Verkauf. Bei Hohenbeilstein und beim Katharinenhof bestand die Möglichkeit, die umliegenden Wälder hinzuzukaufen.126
Abb. 8:Beschreibung des Anwesens durch den Makler, Anlage zu: Pfeiffer an Reusch, 22. 9. 1916, in: RWWA 130-400101299/0
Vom Maklerbüro erhielt Reusch eine genaue Beschreibung des Ritterguts: Der Katharinenhof war 1848 von Seiner Königlichen Hoheit dem Prinzen Friedrich von Württemberg errichtet worden. Der Grund und Boden umfasste mehr als 26 Hektar mit Wald und Parkanlagen sowie Feldern und Wiesen mit vielen Obstbäumen. „Das Schloss … enthält im Souterrain große Küche mit Speisekammer, Waschküche, Wein- und Gemüsekeller; im Parterre 7 große ineinandergehende Zimmer, worunter größerer Speisesaal, vor der Glastür Dienerzimmer; im I. Stock 9 Zimmer, im Dachstock 4 Eckzimmer und 6 Kammern. … Nach Ansicht mehrerer Sachverständigen zählt das Anwesen zu den schönsten Besitzungen in Württemberg.“127 Am 26. Oktober nahm sich Reusch Zeit zur Besichtigung von Schloss Katharinenhof und Umgebung. Als dann der geforderte Preis auf 215.000 Mark gesenkt wurde, kaufte Reusch am 4. November 1916.128
In diesem Herbst starben Hunderttausende an der Westfront in der Schlacht an der Somme und im Osten bei den Kämpfen in der Ersten Brussilow-Offensive.
Im März 1917 wurde in Backnang bzw. im benachbarten Dorf Strümpfelbach die Auflassung vollzogen. Reusch bezahlte 150.000 Mark mit Reichsanleihen und 68.000 Mark bar. Hinzu kamen noch weitere Beträge für das bewegliche Inventar: Lebendes Inventar 17.072 Mark, Most 2.400 Mark, ein Pferd 2.300 Mark, Einrichtungsgegenstände des Hauses 14.959 Mark, sonstige Vorräte 1.526,58 Mark.129
Mitte April 1917 übernahm eine fest angestellte Wirtschafterin das Kommando auf Schloss Katharinenhof. Zu ihren ersten Aufgaben gehörte es, die Abholung des neuen Schlossherrn am Bahnhof von Backnang durch eine standesgemäße Kutsche zu organisieren.130 Die erste Wirtschafterin blieb nur ein Jahr. Reusch scheint mit ihrer Tätigkeit nicht restlos zufrieden gewesen zu sein. Er erteilte ihr im Juni 1917 eine Rüge wegen ungenauer Abrechnungen: Der Kassenbestand musste nicht, wie von Fräulein Hinderer errechnet, 73,84 Mark, sondern 78,64 Mark betragen.131 Der Büroleiter von Reusch passte genau auf: Im September 1918 wurde sogar eine Differenz von 10 Pfennigen moniert.132
Abb. 9:Schloss Katharinenhof: Zahlungsmodalitäten, in: RWWA 130-400101299/0
Am 1. Juni 1918 trat eine neue Haushälterin ihren Dienst auf dem Katharinenhof an. Sie erhielt einen Monatslohn von 60 Mark, der bei Bewährung in den folgenden Jahren auf maximal 100 Mark ansteigen konnte. Ihre Aufgabe war die Wirtschaftsführung des Schloss-Haushalts und die Beaufsichtigung des Hauspersonals. Sie musste eine Köchin anstellen, „welche auch die herrschaftliche Küche zu führen versteht“. Für die Beaufsichtigung des Personals in den Außenanlagen war der Bürgermeister des benachbarten Dorfes Strümpfelbach zuständig.133 Natürlich brauchte Reusch für die ausgedehnten Parkanlagen auch einen Gärtner. Er hatte dafür einen Unteroffizier im Auge, der allerdings nur für wenige Tage Fronturlaub hatte. Deshalb erteilte der neue Schlossherr vom Katharinenhof dem Bürgermeisteramt von Strümpfelbach die Weisung, die Freistellung des Unteroffiziers vom Dienst an der Front zunächst für drei Monate vom 15. März bis zum 15. Juni 1918 zu beantragen. Das XIII. Armeekorps in Stuttgart lehnte die Freistellung jedoch ab.134 So blieben die Gärten am Schloss Katharinenhof im Frühjahr 1918 wohl ungepflegt.
Abb. 10:Alte Postkarte vom Schloss Katharinenhof, StA Backnang
Die Realität des Krieges
Reusch erhielt viele handschriftliche Briefe von Soldaten an den verschiedenen Fronten. Er antwortete in der Regel prompt und er kümmerte sich in Einzelfällen um die Nöte der Soldaten, die an ihn schrieben. Der Historiker darf also annehmen, dass er ein einigermaßen realistisches Bild von dem Elend an der Front erhielt. Umso mehr befremdet seine Reaktion in einigen Einzelfällen.
Als ihn ein Gefreiter um „Liebesgaben“ für die Rekruten aus Oberhausen und Mülheim zu Weihnachten bat, vermerkte er auf dem Schreiben lediglich: „Antworten Sie dem Mann, dass derartige Gesuche nur von uns berücksichtigt werden können, wenn sie von dem kommandierenden Offizier ausgehen.“135 Ein Rittmeister dagegen, im zivilen Leben Königlicher Oberbergrat, erhielt je 50 Flaschen Rot- und Weißwein „mit den besten Grüßen für den weiteren Verlauf des Feldzuges“. Als derselbe Rittmeister ein halbes Jahr später die Wein-Vorräte aufgebraucht hatte und um Nachschub bat, erhielt er allerdings eine Abfuhr: „Es tut mir außerordentlich leid, dass ich diesmal Ihrer Bitte, Ihnen mit einer Weinsendung unter die Arme zu greifen, nicht entsprechen kann.“ Die Vorräte im Werksgasthaus seien bereits zu stark geschrumpft.136 Aus eigener Tasche zahlte Reusch die Liebesgaben an den Rittmeister also nicht. Allerdings war er bereit, seine goldene Uhrkette für die Rüstung zu spenden. Dem Oberbürgermeister Havenstein schrieb er: „Ich wollte schon zweimal meine goldene Uhrkette bei der Oberhausener Goldankaufsstelle abliefern, um dagegen eine eiserne Kette zu erhalten. Beidemal wurde mir geantwortet, dass eiserne Ketten nicht vorhanden seien. Ich wollte nicht verhehlen, Ihnen hiervon Kenntnis zu geben.“137
Ende 1915 erkundigte sich ein Unteroffizier, vor dem Krieg Maschinist im Werk Neu-Oberhausen, voller Sorge nach dem Schicksal seiner Familie. Er hatte vier Kinder, das älteste davon 9 Jahre. Die Versorgung der Zivilbevölkerung war anscheinend schon zu Beginn des zweiten Kriegswinters so schlecht, dass die Frau ihrem Mann einen verzweifelten Brief geschrieben hatte. Die Werksleitung nahm die Anfrage des Unteroffiziers zum Anlass, erst einmal gründlich zu recherchieren. Dr. Lueg, der Werksleiter persönlich, berichtete Reusch, dass Neu-Oberhausen der Frau eine Krieger-Unterstützung von monatlich 23 Mark zahle, ferner einen Mietzuschuss von 8 Mark. Zweimal habe sie eine zusätzliche Unterstützung von 20 Mark erhalten. „Auch haben wir Weihnachten eines ihrer Kinder beschert.“ Die Frau habe sich mehreren Unterleibsoperationen unterziehen müssen. Die Kosten für die erste Operation in Höhe von 26 Mark habe ihr der Arzt bis nach dem Krieg gestundet, die Rechnungen für die weiteren Operationen habe die Armenverwaltung übernommen. Für die Kleidung ihrer Kinder habe sie 43 Mark Schulden gemacht, diese werde das Werk begleichen. „Die Frau macht einen ordentlichen Eindruck, sie scheint aber etwas hysterisch veranlagt zu sein, denn es liegt kein Grund vor, dass die Frau verzweifelt, da ihre Verhältnisse geordnete sind. … Gleichzeitig haben wir sie gebeten, ihrem Mann solche Klagebriefe nicht mehr zu schreiben und ihn nicht ganz unnötigerweise aufzuregen.“138 Eine Abschrift des Schreibens an Reusch erhielt der Vorgesetzte des besorgten Unteroffiziers. Ausdrücklich im Auftrag Reuschs wurde ihm mitgeteilt, dass die Familie von Staat und Gemeinde 58 Mark und zusätzlich von der GHH noch 31 Mark erhalte. Für die Familie würde ausreichend gesorgt, „wie es überhaupt Gepflogenheit der Gutehoffnungshütte ist, überall dort helfend einzuspringen, wo eine besondere Notlage Hülfe notwendig macht.“ Für den Unteroffizier liege also kein Anlass vor, „über das Schicksal seiner Familie beunruhigt zu sein“.139
Auch von Offizieren erhielt Reusch nicht nur optimistische Durchhalte-Berichte. Im zweiten Kriegsjahr wussten die Soldaten längst über den schrecklichen Hunger in der Heimat bescheid. Als ihn ein Oberleutnant darauf ansprach, reagierte der Konzernherr verschnupft: „Es kann keine Rede davon sein, dass wir wirtschaftlich nicht durchhalten werden. Wir werden mit der Zeit den Riemen noch etwas enger schnallen als bisher, aber durchhalten werden wir, aushungern werden uns unsere Feinde nicht.“140 Am Ende des Jahres 1916 erhielt Reusch von demselben Offizier einen Stimmungsbericht von der Front, den er so nicht akzeptieren wollte. Er widerspreche anderen Nachrichten, die er vom Kriegsschauplatz erhalten habe. „Im allgemeinen wird von den meisten Herren, mit denen ich sprach, die Stimmung der Leute als überraschend gut bezeichnet.“141 Dabei wusste Reusch sehr wohl, was die Soldaten an der Front zu ertragen hatten: „Sie scheinen