Uwe Schimunek

Der ermordete Gärtner


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Sie also hier, Herr … Eckenbernd – oder wie war das gleich?» Bölke japste beim Sprechen, als habe er minutenlang die Luft anhalten müssen.

      «Eggebrecht. Meinem Vater gehört der Garten da drüben.» Eggebrecht wies auf die Hecke, die ein paar Meter weiter vis-à-vis am Wegesrand stand. «Er bat mich, ein paar Sachen herzubringen. Ich habe nämlich heute meinen freien Tag. Es scheint mir auch besser zu sein, hier regelmäßig nach dem Rechten zu schauen.»

      «Wie heißt Ihr Vater?»

      «Eggebrecht.»

      Bölke sah ihn an, als wolle er ihn am liebsten einkerkern.

      «Paul, Paul Eggebrecht.»

      Bölke wandte sich zur Kleingärtner-Ausgabe von Patachon. «Den kennen Sie aber, Herr Zebulke.»

      «Natürlich kenne ich den Eggebrecht-Paul. Hält seinen Garten in Ordnung, der Paule. Vielleicht könnte die Hütte mal einen Anstrich vertragen.»

      «Dann lassen Sie uns doch schauen, ob die Diebe auch Ihren Garten besucht haben», sagte Bölke.

      «Die Bande hat den ganzen Weg herunter marodiert», erklärte Zebulke. «Oben beim Hempel-Adam haben sie den Geräteschuppen aufgebrochen, bei mir waren sie in der Laube und dann auch noch beim armen Gebhardt-Franz.»

      Bölke sah den Dürren böse an, aber der bemerkte das nicht und redete weiter. «Übel haben sie den Gebhardt-Franz zugerichtet, die Strolche. Ich habe ihn heute Morgen gefunden.» Bei seinen letzten Worten zeigte Zebulke hinter sich zum Garten, in dem sich der Photograph und die Spurensucher tummelten.

      «Und der Herr Gebhardt war über Nacht in seiner Laube?», fragte Eggebrecht.

      «Werter Herr Eggebrecht», Bölke blieb stehen und sprach laut, als hielte er eine Ansprache, «ich kann Ihnen bestätigen, dass wir Ermittlungen wegen eines Tötungsdeliktes aufgenommen haben. Und Herr Zebulke hat es Ihnen gesagt, wir haben Anlass zur Annahme, dass es sich bei dem Toten um Herrn Franz Gebhardt handelt. Mehr gibt es im Augenblick nicht zu sagen. Auch nichts zum Zeitpunkt einer etwaigen Tat.»

      Bölke lief wieder los. Eggebrecht und Zebulke trotteten hinterher. Für einen Moment war nur das Knirschen ihrer Schritte zu hören.

      In Höhe der Eggebrecht’schen Hecke sagte Bölke zu Zebulke: «Ich möchte Sie bitten, keine Gerüchte in Umlauf zu bringen.» An Eggebrecht gewandt fuhr er fort: «Und wenn Sie oder Ihr schreibender Freund Katzmann Informationen brauchen, dann melden Sie sich bitte bei mir. Ausschließlich bei mir!»

      Zebulke nickte, Eggebrecht auch.

      «Na, dann ist ja alles klar.» Bölke blickte über das Gartentor zur Laube des alten Eggebrecht. «Ich schicke Ihnen einen Beamten, der mit Ihnen den Schaden an Ihrer Laubentür protokolliert.»

      Konrad Katzmann saß in seinem Bureau und starrte auf seine Schreibmaschine. Die Erika hatte er sich im vorigen Jahr geleistet, das zusammenklappbare Modell konnte er auf Reportagereisen oder nach Dresden mitnehmen. Im Augenblick war die Walze leer. Und selbst wenn er einen Bogen Papier einspannen würde, fiele ihm bestimmt nichts ein. Seine Gedanken waren nicht in diesem Bureau …

      Er nahm den Stapel Papier in die Hand, den Leistner ihm vorhin übergeben hatte. Der Chefredakteur wollte, dass er die wichtigsten Artikel der heutigen Ausgabe las, bevor die Leipziger Volkszeitung am Nachmittag erschien. Katzmann überflog die erste Seite. Parteitag der Volkspartei. In dem Artikel lobte der Vorsitzende der Deutschen Volkspartei das Ende des politischen Tauziehens um den Youngplan, der dem Deutschen Reich gewisse Entlastungen bei den Reparationszahlungen aus dem Ersten Weltkrieg verschaffte. Jetzt müsse die Deutsche Volkspartei für die innere Sanierung der deutschen Wirtschaft und der Finanzen ernsthaft Sorge tragen. Er blätterte weiter. Brotgesetz und Zollerhöhung. Der Einspalter, der neben den Aufmacher auf die erste Seite sollte, prangerte einen Gesetzentwurf an, der Getreideimporte aus Russland verteuern sollte. Eingestandenermaßen hat der Gesetzentwurf nur den einen Zweck: Steigerung des Roggenbrotkonsums zugunsten des tiefverschuldeten roggenbauenden Großgrundbesitzes östlich der Elbe.

      Katzmann konnte sich nicht konzentrieren. Am besten bat er Leistner um ein paar Tage Urlaub und setzte sich in den nächsten Zug zurück nach Dresden. Oder noch besser, er tat so, als ob er für eine Geschichte in Dresden recherchieren müsse. Dort versuchte der Präsident des sächsischen Staatsrechnungshofes, Walther Schieck, ein Kabinett aus parteilosen Fachministern zusammenzustellen. Bestimmt fand Katzmann einen kleinen Mitarbeiter in einem Ministerium, an dessen Beispiel er die Ränkespiele der Macht schildern konnte.

      Wenn er gleich zu Leistner ging, schaffte er vielleicht noch den 11.35-Uhr-Zug und wäre gegen drei Uhr nachmittags in Dresden. Katzmann stand auf, durchquerte mit wenigen Schritten seine Schreibstube und trat auf den Flur.

      Das Bureau des Chefredakteurs lag schräg gegenüber. Leistners Tür war geschlossen, also klopfte Katzmann an. Drinnen blieb es still. Vorsichtig drückte er die Klinke und zog die Tür einen Spaltbreit auf.

      Leistner hielt den Hörer seines Fernsprechapparates in der Hand und nickte, als könne sein Gesprächspartner ihn sehen. Oder bat er Katzmann herein? Nein, Leistner blickte jetzt auf, sah Katzmann und gab ihm per Handzeichen zu verstehen, dass er beschäftigt sei. Dabei versuchte der Chefradakteur, gleichzeitig den Kopf zu schütteln und seinem Anrufer zuzunicken. Beim Versuch, durch das Spreizen der Finger eine Zehn zu zeigen, rutschte Leistner der Hörer beinahe aus der Hand. Katzmann schloss die Tür.

      In seiner Schreibstube klingelte der Telephonapparat. Versprach das Ablenkung, oder drohte Arbeit? Und wollte er das überhaupt herausfinden? Er trottete langsam zurück zu seinem Sekretär, auf dem der Fernsprecher stand. Der Anrufer schien Geduld zu haben, es klingelte mittlerweile bestimmt zum fünften Mal …

      Katzmann ließ sich auf seinen Stuhl fallen und hob den Hörer ab. Das Fräulein vom Amt meldete einen Anruf von Herrn Eggebrecht … Heinz Eggebrecht, der alte Kumpel – seit Monaten hatten sie keinen Kontakt gehabt. Und nun meldete er sich am Montagvormittag per Telephon. Was konnte es so Dringendes geben?

      «Konrad, du glaubst ja nicht, was mir gerade passiert ist …»

      «Guten Tag, Heinz!»

      «Ach ja, Tag auch, Konrad! Du glaubst ja nicht …»

      «Nun mach mal langsam, Heinz! Wie geht’s dir denn so?»

      «Gut. Aber eben … Ich habe Bölke getroffen.»

      Bölke, Oberkommissar Bölke – der Name rief bei Katzmann mehrere Mordfälle in Erinnerung. Wann waren die gewesen? Der letzte lag vier Jahre zurück, 1926. Seit dem anderen Fall mit Bölke waren bestimmt zehn Jahre vergangen.

      «Und wo Bölke ist, was gibt es da?»

      Was stellte Eggebrecht für dumme Fragen? Was sollte es bei Bölke schon geben? Polizeiautos? Dienstmützen?

      «Eine Leiche. Ganz frisch tot. Mord. Bestimmt. Vom Täter ist nichts bekannt.»

      «Das sagt Bölke? Mord? Bestimmt?»

      «Ach Konrad, du kennst doch den dicken Kerl. Der sagt nichts. Jedenfalls nichts, womit man etwas anfangen könnte.»

      «So …»

      «Aber ich habe einen Kopf mit Augen und Ohren, und eins und eins krieg ich auch zusammengezählt.»

      «Du kannst rechnen. Und deswegen rufst du mich an?» In der Leitung war es still. Katzmann überlegte, ob er zu weit gegangen war. Eggebrecht konnte nichts für seine schlechte Stimmung. «Tut mir leid, Heinz.»

      «Ich habe jedenfalls Photographien vom Tatort aufgenommen. Gleich nachdem die Polizisten weg waren. Da hat jemand eine hübsche Sauerei veranstaltet.»

      Katzmann brummelte: «Hm.»

      «Ich zeige dir die Bilder gern.»

      «Hm.»

      «Und dann schauen wir, ob da eine Geschichte hinter dem Blutbad lauert.»

      Vielleicht hatte der alte Freund recht. Möglicherweise lag in einem Mordfall die Abwechslung, die