Es handelte sich um Spezialgehäuse für die Wüste und die Tropen. Kurz war auf ihre Entwicklung besonders stolz: leichtes Druckgasmetall mit versenkten Schrauben und einer Bedeckung aus tropenfestem Leder. Ideal für Rommels Wüstenfüchse. Die Kuppe seines Zeigefingers glitt liebevoll über das Rad zur Scharfeinstellung. Es bewegte sich nur zögernd. Seine linke Hand schoss nach unten und wies anklagend auf das Mädchen.
»Kleiner Sabotageversuch, was? Damit unsere deutschen Soldaten im Feld blind sind? Ich werde diesen Vorfall melden!«
Justyna, Kamilas Nachbarin, hatte so etwas schon kommen sehen. Seit geraumer Zeit beobachtete sie die merkwürdige Obsession des Meisters für das Mädchen, das Tag für Tag wütender wurde. Verzweifelt blickte sie nach oben und sagte in einem annehmbaren, wenn auch stark akzentuierten Deutsch: »Bitte, Herr, das war keine Absicht. Kamila arbeitet immer sehr gut, Sie werden sehen.«
In diesem Augenblick trat ein weiterer Mann zu den dreien. Im Gegensatz zu Kurz verbreitete er eine gewisse Aura der Lässigkeit, die mit seinem gut geschnittenen aber legeren Anzug korrespondierte. Er schüttelte amüsiert den Kopf. »Was gibt’s denn, Kürzelchen; irgendwelche Probleme?«
Der Meister fuhr herum, als habe ihn eine Natter gebissen. Seine Züge wurden fast übergangslos beflissen. »Ach Herr Doktor, ich hatte Sie gar nicht gehört.«
Er wies vorwurfsvoll auf das Gerät in seiner Hand. »Ich war gerade auf meinem Kontrollgang, da sah ich, wie diese Ostarbeiterin« – er zeigte auf Kamila – »ihre Faust um das Gehäuse schloss, als wollte sie es brechen. Bei einer flüchtigen Untersuchung musste ich feststellen, dass das Rad zur Scharfeinstellung verbogen ist.« Seine schmutzig braunen Augen wurden schmal. »Herr Doktor, das ist einwandfrei Sabotage!«
Der Firmenchef nahm das Gerät entgegen und drehte gedankenvoll an dem Rädchen. Sein Blick fiel auf Kamilas Werkbank und streifte suchend darüber hin. Endlich hatte er das Gewünschte gefunden und ergriff ein winziges Kännchen mit Öl. Mit einer fast zarten Bewegung, die man seinen dicklichen Fingern kaum zutraute, goss er einen Tropfen über das Rad. Er drehte es ein paar Mal hin und her. Das Rädchen bewegte sich unter seinem Finger, als sei es eigens für ihn geschaffen.
Der Doktor reichte das Gerät an den Meister zurück und säuberte sich die Hand mit einem Lappen. Sein Blick fiel dabei auf das Mädchen, das ihn mit einer seltsamen Mischung aus Furcht, Trotz und Verzweiflung anstarrte.
»Na na, Kürzelchen«, sagte er freundlich und versank plötzlich in den gelb schimmernden Augen. Sie erinnerten ihn an etwas, das er erst kürzlich erlebt hatte; er kam nur nicht darauf, was es war. Angestrengt runzelte er die Stirne und überlegte. Ach ja, jetzt hatte er es: Vor einigen Wochen auf der Jagd hatte er einen Luchs entdeckt, der in eine Falle gerannt war. Er winselte und fletschte dabei gleichzeitig mit den Zähnen. Seine zitternde Lefze war voller Blut. Das Tier litt entsetzliche Schmerzen, die es sich selbst zugefügt hatte. Seine in dem Eisen gefangene Pfote hing nur noch an ein paar Muskelfasern und einem Stück Knorpel. Es fehlte ein einziger Biss, dann wäre es wieder frei. Sterben allerdings würde es so oder so. Sein Blick war wie der des Mädchens gewesen, voller Verzweiflung und Hass. Diese Polin, dachte er nachdenklich, erträgt keine Ketten. Sie wird hier in den Baracken sterben. Er riss sich von ihren Augen los und blickte auf Kurz. »Dem Rädchen hat nur ein wenig Öl gefehlt, sehen Sie?«
Sein Blick schweifte über die kleine Gruppe wie der eines Bürgermeisters, der ein paar unverbesserliche Streithähne beschwichtigt.
»Ich glaube, diese Frauen und Mädchen hier tun ihre Pflicht und, wenn es auch nur Ostarbeiterinnen sind, wollen wir doch nicht gleich annehmen, sie seien bösartig, nicht wahr? In dubio pro reo, wie der Lateiner so schön sagt; daran wollen wir uns doch gerade in diesen Zeiten halten, nicht wahr Kürzelchen?«
Er wollte sich bereits abwenden, da fiel ihm noch etwas ein. Er beugte sich zu der scharf riechenden jungen Frau hinunter und fragte sanft: »Wie heißt du denn? Du kannst doch Deutsch, oder?«
Sie starrte ihn noch immer aus wilden Augen an und nickte trotzig. »Kamila«, presste sie so heiser hervor, als müsste sie ihre Stimmbänder dazu zwingen.
Damit war ihr weiteres Schicksal besiegelt.
3. Atelier
8. September 2010
Das Künstleratelier direkt unter dem Dach verdiente seinen anspruchsvollen Namen zu Recht: Es wurde durchweht vom Atem eines kreativen Chaos. Der wellige Parkettboden war übersäht mit alten Zeitungen voller Farbe. Etwa in der Mitte stand ein Tisch, auf dem sich gebrauchte Paletten, ein voller Aschenbecher, eine halb leere Flasche Wein und mehrere verklebte Gläser zu einem Stillleben verbanden. Das an sich gemütliche Sofa war belegt von alten Zeichnungen und Skizzen. An den geraden Wänden hingen großflächige abstrakte Bilder, während die Freiflächen darunter vollgestapelt waren mit Materialschränken, Leinwand, Holzteilen und kaputtem Werkzeug.
Sigi trug über seiner Alltagskleidung einen ehemals grauen Kittel, der völlig verschmiert war. Während er mit einem Kunden von Bild zu Bild schritt, versuchte er immer wieder vergeblich, den störenden Unrat aus dem Weg zu räumen.
Der stattlich gebaute, mittelalterliche Wirt nickte begeistert. »Also, was du da machst, ist … toll, sensationell!« Ede trat unentschlossen von einer Wand zur anderen. »Welches passt jetzt am besten in meine Kneipe? … Dies hier … oder das andere?«
Sigi breitete die Arme aus, als wolle er seinen Segen gleichmäßig zwischen seinen Bildern und ihrem potentiellen Aufkäufer verteilen. »Nimm doch einfach beide, dann bist du den Druck los.«
Der Wirt schlug ihm jovial auf die Schulter. »Würde ich wirklich gern! Du weißt ja, wie das ist: Die Umstände sind auch nicht mehr, wie sie einmal waren. Aber du bist ein feiner Kerl, und Kunst soll man ja unterstützen. Also, ich mache dir einen Vorschlag: Ich nehme dieses Bild hier mit, und du bekommst als Anzahlung bar auf die Hand fünfzig Euro! Spätestens in einem Monat erhältst du die restlichen Zweihundert.«
Der Künstler griff sich an die hohe Stirn. »Hatten wir in deiner Kneipe nicht von Dreihundert gesprochen – und das mit der Anzahlung …«
Ede schüttelte seinen voluminösen Kopf, dessen Resthaar zu einem rachitischen Pferdeschwanz gebündelt war. »Dreihundert ist völlig unmöglich. Schon die Zweihundertfünfzig sind eigentlich zu viel. Ich mache das nur, weil ich dein Freund bin, mehr ist beim besten Willen nicht drin.«
Er riss den Mund auf wie ein Walfisch auf dem Trockenen, gähnte ausgiebig und wandte sich zum Gehen. »Also überlege es dir. Aber nicht zu lange – du weißt, die Bilder von Oskar sind fast genauso gut wie deine; und der ist absolut wild drauf, seine Ergüsse bei mir hängen zu sehen …« Der Wirt eilte mit stampfenden Schritten in Richtung Ausgang.
Sigi hastete hinterher und lächelte verkrampft. »Nein, es ist schon in Ordnung. Ich dachte nur, die Anzahlung … könntest du nicht vielleicht doch hundert …?
Ede wandte sich zu ihm um und feixte. »Nichts da, fünfzig Euro, mehr habe ich gar nicht dabei. Wenn du willst, kriegst du die Kohle sofort, und ich nehme das Bild gleich mit.«
Sigi fühlte einen leichten Schwindel; einen Augenblick lang drehten sich seine wunderbaren Bilder, die Farbtiegel, Paletten und Haufen von alten Zeitungen vor ihm im Kreis. Sein Blick irrte durch die sich bewegende Materie, stieß sich an den Schweinsaugen des Wirts und brachte den schwankenden Raum zum Stillstand.
»Also gut!« Er seufzte leise, nahm vorsichtig das Bild von der Wand, strich abschließend über die farbige Leinwand und wickelte es in Papier. »Pass gut darauf auf! Das ist eines meiner Lieblingsbilder.«
»Na klar.«
Ede nahm das Werk in Empfang und zog mit großer Geste den Geldbeutel aus der Tasche. Er war prall gefüllt mit Scheinen. Der Wirt leckte sich die Finger, zog einen Fünfziger heraus und drückte ihn Sigi in die Hand. »Aber nicht gleich alles ausgeben!« Er schlug dem Maler auf die Schulter und hastete endgültig zum Ausgang.
Sigi