Liselotte Welskopf-Henrich

Über den Missouri


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sich mit denen des kurznasigen Pitt in einigem trafen. Auch Roach wollte dem Niobrara so bald als möglich den Rücken kehren; er hoffte auf die Versetzung in eine angenehme Garnison im Hinterland, nachdem er seine Pflichten im Indianerkrieg vorzüglich erfüllt zu haben glaubte.

      Anthony Roach trug, wie er das immer zu tun pflegte, eine tadellos sitzende, fleckenlose Uniform. Sein Gesicht war glatt, die Nägel waren gepflegt. Der Capt’n lehnte sich zurück und konnte dabei wieder feststellen, dass der Armstuhl, den er sich hatte anfertigen lassen, genau zu seiner Figur passte. In der Rechten hielt er ein aufgeschlagenes Notizbuch, mit der Linken nahm er die Zigarette vom Mund. Er beugte sich vor, um sie im Aschenbecher auszudrücken, und wandte seine Aufmerksamkeit ganz den Notizen zu. Ein Bleistift, nach dem er griff, erschien ihm zu stumpf, er legte ihn weg und suchte sich einen anderen, Marke Faber, aus.

      Als er eben neue Anmerkungen zu machen gedachte, rüttelte der Sturm an Palisaden und Holzbauten. Das Schiebefenster vibrierte. Roach warf dem Fenster einen Blick strafender Überlegenheit zu und begann seine Gedanken mit Hilfe von Blei und Notizbuch systematisch zu ordnen.

      Jahr des Herrn 1877. April – der 21.

      Wir sind erfolgreich gewesen. Die feindlichen Dakota sind vollständig geschlagen, auf die Reservation getrieben.

      Roach strich, von seinen eigenen Gedanken geleitet, eine Position in seinem Notizbuch aus, mit geradem, genau abgemessenem Strich, und setzte den Bleistift neu an.

      Zweitens streichen wir Samuel Smith, den Major mit Ehre und Gewissen, der die roten Schweine noch gegen mich in Schutz nahm. Er ist gestorben, hat mir endgültig Platz gemacht. Das Verfahren gegen ihn erübrigt sich.

      Anthony zog den zweiten Strich, langsam, grausam, mit Genuss. Er war sich der Narbe an seiner rechten Hand bewusst, die von einem Pistolenschuss des verstorbenen Majors herrührte. Nun konnte eben diese Hand den Namen Samuel Smith ausstreichen. Wieder wurde die Bleistiftspitze angesetzt.

      Drittens streichen wir Cate Smith, die Tochter des Majors, ehemals meine Verlobte, ehemals Erbnichte der Mühlenbesitzerin und Witwe Betty Johnson, heute enterbt, entlobt, überhaupt völlig überflüssig. Wird mit dem nächsten Transport an den Missouri zurückgeschickt … Roach zog einen achtlosen, nicht ganz geraden Strich.

      Viertens …

      Anthony Roach wurde unterbrochen. Die Tür des Kommandantenzimmers, die in den Hof führte, war aufgerissen worden. Der Sturm heulte herein, wirbelte die Zigarettenasche aus dem Becher und fuhr in die mit Pomade gelegte Frisur des Captains. Ein großer Mensch, ganz in Leder gekleidet, betrat den Raum und zog die Tür, der Gewalt des Sturmes entgegen, wieder zu. Mit hörbaren Schritten kam er zu dem Schreibtisch heran. Ohne überhaupt zu grüßen, warf er die Kuriertasche auf die Tischplatte vor Roach hin. Dann ließ er sich auf die Wandbank fallen. Er streckte die Beine aus und holte seine Pfeife hervor.

      Der Capt’n in Roach kochte. Anthony Roach wollte sich das jedoch nicht anmerken lassen, sondern Abstand, Ansehen und Ordnung auf leicht gedämpfte Weise wahren. Die verstreute Asche blies er vom Tisch, richtete die Augen wieder auf das Notizbuch und setzte sein bis dahin nur in Gedanken geführtes Selbstgespräch laut fort, in einer Haltung, als ob der andere überhaupt nicht vorhanden sei.

      »Viertens streichen wir den gefangenen Indsman.« Er deutete mit der Bleistiftspitze auf einen Deckel, der in den Boden eingelassen war und zu dem Kellerraum unter dem Kommandantenzimmer führte. »Seit acht Tagen ist der Kerl da unten im Hungerstreik.«

      Der Lederbekleidete auf der Wandbank hatte seine Pfeife zum Brennen gebracht, schaukelte sie im rechten Mundwinkel, fing eine Fliege, zerdrückte sie und wies Roach mit einer Bewegung seines starken Kinns darauf hin, dass er weniger reden und lieber die überbrachten Briefe öffnen sollte.

      Anthony Roach ließ sich von dem andern unwillkürlich bestimmen. Er schloss die Kuriertasche auf, griff zum Brieföffner, schlitzte die Umschläge sehr korrekt auf und entnahm ihnen die Schreiben. Er las genau, krauste die Nase und strich einen der Bogen auf der eichenen Tischplatte glatt, während er die anderen wieder zusammenfaltete. Das Blut stieg ihm in seine mattfarbenen Wangen.

      »Freilassungsbefehl!« Roach zischte das Wort.

      Der Lederbekleidete deutete mit dem Daumen auf den Deckel der Kellerluke. »Freilassung? Doch nicht etwa für den da unten?!«

      Anthony Roach lächelte so erbost wie boshaft. »Und dieses Schreiben bringt mir ausgerechnet Red Fox!«

      Der Lederbekleidete sprang von der Wandbank auf, kam zu Roach heran und spuckte seine Pfeife auf die eichene, von einem Brand etwas angekohlte Tischplatte. »Hätt ich gewusst, was da drin steht! Verdammte Waschbärengehirne, Aasfresser! Den …«, er wiederholte die Bewegung des Daumens in Richtung des Kellerdeckels: »… den … freilassen?!«

      Roach steckte sich eine neue Zigarette an. Er war sehr nervös, und der Tabak fing erst beim dritten Versuch Feuer. »Du bist Red Fox! Schrei nicht wie ein Baby!«

      Der andere mäßigte seine Lautstärke nicht. »Grün wie Gras sind die Herren in der Stadt an ihrem Schreibtisch! Aber ich kenn die Prärie und den jungen Burschen da unten: Ein Scharfschütze und Messerheld ist das, Jägerblut, Häuptlingsehrgeiz und Rachsucht!« Red Fox stampfte auf.

      Anthony Roach weidete sich an der Wut des anderen, die ihm die eigene erleichterte. Er sprach langsam und betonte jedes Wort: »Du hast seinen Alten umgebracht, nicht ich.«

      »Aber du, Anthony Roach, hast ihn als Parlamentär gefangennehmen lassen! Wenn der Bursche noch einmal freigelassen wird, träumst du des Nachts von einem langen Messer, Anthony.«

      Roach ließ sich hinreißen. »Lange genug hast du Zeit gehabt, ihm den Garaus zu machen!« Er strich Asche ab und beherrschte sich wieder. »Einen Befehl – führe ich aus. Das weitere … deine Sache.«

      »Leider nicht nur meine, sondern auch seine Sache.« Red Fox versuchte wieder, eine Fliege zu fangen, die ihm aber entkam. »Wir werden ja sehen. Das eine ist sicher, Anthony Roach: Du lässt mir den Burschen nicht lebend aus dem Keller heraus. Verstanden?« Red Fox holte sich seine Pfeife wieder.

      Roach spielte mit leicht zitternden Fingern an seinem Bleistift. »Benimm dich, wie es dir zukommt, du Präriewolf. Noch bin ich Capt’n und du bist nichts. Das Thema ist erledigt. Hole mir jetzt Tobias.«

      Red Fox blies Luft durch die Lippen. »… aber zum letzten Mal dein Laufbursche! Der Indianerkrieg ist aus, ich quittiere den Dienst als Scout. Auf der Reservation braucht der Stellvertreter des stellvertretenden Agenten einen tüchtigen Dolmetscher, der mit Crazy Horse und seinen Leuten Dakota sprechen und notfalls noch mal schießen kann. Ich gehe, und den kurznasigen Pitt nehme ich mit mir. Gehab dich wohl, Anthony, in deiner palisadenumringten Hundehütte hier!«

      Red Fox klopfte die Pfeifenasche auf die Tischplatte. Seine rötlichen Haare hatten sich im Nacken gestellt wie die eines gereizten Hundes. Er verließ den Raum und knallte die Tür hinter sich zu.

      Roach war wieder allein. Er stand auf und ging auf und ab. Die Pfeifenasche auf der Tischplatte erregte als Zeichen der Unordnung seinen Unwillen. Aber es widersprach auch seiner Würde und seiner Ordnungsliebe, so viel Asche wegzublasen. Dieser frech gewordene Spießgeselle! Und derart ungehörige Schreiben! Wie konnten sie überhaupt zustande gekommen sein? Roach hatte auf das Wohlwollen seiner Vorgesetzten vertraut; er hatte gehofft, weiterhin eine schnelle Karriere zu machen.

      Der Capt’n ging zum Tisch zurück, faltete die beiden Schreiben, die er wieder zusammengelegt hatte, mit spitzen Fingern auseinander und zog das eine, an einer Ecke anfassend, hin und her wie eine tote Maus am Schwanz.

      Von Ernennung war in diesem Schreiben nicht die Rede und Versetzung nur zur Agentur … »größere Aufgaben« … Wieder in der Stinkprärie bei den verfluchten Indianern!

      Roach steckte die beiden Schreiben in den Umschlag zurück. Er musste diesen sehr merkwürdigen Entscheidungen auf den Grund gehen. Das dritte Schreiben stammte nicht aus Washington und nicht von den Dienstvorgesetzten des Capt’ns, sondern von dem Kommandanten des Forts Randall am Missouri, der Roach auf Intrigen eines gewissen Herrn Morris aufmerksam machen wollte. Vielleicht ließe