Mark Benecke

Memento Mori


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deren Sinn uns bis heute verborgen ist.) Stellen Sie sich vor, jedes der getroffenen Gene habe eine Nummer, von 1 bis 15. Jede Nummer, also jedes Gen, ist eine Bauanleitung für eine Zutat in einem körpereigenen Rezept. Alle fünfzehn Zutaten ergeben gemeinsam ein nützliches Gesamtes, etwa das Rezept für Teile einer lichtempfindlichen Zelle im Auge oder für ein winziges Hohlkügelchen in der Zelle, das Moleküle transportiert.

      Insgesamt enthält der Faden mehrere zehntausend verschiedene Rezeptteile. Stellen Sie sich vor, wie oft Sie in den Faden stechen können, ohne dieselben Zellrezepte ein zweites Mal zu berühren! Und wenn Sie oft genug zustechen, haben Sie auch das Rezept für »Altern ab dem fünfundzwanzigsten Lebensjahr« getroffen. Wie kann man ein solches Rezept im echten DNA-Faden finden?

      Mit Elektronenmikroskopen gelingt es, einzelne zarte Säurefäden sichtbar zu machen. Leider sind sie durch die notwendige Vorbehandlung mit einer dicken Metallschicht zugeschüttet. In Wirklichkeit erkennt man also nur das Metall, das darüber geschichtet ist. Auch hier ist die Information für »Altern« noch nicht zu sehen. Was tun?

      Eine alte Genetikerregel lautet: Du findest ein Gen am besten, wenn du dir eine lebende Zelle anschaust, in der das gesuchte Gen nicht mehr arbeitet. Das hört sich widersprüchlich an, es funktioniert aber: Eine Zelle, die anders ist als alle anderen, ist oft leicht zu erkennen. Um das Gen für Altern zu finden, warte ich, bis eine Zelle auftaucht, die nicht altert.

      Solche Zellen gibt es. Meistens ist ihr Auftreten jedoch kein Anlass zur Freude. Im Gegenteil. Meistens sind unsterbliche Zellen nichts anderes als Krebszellen.

      Wie man aus Bananen DNA gewinnt

      Irgendwo in der Erbsubstanz sitzen die Anweisungen für das Altern und Sterben. Wenn man aus einem solchen DNA-Faden die unerwünschten Alterungsbefehle herausschneidet, sollte ein unsterbliches Lebewesen entstehen – möchte man meinen. Dazu muss man zunächst an den Erbfaden gelangen. Eine einfache Methode der DNA-Gewinnung hat der Autor selbst erdacht und erprobt. Man nehme:

      1/4 reife Banane

       2 1/2 EL Kochsalz

       ein dünner Schaschlikspieß (Holz)

       einen Esslöffel hochwertiges Vollwaschmittel

       Brennspiritus

      Bananenviertel mit einer Gabel zerdrücken. Brei in ein Glas (0,3 Liter) geben, mit Leitungswasser auffüllen und einen Esslöffel hochwertiges Vollwaschmittel sowie 2 1/2 gehäufte EL Kochsalz zugeben. Kurz aufkochen umrühren, vom Herd nehmen. Abkühlen lassen und einen Schuss Brennspiritus zugeben. Mit dem Spieß (Spitze auf dem Boden des Glases) langsam rechtsherum rühren.

      Um die Spitze wickelt sich nach kurzer Zeit eine geringe, aber gut sichtbare Menge einer gelatineartigen Substanz. Jetzt zieht man die Bleistiftspitze am Rand des Glases nach oben und zupft die Masse ab.

      Man kann mehrmals in dem Bananen-Salz-Cocktail fischen. Immer wieder wickeln sich einige tausend Informationsfäden aus DNA und viele Proteine um die Bleistiftspitze. Würde man auf dieser DNA den Todescode finden, herausschneiden und den Rest des Informationsfadens wieder in eine Zelle einbauen, entstünde ein unsterblicher Bananenbaum.

      (Der Versuch ist ungefährlich. Wenn Sie die DNA nicht herausgefischt hätten, hätten Sie diese zusammen mit der restlichen Banane verspeist.)

      In der DNA einer Familie mit erblicher Vierfingrigkeit ist gegenüber der DNA anderer Menschen eine Stelle verändert. Genauso verhält es sich mit der nicht alternden Zelle. Etwas in ihr ist verändert. Eine solche Änderung innerhalb des DNA-Informationsfadens nennt man Mutation. Jede Bauanleitung jeder Zelle kann mutieren. Das Rezept für Fünffingrigkeit kann sich ebenso verändern wie das für Altern oder jedes andere.

      Eine DNA-Veränderung oder Mutation ist nicht von vornherein gut oder schlecht. Der erblich bedingte Verlust eines Fingers war beispielsweise die Voraussetzung dafür, dass sich die Hufe von Pferden, Milchkühen, Giraffen und Kamelen entwickeln konnten.

      Niemand bezweifelt, dass Hufe für das Laufen auf vier Beinen vortrefflich geeignet sind. Der Verlust des Alterns hingegen ist nur für eine einzelne Zelle von Vorteil. Sie vervielfältigt sich rasch und erinnert vollkommen an die unsterblichen Urtiere, die noch vorgestellt werden. Das Krebsgeschwür ist eine Ansammlung praktisch gleicher, unsterblicher Zellen. Durch die ständige ungeregelte Teilung einer einzigen mutierten Zelle und ihrer Nachkommen kommt schließlich der ganze Körper aus dem Gleichgewicht: Das Krebsgeschwür drückt Leitungsbahnen zu, behindert die Funktion von Organen oder entstellt unter Umständen die Erkrankten.

      Es gibt sehr viele Möglichkeiten, wie aus einer normalen Zelle eine Krebszelle werden kann. Entsprechend gibt es sehr viele verschiedene Arten von Krebs. Wegen der vielen Entstehungs- und Erscheinungsformen von Tumoren wird es wohl niemals eine Behandlungsmethode gegen alle Krebsarten geben. Es gibt auch kein vorbeugendes Mittel dagegen. Das Zusammenspiel der Zellen des Körpers kann jederzeit aus dem Gleichgewicht geraten. Der Traum vom Sieg über den Krebs wird sich vermutlich nicht erfüllen. Ein Gutes hat die Krebsforschung aber in jedem Fall: Sie bringt unser Wissen um den Aufbau und die Vorgänge in Zellen seit dreißig Jahren enorm voran. Ohne die Krebsforschung wären sehr viele biomedizinische Fortschritte nicht (oder nicht so rasch) möglich gewesen. Seit wir Zellen besser verstehen, können wir viele andere Krankheiten behandeln, die eigentlich nicht unter den Begriff Krebs fallen. Außerdem haben wir vieles über Zellen gelernt, das wir bislang noch nicht praktisch nutzen konnten. So ist es oft in der Forschung: Versuche, die einem bestimmten Zweck dienen sollen, bringen ein anderes Wissensgebiet voran. Und umgekehrt kommt die Lösung für ein teuer und lange untersuchtes Problem oft aus einem Bereich, von dem man es nie erwartet hätte. Der Aufbau der DNA, der Geheimschrift des Lebens, wurde zum Beispiel erst durch rein physikalische Versuche (Röntgenbeugungsmuster) endgültig aufgeklärt.

      Um den Tod zu verstehen, muss man etwas über das Altern wissen. Lange glaubte man, dass Zellen einfach sterben, weil sie nach einiger Zeit zu viele Abfallstoffe in sich tragen. Zellabfallstoffe entstehen durch Atmung, Verdauung und Bewegung. Diese Vorgänge benötigen Energie, und Energieerzeugung verursacht Abfall. Was den Atomkraftwerken die alten Brennstäbe sind, sind den Zellen unverwertbare winzigste Nahrungs- und Zellbestandteile. Diese Reste werden – ganz ähnlich wie verbrauchte Brennstäbe – sicherheitshalber umhüllt. Die Zelle kann den giftigen Müll oft nicht ausstoßen, deshalb bleibt er in ihr liegen. Man kann sich durchaus vorstellen, dass die Zelle sich auf diese Weise langsam selbst vergiftet, bis sie stirbt. Diese Idee soll im 16. Jahrhundert schon der streitbare Arzt Philippus Theophrastus Paracelsus vorgetragen haben. Ende des 19. Jahrhunderts wiederholte sie der Zellbiologe Elias Metschnikow. Als Biologe wundert man sich allerdings ein wenig über das (gewollte?) Vergiftungsmissgeschick der sonst so elegant gesteuerten Zellen.

      Die berühmten Biologen Charles Darwin und August Weismann gingen Ende des 19. Jahrhunderts davon aus, dass eine Zelle sich ähnlich wie eine Maschine abnutzt. Dass dieser Vergleich hinkt, zeigt aber schon das Beispiel eines Muskels, der sich bei Nichtbenutzung, etwa im Gipsverband, zurückbildet. Eine Maschine würde so etwas nicht tun. Wenn eine Zelle sich schon wie eine Maschine verhalten soll, muss sie alle oder zumindest viele maschinenähnliche Eigenschaften zeigen und nicht bloß eine einzelne.

      Eine wesentlich bessere Erklärung für den Tod der Zellen fanden die Forscher schließlich auf der Schwelle zum 20. Jahrhundert, als sie eine Blutzelle in einem Glasschälchen züchten wollten. Sie setzten eine junge, lebendige Zelle in einen Flüssigkeitstropfen, stellten eine für das Wachstum günstige Temperatur ein, gaben Nährstoffe zu und sorgten für Sauerstoff zum Atmen. Die Zelle starb. Daraufhin verbesserten die Wissenschaftler die Lebensbedingungen der Zelle. Sie füllten eine Glasschale mit einem Gelee aus gekochten Algenzutaten und setzten die Zelle darauf. Nichts geschah. Sie gaben recht wahllos weitere Nahrungsstoffe zu. Nun überlebte die Zelle. Sie entwickelte sich aber nicht weiter. Da kam einer der Forscher auf die Idee, dem Nährboden Blutserum zuzusetzen (das Serum ist der Teil des Blutes, der nach Wegnahme der roten Blutkörperchen übrig bleibt). Von da