Hans-Jürgen Hennig

Zwei gegen Ragnarøk


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Ketten nur feststellen wollten, wie stark er sei und so hielt Fenrir still, und ließ sich freiwillig in Ketten legen. Als er dann in Ketten lag jaulte er kurz, reckte und streckte sich und sie zerbrachen ganz einfach. Da waren die Asen ratlos und bekamen große Angst. Was sollten sie tun? Odin kam auf den Einfall, sich an die Zwerge zu wenden, denn sie waren ja für ihre große Handwerkskunst bekannt. Die Zwerge erschufen dann nach Odins Willen ein Halsband für Fenrir, aus ganz absonderlichen Zutaten. Odin vertraute ihrer Kunstfertigkeit und nahm dieses Band. Als die Asen dem Fenriswolf das neue Band anlegen wollten, war dieser aber misstrauisch geworden und weigerte sich.“

      In Alviturs letzte Wort mischte sich plötzlich von draußen ein mehrstimmiges Wolfsgeheul. Es war ein fürchterliches und schauriges Geheul, das lang gezogen, auf und abschwellend, den wie gebannten dasitzenden Zuhörern bis ins Knochenmark drang. Selbst Alvitur hielt mit aufmerksamem Gesicht inne und sein Auge schaute sehr ernst auf die Leute. Seine Hände umschlossen die Armstützen des Stuhles so stark, dass die Knöchel weiß hervortraten.

      Dann war plötzlich Stille und nur dass das Knistern des Feuers war als einziges Geräusch noch zu hören. Ein allgemeines Aufatmen ging durch die Runde.

      Alvitur nickte kurz und nahm seine Erzählung wieder auf. „Die Asen hatten auch allen Grund zur Angst, denn der Fenriswolf wollte sich das Band nur zu einer neuen Kraftprobe anlegen lassen, wenn ihm einer der Götter dabei seine Hand in das Maul legen würde. Nur ein Einziger von den Asen hatte dazu den Mut. Das war Tyr, der auch während der ganzen Zeit den Wolf täglich gefüttert hatte. Zum Zeichen der Ehrlichkeit der Götter wollte Fenrir Tyrs rechte Hand, die Schwurhand, in seinem Maul halten, während sie ihn fesselten. Als das von den Zwergen geschmiedete Band angelegt war, versuchte der Fenriswolf sich zu befreien. Er zog und riss, aber je stärker er an dem Band riss, je fester legte es sich um seinen Körper und er merkte, dass ihn die Asen nun wirklich gefesselt hatten. Die Asen freuten sich, dass das Band hielt, nur Tyr war der Leidtragende; ihm biss Fenrir, in seiner Wut, die rechte Hand ab. Der Wolf gebärdete sich wütend, schnappte und biss um sich, da nahm Odin sein Schwert und steckte es so in seinen Rachen, dass dieser das Maul nicht mehr schließen konnte. Seit dem muss nun der Fenriswolf bis zum jüngsten Tag ausharren, bis er das Band zerreißen und er die Welt verschlingen kann.“

      Alvitur lehnte sich zurück, musterte mit durchdringendem Blick die aufmerksam lauschenden Björkendaler und gönnte sich wieder einen langen Schluck von Fifillas Zaubertrank.

      Stufis helles Stimmchen drang aufgeregt durch die Stille: „Auweia. Sterben wir dann alle?“

      Kibba sprang auf und fragte: „Können wir nicht irgendwo anders hingehen, wo der Wolf uns nicht findet?“

      Noch einmal nahm Alvitur das Wort: „Weglaufen bringt nie etwas, das sollte jeder von euch wissen. Wenn es wirklich eine Rettung geben kann, dann nur durch unsere Herzen, durch unseren Mut, unsere Klugheit und durch den Willen, zu dem zu stehen was wir, seit hunderten Jahren, wirklich sind. Die Prophezeiungen sind ja nie so ganz eindeutig und lassen auch manchmal die Möglichkeit für ein anderes Schicksal offen. Man müsste schon die Nornen erneut befragen. Aber vielleicht ist ja schon Einer, oder Eine unter uns, der es wagt, das Schicksal herauszufordern, einer, der nicht nur sich selbst, sondern auch unsere Götter, uns und unsere Welt retten will.“

      Wie zufällig ruhte Alviturs Blick einen Moment lang auf Hilda und Falki, dann ließ er sein Auge weiter über die immer noch andächtig sitzenden Zuhörer schweifen. So verharrte er ziemlich lange, dann erhob er sich bedächtig aus seinem Stuhl.

      Sölvi beeilte sich, zu Alvitur zu kommen, um ihn wieder zu seiner Hütte zu begleiten. Wie auf ein unsichtbares Zeichen hin, war die magische Spannung in der Runde verflogen und ein vielstimmiges Gemurmel setzte ein. Auch die Stimmen der Erwachsenen wurden lauter und es hörte sich an, wie kurz vor einem Thing. Alle schickten sich eilig an, ihre Schlafplätze im Langhaus, oder auch in den Hütten aufzusuchen, aber auf fast allen Gesichtern lag ein nachdenklicher Ausdruck. Die älteren unter ihnen wussten, wovon Alvitur gesprochen hatte und sie wussten auch, dass ihr Björkendal nicht ewig so weiterexistieren würde, wie es jetzt war. Irgendwann würde der neue Gott und die Welt hinter dem Dänenwall, ihre Welt fressen, wie der Fenriswolf in der Geschichte.

       FALKI WIRD SCHMIED

      Am aufgeregten Gegacker der Hühner erkannte Hilda, dass die Mutter sie grade fütterte. Der Vater war mit den Fischern draußen im Fjord und Falki lag noch träumend auf seinem Lager.

      Hilda kramte ihren Silberspiegel hervor und begann sich die Haare zu kämmen, aber das Feuer in der Hütte brannte so niedrig und durch den Rauchabzug fiel so wenig Licht, dass sie bei ihren Haarbändigungsversuchen nur wenig sah. Aber irgendwie schafft sie es dann doch, die Haare ordentlich zu kämmen und die Zöpfe neu zu flechten.

      Als sie mit ihren Zöpfen zufrieden war, zog sie Falki kräftig an einem Zeh: „Komm hoch du Faulpelz, das Essen steht auf dem Tisch und etwas Nützliches müssen wir heute auch noch tun!“

      Falki zog sein Schlaffell weit über den Kopf und brummte unwillig: „Hmmm, nööö.“

      Hilda grinste schelmisch und zog ihm mit einem Ruck das Fell weg, aber Falki stellte sich tot. Da schüttelte sie ihn so heftig, dass ihm nichts weiter übrig blieb, als das Traumland zu verlassen. Er setzt sich auf, zog eine Grimasse und stöhnte übertrieben, wie ein alter Mann: „Ja, ja, ich komme ja schon. Ächz, uuhaa, ach ist das Aufstehen schwer. Kleine, hilf mir doch mal hoch, meine alten Knochen wollen nicht mehr so richtig.“

      Hilda griente und ging zum Spaß darauf ein. Sie reichte ihm die Hand um ihn hochzuziehen, da brüllt Falki laut auf, sprang mit einem Satz vom Lager und riss Hilda dabei um.

      „Haha, reingefallen! Ich habe Hunger. Was hat die Mutter denn auf den Tisch gestellt? Wieder Körnerbrei? Äh, ich muss aber erst mal raus, den Mund ausspülen und pinkeln“ – und schon war Falki zur der Tür hinaus.

      Hilda hörte, wie er draußen mit der Mutter sprach. Dann setzte sie sich an den Tisch und schaute selbst, was die Mutter ihnen alles hingestellt hatte. Hinter sich hörte sie ein Aufflattern und Skyggi setzte sich krächzend auf dem Tisch.

      „Skyggi, du Flattervieh, hast mich ja fast erschreckt, aber schön, dass du mit dem Essen auf mich gewartet hast. Oder hast du etwa nicht gewartet und dir hier schon den Bauch schon vollgeschlagen?“

      „Korr, korr“, kam es leise aus Skyggis Schnabel und er hüpfte auf dem Tisch herum, besah sich die dort liegenden Speisen und begann an einem Stück Brot zu zupfen.

      In diesem Moment kam Falki wieder zur Tür herein und schimpfte: „Blöde Hühner, die kacken überall hin und ich musste auch noch gleich dreimal reintreten – bäää! Ha, da ist ja noch so ein Huhn“ – und er zeigte auf Skyggi. „Hilda pass’ nur auf, dass der nicht auch noch hier auf dem Tisch kackt!“

      Hilda lachte, „Na dann wirst du ja heute noch dreimal Glück haben, wenn du dreimal in die Hühnerkacke getreten bist. Warum läufst du auch barfuß aus dem Haus?“

      Und nach einem Blick auf den Raben erwiderte sie: „Falki, du hast Recht, Skyggi darf seinen Dreck nicht auf den Tisch fallen lassen. Da muss ich ihn wohl noch etwas erziehen.

      Uns haben die Eltern ja auch erzogen. Stromer, der Hund von Sigudur, ist auch gut erzogen und kann fast alleine die Schafe hüten, da werde ich doch wohl einen Raben erziehen können.“

      Falki wischte sich den Hühnerdreck von den Füßen und setzte sich zu Hilda an den Tisch. Er griff sich ein Stück Fladenbrot und die Schüssel mit dem Fruchtbrei. Er tauchte sein Brotstück ein und schob es sich genüsslich in den Mund.

      „Schwesterchen, das hast du wirklich gut gemacht. Ich meine diese Mischung aus Früchten. Hmmm, die schmeckt mit dem Brot köstlich und besonders dann, wenn man noch einen Becher Milch dazu hat“ – und schon angelte er nach dem Krug mit der Milch.

      Hilda hatte ihre linke Hand auf Skyggis Rücken liegen und fütterte ihn mit kleinen Bröckchen.

      Mit vollem Mund nuschelte Falki: „Da haben wir ja beide heute viel zu