Hans-Jürgen Hennig

Zwei gegen Ragnarøk


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Befehl warten würden. Er drückte ihre Köpfe nieder und brummte: „Seid still, liegen bleiben.“

      Das Mädchen war an den Holunderbüschen vorbei und sprang nun, barfuß und leichtfüßig, über die großen Ufersteine des Fjordes, zielsicher von einem zum anderen und ihre blonden Zöpfe wippten lustig auf und ab. Der Wind ließ ihr weißes Hemd wie ein Fähnchen flattern, dass sie weithin zu sehen war. Leise vor sich hin summend hüpfte sie weiter, von Stein zu Stein. Am Rande des Wassers, dort wo die Steine feucht glänzten, wurde sie langsamer und balancierte geschickt auf ihnen, bis die sanften Wellen ihre Zehen gerade so berührten. Nach einem letzten Sprung blieb sie stehen und wandte sich der Sonne zu. Während ihre Zehen im Wasser spielten zeigte sich auf ihrem Gesicht ein Lächeln, wie es nur glückliche Kinder zeigen können. Mit ihrer linken Hand drückt sie eine Strohpuppe an die Brust, während sie in der anderen ein hölzernes Kinderschwert hielt. So verharrte sie mit geschlossenen Augen und summte weiter ihr Liedchen.

      „Seht, wie schön sie ist“, bemerkte die Frau im Holundergebüsch. „Ihr Haar ist wie Gold und Kupfer in Einem. Ja, das ist sie, Hilda.“

      Der reckenhafte Krieger deutete nach vorne. „Psst, da kommt noch einer.“

      Nicht weit vom Ufer löste sich eine zweite, kleine Gestalt aus den Holunderbüschen. Es war ein Junge, sehr schlank und etwas älter als das Mädchen. Sein Gesicht war vom schnellen Lauf leicht gerötet und seine blonden Haare flatterten wirr um den Kopf. Auch er hielt ein hölzernes Schwert in seiner Hand.

      Er blieb stehen, schirmte seine wachen Augen mit der Hand gegen die Sonne ab und schaut sich suchend um. Als er Hilda entdeckte, sprang er in federleichten Sätzen auf sie zu. Sein Mund setzte zu einem Ruf an, doch dann hielt er inne und bewegte sich plötzlich leise, geschmeidig schleichend, auf das Mädchen zu. Ganz vorsichtig setzt er auf dem Ufergeröll einen Fuß vor den anderen, damit sich ja kein Steinchen bewegte. Jetzt schlich er so langsam, dass man meinen könnte, die Zeit stehe still.

      Doch als er hinter dem Mädchen stand und seinen Arm nach ihm ausstreckte, rief es lachend: „Falki, ich habe dich doch gehört, aber du bist wirklich der beste Schleicher von allen.“

      Der Junge grinst über das Lob, legt seinen Arm um sie. „Hilda, du bist die beste Schwester von allen.“

      „Hihi, du hast ja nur eine.“

      Still nebeneinander stehend, ließen sie sich von den Wellen ihre Füße benetzen und schauten fasziniert auf das tausendfache Glitzern im Fjord. Sie bemerken nicht, dass sich noch jemand vorsichtig näherte. Es war ebenfalls ein Junge, etwas älter als die beiden, größer und mit kräftigen Schultern. Sein Gesicht zeigt höchste Anspannung. Auch er war bewaffnet, trug ein Holzschwert im Gürtel und zwei Wurfspeere in seiner Hand. Geräuschlos schleichend überquerte er den Geröllstreifen. Als er kurz hinter dem Geschwisterpaar anlangte und die beiden mit einem Sprung erschrecken wollte, drehten sie sich überraschend um.

      „Alfger, so leise, dass wir dich nicht hören, kannst du gar nicht schleichen“, kicherte das Mädchen.

      Alfger guckte erst enttäuscht, aber als die beiden ihn anlachten und Hilda ihm die Hand entgegenstreckte, lachte auch er und stellte sich neben sie. Die beiden Jungen legten ihre Arme um Hildas Schultern und so standen sie, zu dritt, die Zehenspitzen im Wasser und schauten fasziniert auf den im Sonnenlicht gleißenden Fjord.

      Hilda fragt leise: „Ob es morgen wieder so schön wird, wie heute?“

      Die drei Gestalten hinter den Holunderbüschen zogen sich einen Schritt zurück und das Kreischen der Möwe wurde wieder lauter. Der Einäugige drehte sich um und wandte sein Gesicht der Frau und dem Recken zu. Er strich seinen Bart glatt und blinzelte die beiden erst verschmitzt und dann ernst an.

      „Achtet gut auf sie! Ich befehle es euch. Wenn es eine Hoffnung für uns gibt, eine Hoffnung Ragnarök zu verhindern, dann sind sie es.“

      Er legte seine Arme auf auf die Schultern seiner beiden Begleiter. „Die Nornen haben es mir gesagt. Beschützt sie gut.“

       HEIMKEHR

      Im Langhaus herrschte ein durchdringendes Gemurmel. Fast das ganze Dorf war um die große Feuerstelle versammelt, die Kinder auf den vorderen Plätzen und die Erwachsenen dahinter. Wenn die Tage kürzer wurden und die winterliche Dunkelheit unendlich lang wurde, waren die gemeinsamen Abende am Feuer immer Höhepunkte, die alle in Björkendal sehr mochten.

      Das Gemurmel verebbte ganz plötzlich und aus dem Halbdunkel der hinteren Räume näherte sich die Hauptperson des Abends, Alvitur, der Dorfälteste und der beste Geschichtenerzähler. Es wurde mucksmäuschenstill, als er sich am Feuer auf seinem Stuhl niederließ. Langsam schaute er in die Runde und zupfte seine Augenbinde zurecht. Alle kannten diese Geste nur zu gut und die Kinder wussten meist nicht, ob nun ein Lob folgte oder Schelte, aber Alviturs Gesicht zeigte ein Lächeln.

      In die Stille hinein sprang die sechsjährige Hilda von ihrer Bank auf, unter dem Arm ihre Puppe und schnipste mit den Fingern. Ganz aufgeregt rief sie: „Alvitur, erzählst du die Geschichte von Björkendal? Bitte!“ Sie hüpfte auf der Stelle, dass ihr älterer Bruder Falki, der neben ihr saß, schief grinste und mit dem Kopf schüttelte.

      Hilda ließ sich aber nicht beirren und rief wieder: „Bitte, die Geschichte von Björkendal, als du zurückkamst!“

      Eine leichte Unruhe und Geraune ging plötzlich durch die große Runde, aber als Alvitur seinen Arm hob, wurde es sofort wieder still.

      Alvitur lächelte fast spitzbübisch. „Ja, meine schöne Hilda, genau diese Geschichte wollte ich heute Abend erzählen, weil ich schon vorher wusste, dass du danach fragen würdest.“ Sein Lächeln erlosch langsam und er lehnte sich mit konzentriertem Gesicht zurück. „Es ist ja nun schon einige Jahre her, und du Hilda, du warst noch nicht geboren, als ich, der damals noch Djarfur hieß, von meinen Reisen zurückkehrte. Hört zu.“

      ***

      Das schlanke Boot lag gut am Wind und Djarfur genoss es, wie der Wind durch seine Haare wehte. Er hielt das Steuerruder fest in den Händen und ließ seine Gedanken weit vorauseilen, weit über den wolkenverhangenen Horizont hinaus, bis in das ersehnte Björkendal, seiner ersehnten Heimat.

      „Wie lange waren wir weg von zu Hause?“, fragte er sich. „Über zwanzig Jahre sind es wohl. Wir waren zu fünft aufgebrochen und nun kehrten nur noch zwei zurück. Zwei Gefährten weilen bereits in Walhall2 und Teemu ist verschollen.“

      Bei den Gedanken an Teemu fiel im das Mädchen Kylikki ein. Sie war Teemus ältere Schwester und sie hatte Djarfur geliebt. Das hatte er damals gespürt, aber er hatte nur ihre Hingabe genießen wollen und sie für seine Abenteuerlust verlassen. Bei dem Gedanken an sie verklärte sich sein Blick. Leise formten seine Lippen Worte: „Kylikki, verzeih mir.“

      Djarfur schob diese Gedanken beiseite und richtete seinen Blick wieder auf den Horizont. Ganz unvermittelt begann sein Herz vor Freude heftig zu schlagen; bald würde er sein Björkendal wiedersehen und ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Doch als, wenig später, sein Blick auf das große Bündel aus Fellen und Decken, am Boden des Bootes fiel, wich seine Freude einem beklemmenden Gefühl. Neben diesem Bündel saß seine dreizehnjährige Tochter Einurd. Sie hielt mit einer Hand ihren Umhang am Hals geschlossen und mit der anderen, die Hand ihrer Mutter, die dort reglos in den Fellen lag.

      Djarfur presste die Lippen zusammen. Seine geliebte Saida lag dort in Felle gewickelt, am Boden und kämpfte mit dem Tode. Bitternis stieg in ihm auf; die Liebe seines Lebens lag todkrank im Boot und er, Djarfur, der große Heiler, konnte ihr nicht helfen. So vielen Menschen hatte er mit seiner Heilkunst, helfen können, aber bei seiner geliebten Frau versagte all sein Können. Alle bisherigen Mittel, die er versucht hatte, blieben wirkungslos. Die Trauer darüber schnürte ihm das Herz zusammen. Der Schmerz um ihre Krankheit ließ ihn unaufmerksam werden, so dass er nicht merkte, wie der Wind immer heftiger wurde und langsam zu einem Sturm heranwuchs.

      Erst als Leif, sein alter Weggefährte, rief: „Djarfur, halte Kurs!“, schreckte er aus seinen Gedanken auf