6e5ca74d-3797-5af0-b008-e36f99e35400">
Peter Trawny
Der frühe Marx und die Revolution
Eine Vorlesung
Klostermann RoteReihe
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
Originalausgabe
© 2018 · Vittorio Klostermann GmbH · Frankfurt am Main
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere die des Nachdrucks und der Übersetzung. Ohne Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, dieses Werk oder Teile in einem photomechanischen oder sonstigen Reproduktionsverfahren oder unter Verwendung elektronischer Systeme zu verarbeiten, zu vervielfältigen und zu verbreiten.
Satz: post scriptum, www.post-scriptum.biz
ISSN 1865-7095
ISBN 978-3-465-24352-6
»Die Ethik, auf die Geschichte angewendet,
ist die Lehre von der Revolution.«
Walter Benjamin
Inhalt
Die Symbiose von Denken und Leben
Hegel, Feuerbach und die Religionskritik aus der Umkehrung von Prädikat und Subjekt
Auf der Suche nach der revolutionären Klasse
Die »revolutionäre Praxis« und der Staat
Zur Revolution 1 / Das Unerträgliche
Zur Revolution 2 / Das Ende der Geschichte
1. Vorlesung
Die Symbiose von Denken und Leben
In einer sehr zu empfehlenden neueren Biographie über Karl Marx steht ganz zu Beginn: »Um Marxens Ideen zu verstehen, genügt es nicht, ihren intellektuellen Inhalt zu kennen; man muss sie im größeren Zusammenhang seines Lebens sehen.«1 Ich finde diese Bemerkung wichtig. Sie erhebt einen erstaunlichen Anspruch. Sie sagt – vielleicht um Generationen von Philosophen zu ärgern, die sich mit Marx beschäftigten – dass es nicht ausreicht, Marx’ Texte zu lesen; man muss vielmehr sehen, aus welcher konkreten Lebenserfahrung diese Texte entstanden sind. Wenn man das nicht tut, kann man auch nicht ermessen, was sie sagen wollen.
Alles, was Menschen tun, kommt aus intrinsischen Motivationen. Doch diese Motivationen sind verschieden. Ein Fabrikarbeiter in England um 1850 oder 1900 verfolgt seine harte Tätigkeit, um zu überleben. Das Leben ist mit der intrinsischen Motivation des Arbeiters, nämlich zu überleben, geradezu identisch: Arbeiter sein heißt, sein Überleben zu realisieren. Das ist angesichts des Lebens eines Philosophen anders. Schon Aristoteles sagt, dass die Philosophie dort anfange, wo die notwendige Befriedigung des Lebens aufhöre;2 dass also niemand philosophiere, um zu überleben. Mit anderen Worten: Die Motivation zur Philosophie besteht gerade darin, die Realität des Lebens in reiner Theorie zu übersteigen.
So auch Marx. Denn er, den ich als Philosophen bezeichnen möchte, was keine Selbstverständlichkeit ist – wie ich Ihnen noch zeigen werde –, hat in der freien Tätigkeit des Reflektierens und Denkens das Leben und seine realen Ansprüche hinter sich gelassen. Und das sogar im besonderen Sinne, denn Marx war niemals ein Professor, er hat an keiner Universität oder Schule