8. Juni 1917 notiert der Klassenvorstand: „ernst, willig, verläßlich“. In den militärischen Fächern Turnen und Exerzieren sowie im Fach „Dienstvorschriften und Anstandslehre“ wird er durchgehend mit „sehr gut“ beurteilt.
Jahrgangsrang 7 unter 49 Schülern: „Abschlußklassifikation“ der Militär-Unterrealschule St. Pölten, Schuljahr 1917/1918.
Wann genau der Zögling Globocnik die Schule und das Internat in St. Pölten verlassen hat, ist unbekannt; zu Beginn des Schuljahres 1918/1919 wird er jedenfalls noch als Schüler des 4. Jahrgangs geführt. Mit dem Zusammenbruch der Monarchie ist der Traum von einer glanzvollen Offizierslaufbahn im Dienste des Kaisers dahin – gut möglich, ja wahrscheinlich, dass sich der 14-Jährige, der nun zu den inzwischen nach Klagenfurt übersiedelten Eltern zurückkehren muss, die Argumentation der in rechten Kreisen populären Dolchstoßlegende zu eigen macht: Die „vaterlandslosen Gesellen“ des internationalen Judentums und der Sozialdemokratie seien schuld an der militärischen Niederlage der Mittelmächte; das Feinbild „Jude“ bekommt so wohl bereits jetzt Konturen und verfestigt sich. Es wächst die Bereitschaft, etwas gegen diesen „Feind“ zu unternehmen.
Die Familie entscheidet sich für ein neues Ausbildungsziel – man wechselt vom Offizier zum Techniker: Ab 1919 wird Odilo die Höhere Staatsgewerbeschule für Maschinenbau in Klagenfurt besuchen. Inzwischen haben sich jedoch die Ereignisse überschlagen: Ab Anfang November 1918 besetzen SHS-Truppen, die Hilflosigkeit der eben erst gegründeten Republik ausnützend, das Gebiet südlich der Drau und das Lavanttal bis St. Paul; die provisorische Landesregierung Kärntens, geleitet von Landesverweser Arthur Lemisch, beschließt den bewaffneten Widerstand; Oberstleutnant Ludwig Hülgerth als Landesbefehlshaber und Oberleutnant Hans Steinacher organisieren den „Abwehrkampf“, dem sich nicht nur kriegserfahrene Soldaten, sondern auch junge Freiwillige anschließen – zu ihnen will auch Odilo Globocnik gezählt haben. Glaubt man einer biografischen Skizze, die anlässlich seiner Ernennung zum Gauleiter im Mai 1938 an diverse Zeitungsredaktionen verteilt wird, so gehörte auch er „den freiwilligen Schutzabteilungen an und machte die Gefechte bei Grafenstein und Bleiburg mit, bei denen kleine deutsche Schutzabteilungen einer großen jugoslawischen Übermacht gegenüberstanden. Für sein tapferes Verhalten in den Kämpfen um Bleiburg wurde er mit dem Kärntner Kreuz ausgezeichnet.“ Die Namenslisten der Träger des Kärntner Kreuzes sind im Kärntner Landesarchiv erhalten, der Name Globocnik fehlt allerdings. Nicht ganz überraschend, wenn man bedenkt, dass Odilo im Winter 1918/19 noch nicht einmal 15 Jahre alt ist – was mag er an „tapferem Verhalten“ geleistet haben? Vermutlich taucht der Absolvent der Militär-Unterrealschule tatsächlich im Kampfgebiet auf, übertreibt aber später seine „Leistung“, die eher im Bereich Nachschub und Kommunikation gelegen haben mag. Für einen knapp 15-Jährigen auch dies keine Selbstverständlichkeit. Er will etwas bewegen und engagiert sich; in der erwähnten biografischen Skizze heißt es weiter: „Während der Vorbereitungen für die Volksabstimmung in Kärnten war Globocnik bereits als ‚illegaler‘ Propagandist tätig, indem er das von jugoslawischen Sokoln besetzte Kärntner Gebiet jenseits der Demarkationslinie aufsuchte, um dort Plakate und Anschriften, die für die deutsche Sache werben sollten, anzubringen.“ Das klingt glaubwürdig und passt zum Profil Odilos, der sich in der Rolle des jugendlichen Kämpfers für Heimat und Deutschtum offenbar zunehmend wohlfühlt. Daneben muss er ja auch zur Schule gehen, es kommt, nicht verwunderlich, zu Konflikten – laut Beschluss der Lehrerkonferenz vom 30. April 1921 wird ihm der Ausschluss von der Staatsgewerbeschule angedroht, es bleibt allerdings bei der Androhung; in der Folge konzentriert er sich aufs Lernen, am 11. Juli 1923 maturiert er mit Auszeichnung.
Die familiäre Situation hat sich indes dramatisch geändert: Am 1. Dezember 1919 stirbt sein Vater Franz Globocnik, erst 49 Jahre alt, in Klein Sankt Paul an einer „Krankheit, die er sich im Krieg zugezogen hat“; für Anna Globocnik, die nun mit drei unversorgten Kindern allein dasteht, beginnt ein verzweifelter Kampf ums Überleben. Die ihr regulär zustehende Witwenpension beträgt jährlich nur 1.200 Kronen, für die drei Kinder erhält sie zusätzlich je 240 Kronen „Erziehungsbeitrag“, das bedeutet ein Monatsbudget von 160 Kronen. Zu Weihnachten 1919 schreibt sie daher an die Postdirektion Klagenfurt und bittet um Unterstützung, „weil ich aller Mittel entblößt, mitten unter fremden Leuten mit meinen drei Kindern dem Hungertode anheimfallen müßte“. Anna Globocnik steht auf dem Standpunkt, dass ihr Mann schon in die VIII. Rangklasse vorgerückt gewesen sei und ihr daher auch eine höhere Pension zustünde, eine Behauptung, die sich allerdings nicht beweisen lässt, da entsprechende Unterlagen aus Triest nicht mehr zu erhalten sind. Schließlich schaltet sie in dieser Angelegenheit den Klagenfurter Hof- und Gerichtsadvokaten Dr. Josef Pflanzl ein, der tatsächlich bei Postdirektor Hofrat Dr. Sveceny interveniert: Die Lage der Frau Globocnik sei „derart bedauernswert, dass es tatsächlich unbedingt notwendig ist, dass so rasch als möglich Abhilfe geschaffen wird“. Die Frage der Pensionshöhe für Anna Globocnik wird zum bürokratischen Exzess – eindrucksvoll dokumentiert durch den Akt über Franz Globocnik im Kärntner Landesarchiv.
Odilo, der diesen Überlebenskampf hautnah miterlebt, fühlt sich von nun an als einziger „Mann“ in der Familie für seine Mutter und für seine jüngere Schwester Erika verantwortlich. Da auch seine ältere Schwester Lydia, die später den Fotografen Karl Pommerhanz heiraten und Mutter einer Tochter Henny (Henrica Maria) wird, noch zu Hause wohnt, sind die räumlichen Verhältnisse in der Wohnung der Globocniks in der Klagenfurter Getreidegasse 3 sehr beengt. Um das knappe Familienbudget zu entlasten, verdient sich Odilo durch Koffertragen am Klagenfurter Bahnhof zumindest sein Schulgeld. Und er betätigt sich weiterhin politisch – die Parolen der extremen Rechten sind längst auch die seinen geworden: Der Kaiser, für den zu kämpfen er noch gedrillt worden ist, ist Vergangenheit, er ist bereit für radikale Lösungen und die Szene in Klagenfurt bietet ihm dazu entsprechende Aktionsfelder. Innerhalb des aus den Abwehrkämpfen hervorgegangenen „Heimatschutzes“ bildet sich eine „nationalsozialistische Sturmabteilung“, eine „erste Kärntner SA“, die auf dem Heimwehrhut bereits das Hakenkreuz trägt. Und auch eine erste nationalsozialistische Partei formiert sich, die „Deutschnationalsozialistische Arbeiterpartei“ (DNSAP), eine „auf dem Boden des Volksfreistaates fußende deutscharische Arbeiter- und Volksreform-Partei“, wie es ihr Programmatiker Theodor Denk formuliert. Unermüdlich trommelt die DNSAP, unterstützt vom Kärntner Volkswillen, dem Sprachrohr der Partei, ihre Hassparolen: Es gibt zwar in Kärnten kaum Juden, dennoch sollen sie es sein, die „das Volk bis in den Kern seiner arisch-deutschen Seele vergiften“, die „deutsche Männer“ zwingen würden, sich „an den Mammonismus der Juden zu verkaufen“. „Verjudet“ seien aber auch Sozialdemokratie und Bolschewismus, ja, die Demokratie selbst; es gebe nur einen Weg zur völkischen Gesundung: sich von dieser „artfremden Geißel“ zu befreien. Zum Judenhass gesellen sich der Hass auf die Slowenen, die das „deutsche Kärnten“ bedrohen würden, und eine ausgeprägt antikapitalistische Haltung – es sind genau diese radikalen Parolen und Feindbilder, die dem jungen Globocnik zur politischen Heimat werden. Für einen Schüler der Staatsgewerbeschule nicht ungewöhnlich, wird er zudem Mitglied der Klagenfurter Burschenschaften „Marcomannia“ und „Teutonia“; sein von Antisemitismus und Antislawismus bestimmtes politisches Weltbild findet hier Bestätigung und neue Nahrung.
Ein verzweifelter Hilferuf: das Schreiben Anna Globocniks an die Postdirektion Klagenfurt.
Dennoch bleibt auch Zeit für Vergnügungen: Irgendwann im Laufe des Jahres 1922 besucht der nunmehr 18-jährige Schüler einen Tanzabend im Café Lerch in der Wiener Gasse in Klagenfurt. Et trägt einen dunklen Anzug, der etwas seltsam aussieht: geschneidert aus der Uniform seines verstorbenen Vaters. Der Aufzug Odilos erregt die Aufmerksamkeit zweier Mädchen, die mit ihrem Vater, dem bekannten Abwehrkämpfer Emil Michner, Oberstleutnant a. D., gekommen sind. Grete und Herta Michner machen sich über den „unmöglichen“ Anzug Odilos derart lustig, dass es schließlich dem aufrechten Oberstleutnant