Mark Benecke

Memento Mori


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elegans, aber auch in der Taufliege Drosophila melanogaster konnten Genetiker bereits mehrere Gene finden, die gezielt Zellen des eigenen Körpers umbringen. Besonders berühmt sind zwei Selbstmordgene namens ced-3 und ced-4, die in jeder Körperzelle des Fadenwurms stecken.

      Während der junge Fadenwurm heranwächst, sterben in ihm bestimmte Zellen zu vorhersagbaren Zeitpunkten ab. Das ist wenig dramatisch – derselbe Vorgang findet statt, wenn sich Menschenfinger bilden: Ohne programmierten Zelltod würden sich zwischen unseren Fingern Schwimmhäute spannen.

      Wenn man zwei der Selbstmordgene im Wurm ausschaltet (das ist problemlos möglich), dann überleben sämtliche Zellen, darunter auch solche, die bei der Normalentwicklung sterben, um Raum für neu entstehende Organe zu schaffen. Thomas Johnson gelang es schon Anfang der Neunzigerjahre an der Universität Colorado, ein Todesgen des Fadenwurms auszuschalten und die Lebenszeit der Tiere dadurch zu verdoppeln. Ganz ähnliche Gene gibt es in den Zellkernen der Säugetiere. Besonders erwähnenswert sind auch so genannte Überlebensgene wie das Gen p53. Sie verhindern den programmierten Zelltod, ohne dass Todesgene ausgeschaltet werden müssten.

      Einige US-amerikanische Entwicklungsgenetiker denken schon heute laut darüber nach, Medikamente für Menschen zu entwickeln, die Todesgene beeinflussen. Dieser Vision sind zumindest Taufliegen- und Fadenwurmforscher schon recht nahe.

      In der Taufliege wurde beispielsweise ein Gen namens reaper (Sensenmann) entdeckt. Es leitet den kontrollierten Zelltod ein, sobald eine bestimmte Menge von Todessignalen in die Zelle gelangt. Schaltet man das Sensenmanngen aus, können selbst beschädigte oder kranke Zellen weiterleben. Medizinisch (das heißt beim Menschen) wäre so etwas nicht von Nutzen, denn beschädigte Zellen müssen unbedingt aufgelöst werden.

      Bessere Kandidaten im Hinblick auf eine medizinische Altersvorbeugung könnten andere Todesgene wie der DNA-Abschnitt apo E sein. Man hat das Gen zwar noch nicht ausgeschaltet, aber an der Universität Harvard fand Thomas Perls Arbeitsgruppe heraus, dass sehr alte Menschen, denen das apo-Gen E4 von Natur aus fehlt, besonders gesund und lebensfroh sind. Natürlich kann man sich nicht ganz sicher sein, dass das Fehlen von apo E4 und das Altersglück wirklich zusammengehören. Wenn man aber die Ergebnisse psychologischer Tests, die das Wohlbefinden prüfen, mit molekularen Tests für das Fehlen von apo E4 vergleicht, gibt es Übereinstimmungen: Menschen ohne apo E4 geht es oft besser.

      Sicher ist jedenfalls, dass es einen engen Zusammenhang zwischen dem Altern, das streng genommen ab dem fünfundzwanzigsten Lebensjahr beginnt, und dem Programm unserer Gene gibt, die das Altern fest vorschreiben.

      Die Zeiger der Lebensuhr bestehen aus DNA. Wie aber funktioniert das von Genen gesteuerte Altern in der einzelnen Zelle?

      Am Altern sind viele Zellvorgänge beteiligt. Einer der bekannteren ist das »Kappentragen«. Auf beiden Enden der DNA-Moleküle der einzelnen Chromosomen sitzt jeweils eine Art Kappe aus Wiederholungen der Basen folge TTAGGG, welche die DNA vor zersetzenden Stoffen schützt. Die Kappe ähnelt in ihrer Wirkung einem Ritterhelm, der Schwerthiebe abwehrt. Jedes Mal, wenn sich eine Zelle teilt und vermehrt, wird die Kappe vorübergehend abgenommen und nach vollendeter Teilung rasch wieder aufgesetzt. In alternden Zellen beobachtet man manchmal, dass die Schutzkappe von Teilung zu Teilung weniger haltbar zu werden scheint. In sehr alten Zellen ist sie bereits ziemlich brüchig oder verkürzt. Vielleicht wird sie von der Zelle absichtlich beschädigt. Das hat zur Folge, dass DNA-zerstörende Substanzen zuletzt ihren tödlichen Streich gegen die ungeschützte Erbsubstanz führen können.

      So könnte sich auch erklären, warum sich alte Zellen nur noch schlecht züchten lassen und nach einer genau festgelegten Anzahl von Teilungen aufhören, sich zu vermehren: Die Schutzkappe der DNA ist zerstört. Selbst Sauerstoff und Wachstumsfaktoren nützen dann nichts mehr.

      Doch warum weihen sich Zellen selbst dem Tod? Dafür gibt es drei Gründe. Der erste wurde bereits angesprochen. Beim Heranwachsen einer menschlichen Hand sind Selbstmordopfer notwendig, um die Finger herauszumodellieren. Es ist das gleiche Verfahren, mit dem auch ein Bildhauer aus einem Steinbrocken eine Figur entstehen lässt. Erst das Wegschlagen von Gestein führt zu den Formen des gewünschten Modells. Genauso ist es beim jungen menschlichen Embryo, der noch Schwimmhäute besitzt. Während die Finger und Zehen entstehen, sterben die dazwischenliegenden Hautbereiche ab. Das ist genetisch vorprogrammiert und sinnvoll.

      Der zweite Grund für den absichtlichen Zelltod besteht darin, dass stark beanspruchte Zellen ersetzt werden müssen. Das gilt zum Beispiel für Hautzellen, die starkem Abrieb ausgesetzt sind. Aber auch die Zellen der Leber, die das Blut entgiften, können sich abnutzen. Früher oder später werden sie durch frische Leberzellen ersetzt. Alle Zellen des Körpers, die erschöpft sind und nicht mehr voll funktionieren, werden abgeschaltet und durch neue, frische Zellen ersetzt.

      Auf diese Weise wird fast unser gesamter Körper mehrmals im Laufe unseres Lebens erneuert. Diese Generalüberholung geht in verschiedenen Organen allerdings verschieden schnell vonstatten. Besonders kurzlebig sind rote Blutzellen: 2,4 Millionen von ihnen sterben in jeder Sekunde in unserem Körper und werden sofort ersetzt. Leber- und Knochenzellen bleiben immerhin einige Jahre funktionstüchtig.

      Lebensdauer einiger Zelltypen

Mittlere Lebensdauer
Magenzellen 1,8 Tage
Luftröhrenzellen 47,5 Tage
Lungenzellen 81,1 Tage
Rote Blutkörperchen 120,0 Tage
Haut des Ohres 34,5 Tag
Haut auf den Lippen 14,7 Tage

      Während eines Jahres bilden sich rein rechnerisch neu:

      228 Dünndarmwände

      192 Magenausgänge

      25 Hautbedeckungen der Lippen

      18 Lebern

      8 Luftröhren

      6 Harnblasen

      Nach etwa sieben Jahren sind wir im wahrsten Sinne des Wortes neue Menschen; nur Nerven und Muskeln werden praktisch nicht erneuert. Dass wir dennoch nicht alle sieben Jahre zart wie Neugeborene aussehen, liegt daran, dass sich erstens nicht alle Zellen gleichzeitig und aufeinander abgestimmt erneuern und dass zweitens ein anderes »Programm« das »Erneuerungsprogramm« überlagert. Es heißt Altern und Sterben, und es führt dazu, dass die Erneuerungsrate und -güte abnimmt.

      Gäbe es Letzteres nicht, so könnten sich menschliche Körper möglicherweise sehr lange oder gar ewig erneuern und zellulär verjüngen. Warum also muss der mühsam aufgebaute Organismus nach einigen Jahrzehnten sterben?

      Die Antwort auf diese Frage ist der dritte Grund für das in der Erbsubstanz programmierte »freiwillige« Sterben der Lebewesen.

      Auch wenn es einem lebenden Erwachsenen nicht einleuchtet, dass er zugunsten seiner Art sterben muss, ist das sozial notwendige Geschehen – eben Altern und Sterben – in seiner DNA vorherbestimmt. Der Grund dafür ist, dass sich während der Entwicklung des Lebens ein über dem Einzelnen stehendes Prinzip entwickelt hat: das der Anpassung an veränderte Umweltbedingungen. Unsterbliche Einzelmenschen könnten diese Anpassung nicht leisten, denn sie würden immer wieder nur sich selbst aus der immer gleichen Erbsubstanz herstellen.

      Ändert sich die Umwelt, so können möglicherweise nur solche Nachkommen überleben, die wegen der Vermischung des Erbgutes der Eltern und vielleicht auch durch kleine Zufallsabwandlungen (Mutationen) des Erbgutes besser als ihre Ahnen in das neue Umgebungsgefüge passen. Da niemand vorhersagen kann, welche Art von Veränderung stattfindet – Hitze, Kälte,