Judith May

Wege nach Südafrika


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glücklich über den baldigen Besuch unseres Kindes zu sein. Anna würde also bei dieser schwarzen Familie leben und alle freuten sich in Kagiso auf Annas Ankunft im August. Kagiso ist eine Wohnsiedlung (genannt Township) unweit von Johannesburg in der Provinz Gauteng.

      Wir in Leipzig arbeiteten die Checkliste der Reisevorbereitungen ab und eröffneten ein Konto für das Ausland, beantragten das Visum bei der Botschaft in Berlin, kauften einen geeigneten Koffer und Kleidung, überlegten laufend welche sinnvollen Geschenke wir für die Gastfamilie in Kagiso mitgeben könnten. Inzwischen traf auch das Flugticket für den 12.8.03 bei uns in Leipzig ein und eigentlich fehlte nur noch das Visum, welches erst kurz vor Reisebeginn zugestellt werden sollte.

      Doch erst mal wollten wir richtig zünftig mit unserer großen Familie, unseren lieben Freunden und einigen Kolleginnen die Silberhochzeit feiern. Der Tag unseres großen Festes favorisierte zum wohl heißesten Tag des Sommers und kurbelte mächtig den Wasserkonsum bei unseren Gästen an, doch den rechnungstechnischen Ausgleich dafür schaffte ein ganz geringer Ausschank an alkoholischen Getränken. Unser großer Tag begann mit meiner Rede, ich stellte alle unsere lieben Gäste vor – mit viel Humor und Frohsinn wurde applaudiert und anschließend mit einem kühlen und prickelnden Sekt angestoßen. Unsere Marie und ihr Matthias starteten mit Musik der 70er und 80er Jahre und die Tanzrunde war recht schnell eröffnet. Jeder unserer Gäste hatte etwas vorbereitet, es gab Spaß und Frohsinn, fröhliches Gelächter und bei dem Lied vom damals hochaktuellen »Holzmichel« spielten alle lustig mit. Es gab eine mächtige Schwitzorgie an diesem Abend, der sich bis in die frühen Morgenstunden hinzog. Eine unerwartete Überraschung verschaffte uns ein Jongleur mit seiner gelungenen Show – eine wirklich sehenswerte Einlage – organisiert durch unsere Kinder. Die Schwiegertochter unserer langjährigen Freunde bot ihren ausgesprochen eindrucksvollen Gesang (u.a. »Memorys« aus dem Musical »Cats«) dar und ich hatte echt Gänsehaut, als diese nette junge Frau uns mit ihrer schönen Stimme verwöhnte. Uns bleibt bis heute ein Kick und ein Freudenschauer im Körper und Geist, wenn wir uns an diesen wirklich einmaligen Abend und die lange erlebnisreiche Nacht erinnern. Wir tanzten bis zur Erschöpfung und ich persönlich habe wohl kaum meinen Stuhl benutzt an diesem Abend. Sicherlich kann eine Feier gut geplant werden, doch wie das Flair und der Frohsinn sich entwickeln, scheint mir nicht steuerbar zu sein. Dieses Fest kann mit keinem anderen zuvor verglichen werden, es hat unsere Herzen berührt und wird in all seiner Herzlichkeit und in seinem Erlebnisreichtum nicht wiederholbar sein.

      Anna hatte nun gleich die ganze »Sippe« und viele liebe Freunde der Familie zur Verabschiedung für ein Jahr Südafrika zur Verfügung, ausgiebig tauschten die Gäste und Anna Küsschen, liebe Worte und coole Sprüche aus und versteckt sind auch rührende Tränen geflossen.

      Unsere Heimfahrt in mehreren Großraumtaxen entwickelte sich zu einem recht spaßigen Abtransport der ausgelassenen, fröhlichen Gästeschar und irgendwann in dieser Nacht fielen alle in einen seligen Schlaf.

      Nun war es vorbei dieses lang ersehnte Fest und der nächste Höhepunkt sollte Annas Abreise nach Südafrika werden.

       ABREISE NACH JOHANNESBURG

      Am 12.8.03 fuhren Jürgen, Anna, eine Freundin von Anna sowie Annas Freund und selbstverständlich ich gemeinsam zum Flughafen Leipzig – Halle. Der riesige Koffer von Anna hatte natürlich mehr Gewicht, als erlaubt war, aber die freundliche Dame an der Flugabfertigung ließ ihn ohne nervige Diskussion passieren. Endlich hatten wir alle Formalitäten erledigt und es verblieb uns ein wenig Zeit, den Abschied zu zelebrieren – zum letzten Plausch, zu lieb gemeinten Ratschlägen, zu einer letzten Umarmung und einem Küsschen, bis unsere Süße hinter der Zollkontrolle verschwand, nachdem sie uns ein letztes Mal auf ihre unverkennbare Art zugewinkt hatte. Mir steckten gleich mehrere Klöße im Hals und unzählige Tränen rannen mir über mein Gesicht. Wir gingen zum Auto und warteten, bis sich das Flugzeug in die Lüfte erhob, um Frankfurt anzufliegen. Am späten Abend startete dann der Weiterflug nach Johannesburg. Immer und immer wieder lasen wir Annas Abschiedsbrief und immer und immer wieder kamen mir die Krokodilsträhnen gekullert.

      Ich hatte genau die Anzahl der Tage von Annas Aufenthalt in Südafrika ausgezählt und jeden Tag strich ich einen ab in meinem Kalender im Büro.

       ANNA IN JOHANNESBURG

      Dieser dreizehnte August begann wie immer: Weckerklingeln, aufstehen, Morgentoilette erledigen und ankleiden, etwas trinken, Frühstückspaket einstecken und nach kurzer Verschnaufpause den Weg zur Arbeit antreten. Doch trotzdem war alles ganz anders an diesem Tag, denn ich hoffte darauf, dass es schnell Abend wird und wir dann mit Anna per Telefon sprechen können, um Gewissheit darüber zu bekommen, dass sie gut in Johannesburg gelandet und bei ihrer Gastfamilie in Kagiso angekommen war.

      Am Tage versuchten wir mehrmals eine Telefonverbindung nach Südafrika herzustellen, doch jedes Mal vergebens. Einen Tag später kontaktierte ich die zuständige Bearbeiterin der Organisation, bei welcher wir dieses Auslandsschuljahr gebucht hatten. Frau Meyer – Wildenhain sagte mir, dass ich doch mal versuchen soll, den örtlichen Betreuer von Anna – Herrn Hope, welcher auch immer die Gastschüler vom Flugplatz abholt – telefonisch zu kontaktieren. Der positive Name dieses Herren gab meinem weiteren Handeln mehr Optimismus, bald schon unsere Anna sprechen zu können. Jürgen und ich wählten die Rufnummer des Herrn Hope und es meldete sich auch eine männliche Person am anderen Ende. In meinem ungeschliffenen »Babyenglisch« stammelte ich aufgeregt, dass ich dringend Anna sprechen muss. Ich sagte es sehr oft und offensichtlich so aufgeregt, dass Herr Hope unser Anliegen augenscheinlich sehr ernst nahm. Er wolle Anna holen und ich soll in ein bis zwei Stunden noch mal anrufen, was wir auch taten. Und – oh welche Freude stellte sich bei uns ein, als wir endlich nach zwei Tagen unsere Anna persönlich am anderen Ende der Telefonverbindung hören konnten. Sie berichtete kurz von ihrem Flug, dass sie nun bei der Gastfamilie angekommen sei und mit Brenda, ihrer Gastschwester, ein recht kleines Zimmer teilte. Annas Stimme klang fröhlich und so wurden auch wir zu Hause glücklich und zufrieden. Der Grund für unsere misslungenen Versuche, Anna im Hause ihrer Gastfamilie zu erreichen, war einfach ein defekter Telefonanschluss. Ja, Anna lebte jetzt für zehn Monate in Afrika und wir mussten uns damit vertraut machen, dass die Technik bei einer relativ armen Großfamilie nicht so perfekt funktioniert, wie bei uns zu Hause gewohnt, und die Menschen dort das wohl auch nicht so ernst nehmen. Einige Tage später funktionierte das Telefon der Gastfamilie wieder, sodass wir ab sofort regelmäßig mit Anna in Verbindung stehen konnten. Anna hatte inzwischen einen Großteil ihrer Gastfamilie kennen gelernt und ihre umfangreichen, im Vorfeld der Reise von unserer Familie sorgfältig ausgewählten Gastgeschenke – Jeans, Trägertops und Blüschen für die Mädchen, T-Shirts, Schreibmaterialien und Basecaps für die Jungen, für die Gastmama eine Armbanduhr sowie reichlich Schokolade und einen Sandwichbereiter für alle, überreicht.

      Ende September 2003 hatten Jürgen und ich einen vierzehntägigen Urlaub auf der landschaftlich einmalig schönen Insel Korcula in Kroatien geplant und so flogen wir in der letzten Septemberwoche nach Dubrovnik. Da inzwischen Kommunikation von überall auf der Welt nach fast überall auf unserem Planeten möglich ist, kauften wir gleich zu Urlaubsbeginn eine Telefonkarte, um mit unserer Anna in Südafrika und unserer Familie in Deutschland in Verbindung treten zu können. Während unserer letzten Telefonate mit Anna, hatte sie berichtet, dass es an der Mosupatsela Secondary School in Kagiso sprachliche Schwierigkeiten gab. Die dortigen Lehrer unterrichteten so gut wie nie in englischer Sprache, wie es angekündigt war, sondern sprachen im Unterricht in verschiedenen afrikanischen Sprachen. Sicherlich kann es interessant sein, ab und zu einer Unterrichtseinheit mit diesem Sprachinhalt zu lauschen, doch als immerwährendes Unterrichtsangebot konnte es Anna nichts nützen, denn schließlich wollte sie ihre Englischkenntnisse vervollkommnen und auch in die Lage versetzt werden, dem Unterrichtsgeschehen zu folgen. Gespräche mit den dortigen Lehrern führten zu keiner Änderung der Unterrichtsdarbietung und Anna wollte sich an die örtliche Betreuerin der Organisation wenden. Zudem kam es an der Mosupatsela Secondary School zu Gewaltübergriffen auf Schüler.

      In unserem letzten Telefonat hatten wir über diese Probleme gesprochen und Anna bestärkt, die verantwortliche Betreuerin