Sigrid Uhlig

Frostige Gefühle


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Stiefeln.

      „Hillarius hat mir erzählt, dass wir vom Schlimmsten ausgehen müssten. Alles, was ich bisher über Kälte im Fernsehen gesehen habe oder mir mein Vater erzählt hat, sei nichts dagegen, was wir im Land antreffen könnten. Und was machen wir mit Bella? Sie hat jetzt schon eine wunde Pfote. Hillarius reibt sie mit seiner Spezialsalbe ein. Den Rest gibt er uns mit. Damit muss äußerst sparsam umgegangen werden.“

      „Leder hilft bei der Glätte nicht. Verbandsmaterial haben wir sehr wenig. Aber ich kann stricken. Wolle und Nadeln habe ich immer dabei. Bella wird so viele Strümpfe bekommen, wie ich bis zu unserer Abreise schaffe. Irgendwo habe ich Fellreste gesehen. Damit kann ich sie auspolstern. Kommt, helft mir suchen“, forderte Rubens sie auf.

      Am nächsten Tag waren die Auswertungen. „Die Damen zuerst.“ Lange blätterte Hillarius in seinen Papieren. Dann sah er Gina an. „Du bist energischer geworden. Das muss aber kein Fehler sein. Die Damen dürfen gehen.“ Wieder blätterte er ewig. Die Spannung war kaum noch zu ertragen. Jedem einzelnen sah er streng ins Gesicht. „Die Herren sind alle durchgefallen. Peter, du mit deinem Heimweh und ihr? Hilfe ist verboten! Und was macht ihr? Ihr brennt vor Begeisterung, Peter helfen zu dürfen.

      Macht bloß, dass ihr morgen verschwindet, bevor ich es mir anders überlege.“

      Ein Jubelschrei erfüllte den Raum.

      Der Tag ging viel zu schnell zu Ende. Eben hatte Peter den letzten Posten auf der Liste durchgestrichen. Alles war verpackt und mit Seilen gesichert. Es wurde eine kurze Nacht.

      Woher Hillarius zum Frühstück Salzkartoffeln mit Rührei und Speck hatte, blieb sein Geheimnis. Mit vollem Bauch, körperlich gut durchgewärmt und mit den besten Wünschen von Hillarius verließen sie das Kloster. Bella musste erst von der ungewohnten Fußbekleidung überzeugt werden. Als sie dem Kontrolleur die Papiere geben wollten, öffnete er in einem Fenster eine winzige Luke. „Schiebt sie durch den Schlitz.“ Dann nuschelte er noch etwas, dass sich anhörte wie: „Müsst ganz schön verrückt sein, in die Eiswüste zu gehen“, und schon war die Luke wieder zu.

       UNTERWEGS

      Der Kontrolleur sollte recht behalten. Nichts als Eiswüste. Bäume, Sträucher und Gräser sahen sich selbst nicht mehr ähnlich. Sie waren zu undefinierbaren Eisformen geworden, die wie furchteinflößende Figuren in der einst so lieblichen Landschaft dem Betrachter Schauer des Grauens über den Rücken jagten.

      Nach etwa einer Stunde stoppte Peter seine Karawane. „Du willst doch nicht etwa schon Pause machen?“, fragte der Smutje.

      „Nein, ich will testen, ob das Lösungswort noch gültig ist. Erstarrt.“ Peter wartete eine Weile. Nichts geschah. „Erstarrung.“ Wieder nichts. „Erstarrtheit.“ Er sah Gina an: „Fällt dir nichts ein, Gina?“ Traurig schüttelte sie den Kopf.

      „Dann tut es mir leid. Einen Versuch war es wert. Weiter geht’s.“

      Sie tasteten sich eher vorwärts, als dass sie wirklich liefen. Der Himmel war schwarz von Wolken. Den ganzen Tag wurde es nicht hell. Während einer kurzen Trinkpause wollten die Matrosen die Verpackung des Schlittens mit der Bekleidung öffnen.

      „Was macht ihr denn da?“, wollte der Kapitän wissen.

      „Neue Socken rausholen. Unsere haben Löcher.“

      Der Kapitän wurde ärgerlich. „Auf dem Meer seid ihr wirklich tolle Kerle. Bessere kann ich mir nicht wünschen. Aber an Land benehmt ihr euch wie die Babys. Die Socken warden so lange getragen, bis nicht eine ganze Stelle mehr dran ist und sie von selbst von den Füßen fallen.“

      „Aber wir haben doch genug“, verteidigten sich beide. „Könnt ihr mir sagen, wie lange wir noch unterwegs sind?“

      Darauf wussten sie keine Antwort.

      „Wir begleiten Peter, um ihm seine Aufgaben zu erleichtern, und nicht, um ihm zusätzliche Probleme zu schaffen.“

      Am späten Nachmittag beschlossen sie einmütig, es für heute genug sein zu lassen. Obwohl die Zelte nur für vier Personen gedacht waren, wollten sie wegen der Kälte und fehlenden Heizmaterials alle in einem schlafen. Das zweite benutzten sie als Überzelt. Bei allem Ungemach war es zum Glück windstill.

      Jetzt begannen für den Koch die Probleme. Im Laufe des Tages hatten sie nur zwei Trinkpausen eingelegt. Dazu hatte er alles, was er im Kloster an Thermosgefäßen finden konnte, mit Tee befüllt. Sie waren leer. Nun musste er für Nachschub und warmes Essen sorgen. Leider hatte er nur einen kleinen Kocher finden können, der mit Brennspiritustabletten in Gang gebracht werden musste. Auf ihn passte nur ein kleiner Topf. Alle hielten es für selbstverständlich zu warten.

      Sehr dichtgedrängt saßen sie im Zelt, um dem Koch eine gewisse Bewegungsfreiheit zu verschaffen. Peter, Gina und Bella waren immer an der Spitze gelaufen, die ihnen niemand streitig machte. Nun kamen dem Kapitän Bedenken. Was wäre, wenn sie im Kreis gelaufen und nicht wirklich vorangekommen waren? Er äußerte seine Zweifel. „Die musst du nicht haben“, beruhigte ihn Gina. „Überall wohin ich gehe, speichere ich automatisch die Koordinaten, um sie bei Bedarf abrufen zu können.“

      Der Kapitän sah in die Runde. „Dann hat wohl niemand etwas dagegen, wenn ihr weiter unsere Wegweiser bleibt.“

      „Auf Grund der Vorbereitungen hatte ich gar keine Gelegenheit, mich mit Gina zu unterhalten. Während wir warten, kann sie uns erzählen, wie es im Roboterland aussieht“, schlug Peter vor.

      „Käpt’n, Smutje, Peter, Rubens, Freddy und auch du, Bella, es war fantastisch, wieder bei meinem Robby zu sein und nicht ständig irgendwo in der Welt herumzuschwirren, einfach wie eine ganz normale Familie zu leben, sich mit Freunden zu treffen.“

      „Die gleiche Meinung hatte meine Mutter auch“, dachte Peter ohne Ginas Erzählung zu unterbrechen.

      „Dass Haupt zum Arbeitsroboter wurde, weißt du sicher noch Peter. Er ist der unmöglichste Aro, den es jemals gegeben hat, immer unzufrieden, immer widersprechend. Wir konnten nicht herausfinden, was von seinem Gedankengut als Haupt noch vorhanden ist. Er versucht jeden zu schikanieren, und lässt den nötigen Respekt vor uns, der Ersten Serie, fehlen. Professor Tut Gut vermissen wir sehr. Ihm wäre sicher die richtige Lösung eingefallen. Vielleicht tragen wir einen Teil Schuld, weil wir ihn mit Haupt und nicht mit Aro und einer Nummer ansprechen. Während seine Gehässigkeiten gegenüber den Aros, den Mames und Memas leidlich zu erdulden sind, treibt er es mit den Menschen ganz schlimm. Am Gefährlichsten benimmt er sich gegenüber den Bummlich-Fummlichs. Wir mussten Aros, die uns ergeben sind, als Wachen vor das Wohngebiet stellen, um sie vor Haupt zu schützen. Ruhe vor ihm gibt es nur, wenn seine Batterien leer sind. Das Gesetz im Roboterland besagt, dass alle ausgefallenen Aros gesucht und funktionsfähig gemacht werden müssen. So haben wir immer nur einen kurzen Moment zum Aufatmen.“

      Inzwischen hatten alle ihre Mahlzeit eingenommen. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach.

      Peter war enttäuscht. Sein Einsatz hatte nicht wirklich dem Roboterland Frieden gebracht. „Das Roboterland muss endgültig von Haupt befreit werden. Wollte er nicht die Erste Serie bei Ungehorsam ihm gegenüber von den Aros zerlegen und die Einzelteile in Säure legen lassen, bis von ihnen nichts mehr übrig ist? Warum macht ihr das nicht mit Haupt? Noch besser, er wird mit einem Auftrag in das Bummlich-Fummlich-Land geschickt. Sind seine Batterien aufgebraucht, ist niemand da, der ihm hilft.“

      „Die Idee ist wirklich gut“, stellte Gina fest. „Schade, dass ich nicht mit Robby sprechen und ihm deinen Vorschlag mitteilen kann. Umso wichtiger ist es, hier so schnell wie möglich unseren Auftrag zu erfüllen.“

      Am nächsten Morgen hatten sie den Eindruck, es sei wärmer geworden. Eine blasse Sonne erhellte den Tag und machte unseren Reisenden Lust auf große Taten. Nach etwa zwei Stunden hatte die Sonne wohl genug von der Welt. Blitzschnell verschwand sie hinter einer dicken Nebelwand. Außer Gina konnte niemand etwas sehen, nicht einmal mehr die sprichwörtliche Hand vor den Augen. Das Schlimmste und Zeitraubendste wäre, ginge eine Person verloren und