft aus) Hoppla! Eiei!

      Brenn: (späht aus den Büschen und gibt ihr das Zeichen eines Freiers) Sst! Bienchen, Bienchen. Ssssst! Feines Gestell.

      Anita: Mach die Flocke, du Zwerg. Verpiss dich!

      Brenn: Doofe Schnecke!

      Japaner: Wonderful. (Mit Kameras behängt. Schrift auf dem Hemdrücken: I like German. Geht mit dem Camcorder gebannt die Fassade des Autosalons an) Wonderful! Is ja wonderful! Auf den Knien gerät er mit der Kamera Anitas Beine hoch. Wonderful! Wonderful! (sie fasst ihn und zerrt ihn in die Büsche)

      Lässig: (In Nadelstreifen und Handschuhen, rügt Hacke und Boxer in blauen Overalls mit großen OPELLA-Aufnähern, die lustlos fegen) Das nennt ihr fegen? Hab ich’s nicht schon hundertmal gezeigt. Pikobello sag ich. Dass ihr mich ja nicht blamiert. Gleich kommen die Herrschaften. (Am Spalier der Angestellten vorbei eilt er Gästen und Reportern entgegen) Die Frau Regierungsrat! Der Herr Direktor! Der Herr Bürgermeister! Danke, Danke! (Nimmt geehrt die Geschenke entgegen und führt sie, von Bewunderungsrufen begleitet, an seine Modelle) OPELLA Schwart, OPELLA Rustikal. Das juckt in den Fingern, nicht wahr? Und hier mein Superschlager: OPELLA Nostalgia. Zweihundert PS, dreizehn Airbags und