Johannes Sachslehner

Zwei Millionen ham'ma erledigt


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treffen sie auf Glaise-Horstenau, Mühlmann fragt ihn nach der Lage: „Is scho a Leich“, antwortet der Herr Minister ohne Portefeuille und meint damit seinen Chef, den Bundeskanzler. Globocnik berichtet Seyß-Inquart über die Forderungen Berlins, dann ruft er Rainer an und bestätigt diesem, dass nun der Innenminister genau Bescheid wisse. Rainer hat für seinen Freund einen neuen Auftrag, der an Seyß-Inquart weitergegeben werden soll: „Es kommt darauf an, die Formationen zu legalisieren. SA und SS müssen mit der Polizei als Sicherheitsorgane eingesetzt werden.“

      Zur gleichen Zeit erklärt Schuschnigg in den Amtsräumen von Bundespräsident Miklas den Rücktritt seiner Regierung. Die Ernennung Seyß-Inquarts zum Bundeskanzler verweigert Miklas jedoch kategorisch, er „weiche nur der Gewalt“. Staatssekretär Michael Skubl, dem er die Kanzlerschaft anträgt, lehnt ab; Hitler werde das auf keinen Fall akzeptieren und mit dem Einmarsch antworten – da sei ein Kanzler Seyß-Inquart noch das kleinere Übel.

      Um 15.55 Uhr meldet sich Göring wieder telefonisch aus Berlin, der ungeduldige Reichsfeldmarschall will wissen, ob Schuschnigg schon zurückgetreten sei und ob Seyß-Inquart schon den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten habe; nochmals betont er, dass dies eine „unumstößliche Forderung des Reiches“ sei. Seyß-Inquart vertröstet Göring mit der Antwort auf 17.30 Uhr, spätestens dann wisse er Bescheid. Inzwischen haben Schuschnigg und seine Diplomaten vergeblich versucht, Unterstützung bei den Westmächten zu finden. Aus London kommt knapp nach 16.30 Uhr eine wenig ermutigende Antwort: „Die Regierung Seiner Majestät kann die Verantwortung nicht übernehmen, dem Kanzler zu raten, einen Kurs einzuschlagen, der sein Land Gefahren aussetzen könnte, für die die Regierung Seiner Majestät nicht in der Lage ist, Schutz garantieren zu können“ – wohlgesetzte Worte, die die Wahrheit nicht verhüllen können: Chamberlain ist bereit, Österreich zu opfern. Frankreich und Italien folgen ihm mit Tatenlosigkeit; die Bewunderung für den „Führer“ ist noch groß …

      Rainers „Verbindungsmann“ Globocnik beobachtet die Vorgänge im Bundeskanzleramt mit Ungeduld, ihm geht das alles zu langsam. Er beschließt, das Lokal zu wechseln: Gemeinsam mit Freund „Friedl“ fährt er zur deutschen Gesandtschaft in der Metternichgasse; im Auto unterrichtet er Rainer über die Lage am Ballhausplatz; die beiden sind entschlossen, die „Sache“ etwas zu beschleunigen. In der deutschen Gesandtschaft angekommen, lässt sich Globocnik sofort mit Göring verbinden; um Punkt 17 Uhr steht die Leitung – jetzt will er zeigen, was er kann. Er beginnt das Gespräch mit dem Generalfeldmarschall.

      Globocnik: „Ich muss Folgendes melden: Also, Seyß-Inquart hat mit dem Bundeskanzler bis 16.30 Uhr gesprochen. Er ist aber nicht in der Lage, das Kabinett bis 17.30 Uhr aufzulösen, weil es technisch nicht geht.“

      Göring zeigt sich kompromissbereit: „Bis 19.30 Uhr muss das Kabinett gebildet sein … Ist der Seyß-Inquart da?“

      Globocnik: „Der ist eben nicht da. Der ist in der Verhandlung. Darum hat er mich hergeschickt, das zu telefonieren.“ Er will noch etwas gegen einen Einmarsch der Österreichischen Legion sagen, doch Göring, dem die Befindlichkeit der österreichischen Nazis ziemlich egal ist, unterbricht ihn.

      Göring: „Davon ist nicht die Rede! Ich will wissen, was los ist. Hat er Ihnen gesagt, daß er Bundeskanzler ist?“

      Globocnik sucht sein Heil in der knappen Lüge: „Jawohl!“

      Göring: „Ist ihm übertragen worden?“

      Globocnik: „Jawohl!“

      Göring: „Jawohl! Weiter! Bis wann kann er das Kabinett bilden?“

      Globocnik: „Das Kabinett kann er bis 9.15 Uhr vielleicht … “ Göring will keine weiteren Verzögerungen: „Das Kabinett muss bis halb acht gebildet sein.“

      Globocnik erzählt ihm daraufhin, dass inzwischen die Partei mit all ihren Gliederungen wieder erlaubt worden sei und SS und SA als eine Art von „Hilfspolizei“ auf den Straßen „Dienst“ tun würden. Den Generalfeldmarschall interessiert aber nur die angeblich schon stehende neue Regierung:

      Göring: „Da bringt der Keppler die Namen. Ich habe da noch vergessen: Fischböck, Fischböck muss Handel und Wirtschaft bekommen.“

      Globocnik willfährig: „Selbstverständlich, das ist doch klar.“

      Göring: „Kaltenbrunner soll das Sicherheitswesen bekommen und Beyer soll die Wehrmacht bekommen. Das Bundesheer soll Seyß-Inquart kriegen. Dann Justiz ist klar, wissen Sie wen?“

      Globocnik: „Ja, ja!“

      Göring: „Nennen Sie den Namen!“

      Globocnik glaubt zu wissen, worauf Göring hinaus will: „Ja, Ihr Schwager, nicht?“ (gemeint ist Franz Hueber, verheiratet mit einer Schwester Görings, der bereits 1930 für kurze Zeit Justizminister war – J. S.)

      Damit ist das Gespräch beendet; Globocnik reicht den Hörer weiter an Generalleutnant Wolfgang Muff, den Militärattaché der deutschen Gesandtschaft. Auch Muff will vor einem Einmarsch der Österreichischen Legion warnen, doch Göring lässt sich erst gar nicht auf eine Diskussion ein, die Entscheidung darüber liege allein in Berlin. Und er hat es eilig, dem „Führer“ die Nachricht vom Rücktritt Schuschniggs und von der Ernennung Seyß-Inquarts zum Bundeskanzler zu überbringen. Die Lüge Globocniks hat nun Folgen: Hitler setzt den Befehl zum Einmarsch der deutschen Truppen in Österreich vorerst aus; Göring telefoniert weiter: Zuerst spricht er mit seinem Schwager Franz Hueber, der auf Wunsch Hitlers auch das Außenministerium übernehmen soll, dann mit Seyß-Inquart, der inzwischen in sein Büro in der Herrengasse zurückgekehrt ist – und jetzt wird klar, dass der Generalfeldmarschall einer falschen Information Globocniks aufgesessen ist. Göring ist außer sich, drängt darauf, dass Seyß-Inquart sich selbst zu Miklas begibt, und wiederholt sein Ultimatum: Wenn ihn Miklas nicht sofort zum Bundeskanzler ernenne, werde die Wehrmacht noch in dieser Nacht mit dem Einmarsch beginnen.

      Inzwischen sind Rainer und Globocnik wieder zum Bundeskanzleramt gefahren, hier treffen sie wieder auf Seyß-Inquart, der sich weigert, zum Bundespräsidenten zu gehen, und auf Glaise-Horstenau; Generalleutnant Muff teilt Miklas daraufhin das neuerliche deutsche Ultimatum mit, doch der Bundespräsident bleibt bei seiner Haltung: Er ernenne keinen Bundeskanzler unter der Androhung von Gewalt. Österreich sei ein freier und unabhängiger Staat und bestelle ebenso frei und unabhängig seine Regierung. Auch Wilhelm Keppler, der aus Berlin in Wien eingetroffen ist, scheitert kurz darauf bei Miklas – Göring scheint die Nerven zu verlieren, droht wieder mit dem Einmarsch; Rainer und Globocnik drängen in der Säulenhalle des Bundeskanzleramts auf die „Machtübernahme“, sie wollen einen entsprechenden Befehl an die Gauleiter herausgeben, doch Keppler lehnt ein gewaltsames Vorgehen ab.

      Von Staatssekretär Michael Skubl wird die Falschmeldung verbreitet, dass die Deutschen bereits einmarschieren würden; Miklas weigert sich weiter, die Nazis zu inthronisieren. Knapp vor 20 Uhr verkündet Schuschnigg in einer Rundfunkansprache seinen Rücktritt: „Der Herr Bundespräsident beauftragt mich, dem österreichischen Volk mitzuteilen, daß wir der Gewalt weichen.“ Und er schließt: „So verabschiede ich mich in dieser Stunde von dem österreichischen Volke mit einem deutschen Wort und einem Herzenswunsch: Gott schütze Österreich!“

      Das Ende der Schuschnigg-Regierung, der „System-Zeit“, ist damit offiziell, die Nazis feiern ihren „Sieg“, ihr Exponent im Bundeskanzleramt ist Odilo Globocnik. Jetzt, im Augenblick des Zusammenbruchs der alten Ordnung, fühlt er sich so richtig in seinem Element, er genießt und spielt Regierung: Er ist der Mann, der am Telefon sitzt und Weisungen an die NS-Funktionäre erteilt, der Anfragen staatlicher Dienststellen beantwortet und Telegramme verschickt – all das im Namen von Innenminister Seyß-Inquart, der zwar um 20.18 Uhr im Rundfunk die Bevölkerung zu „Ruhe und Ordnung“ aufruft, ansonsten aber mit dem Aktionismus des „Machers“ Globocnik nicht mithalten kann.

      In Berlin beraten Hitler und Göring die weitere Vorgangsweise, durch das Ultimatum – dessen Existenz gleichzeitig von Goebbels in einer „Richtigstellung“ des Deutschen Nachrichtenbüros bestritten wird – sind sie selbst unter Druck geraten: Reagieren sie nicht wie angedroht mit dem Einmarsch,