die Stunde der Abendmahlzeit, und er hatte auch nichts bei sich. Als er vor dem Dakota stand, holte er umständlich Schlüssel aus der Tasche und zeigte sie dem Gefangenen. »Du sollst zum Kommandanten kommen«, sagte er, »zu Capt’n Roach. Benimm dich anständig. Davon hängt dein Leben ab.«
Er schloss die Handschellen und die Kette auf und nahm dem Gefangenen die Fußfesseln ab. Der Dakota ließ sich nicht anmerken, dass er die Erleichterung empfand.
»So«, befahl der Vierschrötige, der die Pistole gezogen hatte, »nun vorwärts, die Leiter hinauf. Und mache mir keine Schwierigkeiten. Droben stehen schon ein paar und nehmen dich in Empfang.«
Der Dakota folgte stumm der Anweisung. Er fürchtete, dass ihm seine Feinde einen Fluchtversuch unterschieben und ihn erschießen würden. Aber er konnte ihren Befehlen auch keinen Widerstand leisten, sonst würde er aus diesem Grunde erschossen.
Als er das Arbeitszimmer des Kommandanten betrat, erkannte er am Schreibtisch Roach. Vier Dragoner mit gezogenen Pistolen schützten den Capt’n vor einem befürchteten Hass- und Verzweiflungsausbruch des zu entlassenen Gefangenen. Der Capt’n hatte sich nach seiner Gewohnheit zurückgelehnt und hielt die Zigarette zwischen den gelben Fingern. In seiner Miene lag alles, was ein karrierelüsterner und bösartiger Mensch im Augenblick eines Triumphes empfindet. Er rümpfte die Nase, als der Indianer in den blut- und staubbedeckten Kleidern vor ihm stand, deren kostbare Stickerei kaum mehr zu erkennen war.
»Was bringst du mir den Kerl dreckig und stinkend hier herein!«, schnarrte er den vierschrötigen Rauhreiter an. »Du hättest ihm erst ein paar Kübel Wasser übergießen können. Lass jetzt«, fügte er hinzu, »wir werden die Angelegenheit möglichst kurz machen.« Er betrachtete den Dakota wie ein Tier, das auf dem Markt taxiert wird. »Du scheinst ziemlich krank zu sein, Schwindsucht oder etwas Ähnliches.« Roach gab sich keine Mühe, seine Befriedigung darüber zu verbergen. »Der Feldscher meinte jedenfalls Schwindsucht. – Es bestehen in Washington keine Bedenken mehr, dich zu entlassen, wenn du zur Vernunft gekommen bist und unterschreibst, dass du dich widerstandslos auf die Reservation begeben wirst.« Roach spielte mit einem Schriftstück. »Nun, wie steht’s? Hast du dir die Sache überlegt?«
»Dass ich mich selbst auf die Reservation begeben werde?«
»Ja, natürlich. Für deinen Stamm brauchst du nicht mehr zu unterschreiben. Der ist längst dort.«
»Ich begebe mich ohne Widerstand auf die Reservation.«
»Famos. Was doch so ein paar Monate Keller ausmachen können! Ein ganz anderer Mensch geworden!« Roach schob dem Dakota das Schriftstück hin. »Hier! Unterzeichne!«
Der Indianer hatte in der Zeit, in der er viel mit Weißen umgegangen war, lesen gelernt. Er studierte sorgfältig die Sätze, die er unterschreiben sollte. Sie enthielten tatsächlich nichts anderes, als was Roach gesagt hatte. Der Dakota unterschrieb im Stehen.
»Deine Waffen bekommst du nicht mehr. Du wirst jetzt aus einem Wilden zu einem zivilisierten Menschen werden. Morgen früh geht die Reise los. Tobias hat einen Brief nach Fort Robinson zu bringen, er kann dich mitnehmen. Dein Gaul ist dir wiedergeschenkt, die Bestie ist doch nicht zu gebrauchen. Und sieh zu, dass du uns auch das andere Raubtier fortschaffst, den schwarzen Wolf, der die Gegend unsicher macht. Das soll dein Hund sein?!«
Der Dakota zuckte die Achseln.
Roach sah sich um. »Wo ist denn Tobias?«, fragte er die Anwesenden. »Es war ihm befohlen, zu kommen.«
Die Tür tat sich auf, und der Gesuchte trat ein.
»Aha, Tobias! Hier ist dein Schützling. Er geht auf die Reservation. Du nimmst ihn morgen mit. Heute Nacht kann er mit dir im Mannschaftshaus schlafen.«
»Hau.«
Ohne ein weiteres Wort verließen die beiden Indianer den Raum. Draußen im Hof war es dämmrig, der Abend brach schon herein. Ein paar umstehende Soldaten und Rauhreiter schauten mit unverhohlener Neugier nach dem entlassenen Gefangenen, und dieser hörte ihre Reden.
»Kein Kunststück, den jetzt freizulassen. Dem sieht jeder an, dass er’s nicht mehr lange macht.«
»Verdient hat er nicht, dass er überhaupt frei wird. Ich hab noch nicht vergessen, wie er den Leutnant Warner im Finstern niedergestochen hat.«
Der Dakota unterdrückte seinen Husten.
Tobias führte ihn in das Mannschaftshaus. Zwei Petroleumlampen erleuchteten matt den düsteren Raum. Der Delaware kramte an seinem Schlafplatz in der Ecke. Er gab dem Dakota von seinem Pemmikan, und ein flüchtiges Lächeln glitt über Tokei-ihtos Züge, als er seine alte Pfeife zurückerhielt.
Die Mannschaften fanden sich am Abend schwatzend, rauchend und spielend in dem Blockhaus zusammen. Die meisten beachteten die beiden Indianer gar nicht, aber aus einer Gruppe alter Mannschaften, die die erbitterten Kämpfe um die Station noch mitgemacht hatten, flogen böse Blicke und feindselige Bemerkungen herüber. »Was soll das stinkende Schwein hier bei uns?« – »Vielleicht erzählt er uns mal, wie er George und Mike und die anderen ermordet hat!« – »Nehmt ihm doch das Feuerzeug weg, sonst fliegen wir heute Nacht noch einmal in die Luft!«
Der Dakota ließ sich nicht anmerken, ob er verstanden habe. Der Delaware wollte einen Zusammenstoß, bei dem der entlassene Gefangene gelyncht werden konnte, vermeiden. »Gehen wir zu den Pferden!«, schlug er vor.
Der Dakota erhob sich rasch, und die beiden Indianer verließen das Haus. Die Wache am Tor ließ Tobias mit seinem Begleiter durch. Vor dem Tor war eine Koppel, in der einige Tiere das braune Wintergras weideten. Nur ein falber Hengst stand mit gesenktem Kopf, ohne zu fressen. Der Dakota lockte leise. Der magere Falbe, dessen Fell die Spuren vieler Misshandlungen zeigte, hob den Kopf, spitzte die Ohren und war dann mit wenigen Galoppsprüngen an der Umzäunung. Er legte die weichen Nüstern an die Wange des einzigen Reiters, den er je auf seinem Rücken geduldet hatte, und der Dakota streichelte ihm den Hals.
Die Indianer verständigten sich mit einem Blick. Tobias nahm die Stangen am Koppelausgang heraus, und die beiden holten sich ihre Tiere.
Sie ritten in die Prärie hinaus. Weit über das Land zu blicken, das war ein erster Wunsch des Befreiten.
Als die Reiter die Station so weit hinter sich gelassen hatten, dass sie von dort nicht mehr gehört und gesehen werden konnten, machten sie halt. Der Dakota musste den Falben scharf zügeln, denn das Tier wollte stürmisch weiter in die Freiheit und zu den ihm bekannten Prärien im Südwesten ausbrechen. Feine Schneekristalle huschten mit ihrem schnell aufblitzenden und wieder versinkenden Schimmer durch die Lüfte. Zwischen den Wolken flimmerten Sterne, fern wie seit Tausenden und Abertausenden von Jahren. Der Vollmond, Herr der Nacht, zog kreisrund am Himmelsgewölbe empor. Feierlich wanderte er durch die Finsternis und erhellte sie mit einem drohenden roten Schein. Rings lag das leere Land. Seine Söhne, die Dakota, waren vertrieben, und noch hatte keiner der neuen Herren Lust gezeigt, sich in der unfruchtbaren Wildnis niederzulassen. Endlich schweifte der Blick über kahle Sandhügel, über von kurzem Gras bewachsene Höhenkämme und Täler. Am Flussufer neigten sich spärliche Weiden im Atem der Nacht.
Der Häuptling sah zum letzten Mal seine große Heimat. Am nächsten Morgen sollte der Ritt zur Reservation beginnen.
Er öffnete die Lippen, und leise und dumpf begann sein Klagelied über die weite Steppe zu tönen. Der Klang mischte sich mit dem rauhen Singen des Windes.
Lange und einsam sang der Häuptling, immer wieder von Husten unterbrochen, und der heimatlose Delaware hörte in dem Lied des Dakota die eigene Klage.
Da war es, als habe das Lied des Indianers den schlafenden Boden geweckt. Von einem der mondbeschienenen Hügel hob sich ein fremder Schatten. Es war ein Wolf, anders als andere Wölfe, größer und dunkel. Das magere Tier mit seinem geöffneten Rachen und den gleißenden Augen erschien wie ein Spuk, der sich erheben und durch die Lüfte davonfahren kann. Aber er blieb am Boden haften, und langsam, Schritt für Schritt, kam er heran, immer näher zu dem dumpfen Klageton, der dem Wind und den Wölfen von den Taten der Dakota und ihrem Schicksal erzählte.
Der Häuptling hatte den