Liselotte Welskopf-Henrich

Zwei Freunde


Скачать книгу

einen Schrank, in den sie schnell ihren Hut legte.

      »Bitte, ist jemand dagewesen?«

      »Nein, gnädiges Fräulein – zu Ihrer Beruhigung – niemand außer meiner Wenigkeit. Und ich habe Ihr Anwesenheitssymbol« – Wichmann nickte nach der Seidenkappe am Garderobenständer – »durchaus ernst genommen.«

      Das schlanke Mädchen lachte unmelodisch, aber freundlich. Sie ließ sich in den Armstuhl am Pult fallen; die Beine mit den faltenlosen Seidenstrümpfen stellten sich chic und undienstlich zwischen Stuhl und Pult, und aus der sich öffnenden Krokodilledertasche kamen Kamm, Spiegel und Puder. Die Bubilocken, die der Friseur erst vor kurzem gelegt haben konnte, erhielten eine persönliche Note.

      »Sind Sie der neue Assessor …?«

      Der Angeredete stand auf.

      »Wichmann …«

      »Hüsch … Lotte Hüsch. Zur Zeit Bibliothekarin, wie Sie sehen.«

      »Ihre Bekanntschaft ist für mich eine Freude, gnädiges Fräulein.«

      »Ja? Warum?«

      »Weil Sie mir sicher verraten können, wo sich das Bücherverzeichnis befindet.«

      »Ach je … das Verzeichnis … das muß hier irgendwo …« Akten, die illustrierte Zeitschrift und zwei Paar Handschuhe wurden umhergeräumt.

      »Da … da haben Sie ja Glück … da ist es. Wollen Sie selbst nachsehen?«

      »Das geht wahrscheinlich am schnellsten.«

      Wichmann blätterte und holte sich dann das gesuchte Buch aus einer hinteren versteckten Reihe.

      »Der Pöschko, das Ekel, ist also wirklich nicht dagewesen?«

      »Wenn ich ihn nicht ebenso sträflich übersehen habe wie Sie, Gnädigste, beim Eintreten – nein.«

      »Gott sei Dank. Sie wissen doch, daß ich seit neun Uhr hier war? Nicht?«

      Die Augen spielten bittend.

      »Ihr Hut und das erste Paar Handschuhe …«

      »Na, das genügt doch, nicht?«

      Verbeugung. Es war ja wohl Kavalierspflicht, in bestimmten Fällen zu falschen Aussagen bereit zu sein.

      »Sind Sie schon bei Grevenhagen gewesen, Herr Wichmann?«

      »Ja.«

      »Ein fabelhafter Mann. Finden Sie nicht auch?«

      »Auf Grund welcher Tatbestände kommen Sie zu diesem Urteil, gnädiges Fräulein?«

      »Er hat noch Manieren – nicht wie diese Kongoneger, die sonst in unserer Bruchbude umherlaufen. Er soll eine sehr interessante Frau haben. Wissen Sie?«

      »Er hat noch nicht die richtige Gelegenheit gefunden, um mir seine Familiengeheimnisse anzuvertrauen.«

      Das Mädchen lachte wieder stoßweise. Ihre Unterlippe zog sich dabei unter die oberen Schneidezähne zurück. Zierliche Finger, an denen ein Brillant funkelte, führten die Quaste aus Schwanenflaum über die Wangen.

      »Sie werden bei Grevenhagen Besuch machen müssen. Er erwartet das. Etwas altväterisch. Korts ist zwar auch nicht empfangen worden, aber vielleicht bekommen Sie die Aufforderung zum, jour fix’ …«

      »Ist das ein Grund zur Dienstbefreiung?«

      »Hi-hä – jour fix bei Grevenhagen ist Donnerstag – an diesem Tag gehen wir sowieso früher, das ist Tradition. Überhaupt … kommen Sie mit uns zum Mittagessen? Korts und ich gehen um ein Uhr.«

      »Wenn Sie gestatten. Falls ich meine Arbeit vorher abschließen kann.«

      »Ist die so eilig?«

      »Ich habe noch diese kindliche Überzeugung.«

      Wichmann vertiefte sich wieder in seine Blätter und Bücher. Fünf Minuten vor eins konnte er mit dem Hochgefühl, ein Ziel wenigstens erreicht zu haben, die alten Schwarten in die Regale zurückstellen und die beschrifteten Blätter in sein Dienstzimmer tragen. Die Mappe mit dem ungelösten Fragezeichen lag daneben wie eine Art dienstliche Brennessel, die man nicht gern anfaßt.

      In Hut und Handschuhen begrüßte Oskar Wichmann Korts und Fräulein Hüsch, die ihn schon auf dem grau belegten Korridor erwarteten. Legitimiert durch seine Begleiter, verließ er das Dienstgebäude durch den Nebeneingang nach der Ottostraße, ohne von dem dortigen Pförtner angehalten zu werden.

      Er war eingegliedert.

      Die beiden Herren mit der Dame in der Mitte gingen schnell durch die verkehrsarme Straße bis zu einem Eckhaus, an dem ein zurückhaltend angebrachtes Schild auf die Gaststätte im ersten Stock hinwies. Der Gastraum mit den kleinen, weißgedeckten, blumengeschmückten Tischen war wenig besetzt. Korts steuerte mit kurzen, muskulösen Schritten auf die Runde in der Ecke zu. Zwei Herren, deren erster Anblick Wichmann wenig beeindruckte, saßen schon dort; sie grüßten und wurden mit ihm bekannt gemacht.

      Man ließ sich nieder. Es lagen mehrere Speisekarten bereit. Der Wirt selbst erschien, und alle bestellten das Menü: Nudelsuppe, Geflügelkroketten und Kompott.

      Als die schnell herbeigebrachte Brühe mit der spärlichen Einlage gelöffelt wurde und die Zungen sich ausschließlich ihrer schweigsamen Beschäftigung hingaben, empfand Wichmann das Sachliche dieser Stallfütterung. Vier nach der Sitte vermögender Bürger gekleidete, amtlich tätige Individuen vorwiegend jüngeren Lebensalters hatten sich mit gemessenem Hunger zur regelmäßigen Mahlzeit versammelt. Sie hielten die stille Konvention, ihre auf das neue, fünfte Stück der Herde gerichtete Aufmerksamkeit sowie die eigenen Vorstellungen, aus denen der Neuling den allgemeinen Geist und die Besonderheit des einzelnen würde erkennen können, nicht vor den Geflügelkroketten preiszugeben.

      Als das umbratene Allerlei mit Salat serviert wurde, konnte Fräulein Hüsch, wie zu erwarten gewesen war, als erste nicht mehr an sich halten.

      »Herr Korts, haben Sie etwas über die Ernennungen und Beförderungen gehört?«

      »Hm …« Der Regierungsrat mit den Fuchsaugen im stark gebildeten Gesicht stieß einen heiteren Laut aus. »Über allen Wipfeln ist Ruh … aber fragen Sie doch Boschhofer.« Fräulein Hüsch hielt die Gabel mit einem Stück Hühnerkrokette vor dem Munde an. »Meinen Sie, es ist schon bis zu Boschhofer durch?«

      »Wenn Grevenhagen Sie vorgeschlagen hat …?«

      »Na selbstverständlich, das muß er doch. Es ist ja unmöglich, mit dieser Hundebezahlung auszukommen!«

      »Und wenn Ihr Herr Onkel, der Abgeordnete der Demokratischen Partei, bei Boschhofer angefragt hat?«

      »Woher wissen Sie denn das schon wieder, hat die Lundheimer gequatscht?«

      »Damen verletzen nie ihren Diensteid.«

      »Sie stehen aber, scheint’s, ganz gut mit ihr, beinahe so gut wie der Nathan. Wird Grevenhagen Ministerialdirigent?«

      »Ha, des ischt doch klar.« Es war angenehm, der Friedensstimme des schwäbelnden Beleibten zuzuhören, der Wichmanns Nachbar war und sich jetzt in das Gespräch mischte. »Grevenhagen geht mit einer Pferdelänge vor der schwitzenden Konkurrenz meines Herrn und Meisters Nischan durchs Ziel. Weil seine Kriegsdienschtjahre doppelt zähle, ischt er dienschtälter …«

      »Oho«, rief Korts, »vor allem ist er auch bedeutend intelligenter! Wie überhaupt das Abendland der Geburtsort der geistigen Leistungen und der Kultur bleibt!«

      Wichmann fand sich in dem Berufsjargon seiner neuen Umgebung noch nicht ganz zurecht. Er erfuhr, daß der »Westflügel«, in dem das Referat Grevenhagen seine Diensträume hatte, als »Abendland«, der »Ostflügel« aber mit dem Referat Nischan als das »Morgenland« bezeichnet wurde.

      »Ex oriente lux!« wehrte sich der Schwabe Casparius.

      »Streiten Sie sich doch nicht ewig«, mahnte Meier-Schulze, ein älterer Herr.

      »Pf