Odilo Globocnik war ein Mann des Befehls, eine wahre „Befehlsmaschine“. Er führte Befehle aus und erteilte Befehle; ja, seine Sehnsucht war der Befehl, gab es keinen klaren Befehl, so fühlte er sich unsicher und bat seine Vorgesetzten um Präzisierung. Genau diese Haltung verlangte er auch von seinen Mitarbeitern: Befehle waren um jeden Preis auszuführen. Das war die eine Seite. Die andere Seite war sein brennender Ehrgeiz, der ihn träumen ließ: von einem neuen „Musterstaat“ und von gigantischen Projekten, mit denen sein Name verbunden sein würde. Und er sehnte sich nach den Zeichen, die davon erzählen würden: nach dem Blutorden und dem Eisernen Kreuz, nach in Erz gegossenen Tafeln.
Er gilt als der „blutigste Einpeitscher von Judenvernichtung und Germanisierung“ im Generalgouvernement, der polnischen Kolonie des Dritten Reiches. Einen „archetypischen Nazi-Bluthund und Freibeuter“ nennt ihn Arno J. Mayer, Hitler-Biograf Joachim C. Fest spricht von einem „Mörder aus Profession“, Joseph Poprzeczny charakterisiert ihn als genocidal killer und Heinrich Himmlers most vicious wartime accomplice, als one of the most bestial murderers of Jews and Poles that the 20th century was to produce – doch ist Odilo Globocnik trotz all dieser markigen Zuschreibungen ein Mann ohne „Gesicht“ geblieben. Er, der „Juden-Liquidator“ und „barbarische Judenvernichter“ (Heinz Höhne), ist in der Literatur über den Holocaust im Generalgouvernement allgegenwärtig, taucht in Zeugenaussagen und Berichten auf und wird in Gerichtsurteilen gegen die Mörder in seinen Diensten als „Haupttäter“ genannt. Dennoch bleibt seine Gestalt seltsam unbestimmt.
Tatsächlich reicht es nicht, Globocnik als Monster abzustempeln. Wer seine Persönlichkeit verstehen will, muss viel genauer hinsehen. Ja, er war ein „angenehmer Chef“, sagt seine Sekretärin Wilhelmine „Mimi“ Trsek. Ein sensibler Typ, der sich nach dem Besuch eines Lagers und den dort gewonnenen Eindrücken angeblich tagelang in seinem Schlafzimmer einschloss. Ein Mann mit außergewöhnlichem „Organisationstalent“ und von schnellen Entschlüssen, dem die Zauderer vom Schlag eines Seyß-Inquart und die hohlen Schaumschläger wie Hans Frank suspekt sind. Ein „Wichtigtuer, der es verstand, seine Person gehörig in den Vordergrund zu stellen und seine Phantasiegebilde von Plänen so darzustellen, als ob sie größtenteils schon verwirklicht wären“, und der „alles allein und am besten“ machen wollte, wie Rudolf Höß, der Kommandant von Auschwitz, urteilte: „Ob es sich um Judenvernichtungen oder um Polenumsiedlungen handelte oder um die Verwertung der beschlagnahmten Werte“ – Globocnik wollte unbedingt „an der Spitze stehen“ und konnte einfach „nicht genug bekommen“. Er „übertrieb maßlos, bei jeder sich bietenden Gelegenheit, war aber“, wie Höß meint, „an und für sich ein gutmütiger Mensch“. Was er „an Bösem anrichtete, geschah nach m(einem) Erachten nur aus Großtuerei, Wichtigmachen und Selbstüberhebung“.
Er war ein Hochverräter, der den „Anschluss“ Österreichs an das Dritte Reich nach Kräften förderte, und ein skrupelloser Handlanger, der auf Befehl Heinrich Himmlers kaltblütig den industriellen Massenmord planen und durchführen ließ. Ein schlechter Verlierer, zerfressen von Ehrgeiz, der seine Niederlagen nicht wahrhaben will. Ein abenteuerlustiger „Geschäftsmann“, einem guten Handel niemals abgeneigt, auch nicht mit jüdischen Partnern. Kein großer Ideologe, sondern ein auf den „Erfolg“ ausgerichteter Pragmatiker, dem jedes Mittel recht ist – Odilo Globocniks Geschichte ist die Geschichte eines jungen Mannes, der bereit war, sein Menschsein an den „Führer“ und dessen Gehilfen auszuliefern …
Leitspruch Globocniks für das von der Deutschen Arbeitsfront und Gauinspekteur Sepp Nemec herausgegebene Buch „Wir gehen durch die Betriebe … “
Das Navigationsgerät lotst uns sicher nach Aifersdorf in der Gemeinde Paternion. Felder, grüne Wiesen, Bauernhöfe, gleich das erste Haus rechts soll es sein. Wir halten, fragen zwei Nachbarn – einer von ihnen ist, wie sich später herausstellen wird, Stefan Sodat, der Lauberhornsieger von 1965. Karl Schranz, Karl Cordin und alle anderen Abfahrtslegenden hat er damals hinter sich gelassen. Ja, der alte Herr Köfler würde noch leben und er sei auch zu Hause. Wir haben Glück: Während wir noch plaudern, kommt er auch schon des Weges, Stefan Sodat stellt uns vor. Jemand würde mit ihm über die „Beerdigung“ von Odilo Globocnik reden wollen. Helmut Köfler, Jahrgang 1927, ehemals Gendarmeriebeamter in Paternion, ist ein rüstiger alter Herr und Zeitzeuge. Im Mai 1944 hat er als noch nicht Siebzehnjähriger zur Wehrmacht einrücken müssen und schließlich in der 1. Gebirgsjägerdivision gedient; am 8. oder 9. Mai 1945 sei er nach Hause zurückgekommen. Gerne ist er bereit, uns die Stelle zu zeigen, an der der Globocnik begraben oder besser „verscharrt“ worden ist. Ohne zu zögern steigt er ins Auto, gemeinsam fahren wir hinunter zur „Sautratten“ am Drauufer; einst haben die Dorfbewohner hierher ihre Schweine getrieben, das Grundstück war eine Art von gemeinsamem Besitz, der auch gemeinsam genutzt wurde. Wir halten neben einer saftig-grünen Wiese, eingezäunt mit Stacheldraht. Helmut Köfler zeigt auf eine Stelle mitten in der Wiese: Genau hier sei die Stelle, an der die Briten damals die Leiche des Nazi-Verbrechers begraben hätten. Einst stand hier noch eine Heuhütte, die eine bessere Orientierung erlaubte – etwa 35 Meter in südöstlicher Richtung von der Hütte entfernt befand sich die Grabstätte. Jetzt ist nur mehr die tiefgrüne Wiese zu sehen, nichts mehr erinnert an die Geschehnisse vom 31. Mai 1945 – kein Hinweisschild, nichts. Odilo Globocnik ist unter diesem Grün an der Drau verschwunden.
1958 stellt der Glasermeister und Paternioner Gemeinderat Friedrich Plöb, ehemals NS-Kreispropagandaleiter, den Antrag, das Grab von Odilo Globocnik auf der Parzelle Nr. 4/2 KG Paternion auszuforschen und eine Exhumierung auf Kosten der Gemeinde durchzuführen. Der Antrag wird vom Gemeinderat genehmigt; Plöb setzt sich mit Globocniks Witwe Laurentia „Lore“ in Verbindung, die jedoch eine Exhumierung ablehnt – sie wolle ihrem Sohn Peter „die Aufregung ersparen“. Friedrich Plöb versucht das Grab in der „Sautratten“ daraufhin auf eigene Faust zu finden, scheitert jedoch, „da jeder, der angeblich den Platz kannte, an Ort und Stelle nicht angeben konnte, wo das Grab sein könnte“.
Über die Sache scheint Gras zu wachsen, doch dann gibt es plötzlich hektische neue Nachforschungen, dieses Mal von Seiten der Staatspolizei. Auslöser sind zwei Briefe von Simon Wiesenthal an Justizminister Christian Broda vom 1. und 2. Juni 1964. Darin erklärt Wiesenthal, dass Globocnik, der in Österreich durch Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt vom 1. Juli 1949 für tot erklärt worden war, an der Costa Brava in Spanien, in Irland und in Argentinien gesehen worden sei. Er appelliere daher an den Bundesminister, die Todeserklärungen Globocniks und anderer hoher Nazifunktionäre überprüfen zu lassen. Broda, durch einen Artikel in der Wiener Zeitung vom 13. August 1964 unter dem Titel „Leben 250 Naziführer unter falschem Namen?“ weiter unter Druck geraten, ersucht die Staatspolizei, Abteilung 2 C, um neue Ermittlungen.
Am 18. August 1964 spricht ein Polizeibeamter mit Lore Globocnik, Friedrich Plöb und Helmut Köfler, der über seine Beobachtungen Folgendes „niederschriftlich“ zu Protokoll gibt: „An einem Tage gegen Ende Mai oder anfangs Juni 1945, der nähere Zeitpunkt ist mir nicht mehr erinnerlich, war ich auf einem Felde innerhalb des Gemeindegebietes von Paternion, ‚In der Sautratten‘, mit landwirtschaftlichen Arbeiten am Grundstücke meines außerehelichen Vaters Johann Santer beschäftigt. Ich konnte bemerken, dass 2 ungarische Soldaten, welche sich offensichtlich in englischer Kriegsgefangenschaft befanden, auf einer Wiese, die mit englischem Kriegsmaterial, Panzern und Fahrzeugen belegt war, ein Loch ausschaufelten. Kurze Zeit danach kam ein englischer Militärwagen zum ausgehobenen Erdloch. Es war ein Dodge-LKW. Ich sah auch einige englische Militärpolizisten. Einige Männer öffneten sodann die rückwärtige Bordwand und hoben eine männliche Leiche vom Plateau. Die Leiche wurde sofort in das bereitstehende Grab gelegt. Das Grab wurde zugeschaufelt, jedoch rollte ein mit englischen Soldaten besetztes Raupenfahrzeug sofort mehrmals über das Grab. Im Herbst 1945 war eine Herbstbestellung des Gebietes „In der Sautratten“ nicht mehr möglich, weil das gesamte Gebiet mit englischen Fahrzeugen bedeckt war. Es ist mir erinnerlich, dass ich im Juni 1946 mit einer