mit meinem Schiff gestern hier angekommen.
„Wie lange waren Sie unterwegs?“
„Seit mehreren Monaten fahren wir durch die Weltmeere. Es ist immer wieder ein gutes Gefühl, festen Boden unter den Füssen zu spüren.
Wo kommst du her, Ana Sue?“
„Meine Mutter lebt im Norden Thailands.“
„Wie und warum bist du nach hier gekommen? Sicher um schnelles Geld zu verdienen?“
„Es ist meine einzige Chance. Wir sind sieben Kinder zu Hause. Ich bin die Älteste und muss für die Familie sorgen. Mein Vater geriet in die Hände von Rebellen, die überall unerwartet auflauern. Wir wissen nicht, ob er noch lebt. Mein jüngster Bruder ist zwei Jahre alt.“
Bei der Schilderung schaut sie auf ihre Hände.
„Sorry, ich wollte dich nicht verletzen. Sorry …“
Wie alt mag sie sein, denkt Ralf.
Wahrscheinlich ist sie jünger als ich zuerst dachte.
Leise klingt Musik aus einem versteckt angebrachten Lautsprecher.
Ralf hat sich auf dem breiten Bett ausgestreckt. Es gibt ihm ein gutes Gefühl, einfach nur auszuruhen. Das Bett in der Kabine auf seinem Schiff ist sehr schmal. Drei Betten übereinander. Die beiden oberen sind mit Ketten übereinander an der Decke der Kabine befestigt.
Er genießt es, auf diesem breiten Bett zu liegen. Ana-Sue lässt den Umhang von ihren Schultern gleiten.
„Lass an, Ana-Sue, ich möchte mich nur mit dir unterhalten. Weiter nichts. Sorry, ich vergaß mich vorzustellen, ich bin Ralf.“
Dabei lächelt er sie an und schaut in ihre dunklen Augen.
„Hab’ keine Angst, Ana-Sue, alles ist gut.“
„Danke Ralf.“
„Du bist also hier des Geldes wegen?“
„Ich habe keine Wahl. Es gab keine Schule in meinem kleinen Dorf. Ohne Schulbildung und Beruf findet man hier keine Beschäftigung. Meine Mutter braucht meine Hilfe. Vater hatte einen „Moving Kitchen“, einem Wagen, mit dem er Suppe oder komplette Mahlzeiten zum Kauf anbot. Hier in Bangkok hätte er mehr Erfolg gehabt. In unserem Dorf gibt es kaum Touristen und er brachte oft nur das Essen für uns Kinder mit. Selbst hat er mit Mutter manchmal zwei Tage lang nichts gegessen.
An dem Tag, als er nicht zurückkam, habe ich die Verzweiflung in Mutters Augen gesehen. Da wusste ich, nun ist es an mir, für die Familie zu sorgen. Was hätte ich machen sollen?.
So bin ich hier gelandet.
Den meisten Mädchen, die hier arbeiten, geht es wie mir.
Von dem Zuhälter bekommen wir Geld, so viel wie er für angemessen hält.
Das Trinkgeld dürfen wir meist behalten. Davon lebe ich und spare sogar ein wenig.“
„Leg dich zu mir, Ana-Sue, ich möchte dich streicheln. Du hast eine so zarte Haut. Wenn du magst, streichle mich auch ein wenig. Es fühlt sich so gut an, eine Frau neben sich zu wissen.“
Den letzten Satz murmelt er vor sich hin.
Zärtlich gleiten ihre zarten Finger über seine Arme. Erstaunt schaut er auf diese dünnen Finger, auf die Kinderhand. Wieder registriert er, dass sie wohl noch ein Kind ist. Aber er mag sie nicht nach ihrem Alter fragen. Sie ist noch so jung!
„Ich habe für die ganze Nacht gezahlt. Wir haben also viel Zeit. Es kann sein, dass ich gleich einschlafe. Denn ich bin ziemlich müde. Bleib einfach hier bei mir.“
Er streichelt ihre dünnen Wangen. Ihre Augen haben einen neuen Blick, fast zutraulich. Ein wenig Angst glaubt er dennoch zu erkennen.
„Ana-Sue, hab keine Angst. Ich möchte nur ein bisschen Nähe spüren. Deine Liebkosungen werden mich ins Land der Träume führen. Du kannst mir etwas von dir erzählen. Ich höre dir gerne zu.“
Sie lächelt ihn an.
„Ralf, ich habe so etwas noch nie erlebt. Du bist so anders.“
Fast hätte er geantwortet, du kennst nur diese geilen Grapscher, die respektlos über euch herfallen. Ja, bevor du etwas über die Liebe erfahren konntest, hast du nur den abartigen Sex kennengelernt.
Wie im Traum spürt er ihre Finger zwischen den Haaren seiner Brust auf- und abgleiten.
„Du bist wunderschön, kleine Ana-Sue.“
Mit diesen Worten küsst er sie auf den Mund. Auch das ist ungewöhnlich. In einem Etablissement gibt es keine Küsse.
Sie ist etwas Besonderes. Unschuldig und verletzlich. Eine Strähne fällt ihr ins Gesicht. Er nimmt ihre Hände, führt sie an den Mund und haucht einen Kuss darauf.
Es ist diese uralte Sehnsucht, die wir Menschen mit in diese Welt gebracht haben.
Ein bisschen Nähe und das unendliche Verlangen nach Zärtlichkeit und Liebe. Ohne die wir nicht lebensfähig sind, so seine Gedanken.
Während ihre kleinen, schmalen Finger ihn liebkosen, seine Arme streicheln, fühlt er sich wohl und entspannt.
Mit leiser, melodischer Stimme singt Ana Sue ein Lied, das ihn in den Schlaf trägt:
„Fremder Mann, schau’ mich an,
große Liebe bist du für Ana-Sue.
Geh’ nicht fort, denn an Bord,
vergisst du die kleine Ana-Sue.
Und dann werd’ ich weinen um keinen wie um dich.
Große Meere voll Tränen, so viel bedeutest du für mich.
Fremder Mann, schau’ mich an,
große Liebe bist du für Ana-Sue“
Sie singt leise, ihren Kopf an seinen Arm gelehnt.
Dann schläft auch sie ein.
Er hat einen Traum.
Ana-Sue ist seine Frau, sie leben gemeinsam in Deutschland. Im Dezember reisen beide nach Thailand. Ana-Sues Familie geht es gut. Die Geschwister gehen zur Schule, dafür schicken er und Ana-Sue regelmäßig Geld nach Thailand. Der Mutter haben sie eine Nähmaschine geschenkt. Sie näht Kleider und verdient sich damit ihren Lebensunterhalt.
Plötzlich ist Ana-Sue verschwunden. Verzweifelt sucht er sie überall.
Schweißgebadet wacht er auf.
Ana-Sue liegt schlafend neben ihm. Er nimmt ihre Hand und schläft wieder ein.
Nach einiger Zeit wacht Ana-Sue auf und realisiert, sie hat geschlafen während ihrer Arbeitszeit! Was hat Ralf bei ihr ausgelöst?
Sie spürt seine Hand auf ihrem Arm, erinnert sich, Ralf ist noch bei ihr. Was für ein Mann.
Fest aneinander geschmiegt liegen sie ausgestreckt auf dem Bett. Ralf küsst sie. Eine ganze Zeit liegen sie ruhig, mit geschlossenen Augen.
Es ist Mitternacht.
„Hast du Hunger?“
„Ich kann mir morgen ein Frühstück machen.“
„Wo kann ich hier Essen bestellen?“
Ana-Sue wählt eine Nummer und reicht Ralf den Hörer.
Wenig später erscheint der Service. Sandwich, Sekt