er aus dieser Bredouille ohne die ganze Wahrheit nun endgültig nicht mehr herauskommen würde.
„Worauf bezog sich die Frage denn dann?“, fragte Jasmin neugierig und etwas unsicher nach.
„Es ist der bezaubernde Duft, der von Ihnen ausgeht. Der Duft, den Ihr Wesen versprüht.“
Jasmin zuckte innerlich zusammen. Niemand sagte etwas.
Bergmann flüsterte Herrn Meier etwas zu und verdrehte dabei die Augen. Dann wandte er sich wieder an die sprachlose Jasmin de la Roché und begann mit milder, aber entschlossener Stimme, die reine Wahrheit zu sagen.
„Sie tragen den Duft der unschuldigen Schönheit in sich, Fräulein Jasmin. Es ist der Duft, den nur die schönsten und wertvollsten Frauen der Welt verströmen, der Duft der Königinnen aus einer anderen, fernen Welt, deren innerer Wohlgeruch nicht durch die Grenze der menschlichen Haut aufgehalten werden kann ... es ist der Duft eines goldenen, eines glänzenden, paradiesischen Elixiers ... auf so wundervolle, himmlische Weise schöner als jedes Parfum der ganzen Welt es je sein könnte ... es ist der Duft der Liebe, der Sie umweht ... und Sie tragen ihn so reich an sich ... als wären Sie mit himmlischem Gold bestäubt ...“
Jasmin schluckte und es gelang ihr nur mit Mühe, die Tränen der tiefen Rührung über Bergmanns Worte zurückzuhalten.
Hertha und Daniela gelang das nicht, obwohl sie sich auch mühten, und sie beide begannen, leise zu weinen. Auch Herr Griesbach spürte, wie seine Augen feucht wurden. Er nahm Herthas Hand.
„Entschuldigen Sie bitte“, sagte Bergmann leise zu Jasmin.
Ein Moment der Stille. Jasmin lief eine einzelne Träne über das Gesicht und verursachte eine Furche in ihrem dicken Make-up. Hertha Griesbach reichte ihr ein Taschentuch und Jasmin tupfte sich die Träne ab.
„Das ist ... das ist schon in Ordnung“, sagte sie und hatte noch mehr Schwierigkeiten, den Fluss der Tränen zurückzuhalten, der nun kräftig gegen den Staudamm ihrer Seele drückte. Sie tupfte erneut.
„Oh, und dann hat Herr Meier noch gesagt“, ergänzte Bergmann noch, „... dass Sie jede Rolle bekommen werden, die Sie zu haben wünschen, wenn Sie sich nur immer daran erinnern, wie wundervoll und lieblich Sie duften, Fräulein de la Roché.“
Ein weiterer Moment des Schweigens erfüllte das Abteil.
Plötzlich ertönte eine blecherne Frauenstimme aus dem Abteil-Lautsprecher: Verehrte Fahrgäste, in wenigen Minuten erreichen wir Köln. Wir bedanken uns bei allen aussteigenden Fahrgästen für Ihre Reise mit der Deutschen Bahn und wünschen Ihnen einen schönen Aufenthalt in Köln oder eine angenehme Weiterfahrt. Auf Wiedersehen.
Bis auf Herrn Bergmann standen alle Reisenden im Abteil auf und begannen, wie in einer angenehmen Trance, ihr Gepäck aus den Ablagen zu nehmen, ihre Jacken anzuziehen und sich zum Aussteigen bereit zu machen. Jasmin tupfte dabei weitere einzelne Tränen aus ihrem Gesicht und Hertha konnte irgendwie nicht aufhören, Herrn Bergmann dankbar anzuschauen. Herr Griesbach war derweil damit beschäftigt, nicht unter dem Gewicht des riesigen Koffers seiner Frau zusammenzubrechen. Daniela zupfte ihre Bahnuniformjacke zurecht und hoffte, dass niemand bemerken würde, dass sie schon seit Bremen desertiert war und keinen einzigen Fahrschein mehr gestempelt hatte.
„Na so was“, sagte Herr Bergmann zu Herrn Meier. „Das ist ja mal was ... alle bis auf uns beide steigen hier in Köln aus ... ja, nein, wieso, die Frage verstehe ich nicht ... nein, wie schon gesagt, wir beide fahren ja noch weiter bis Mainz ... nein, nicht ganz zwei Stunden, etwas weniger ... die Strecke soll ganz herrlich sein. Ja, genau, direkt am Rhein entlang! ... ja, sogar die Loreley ... schön, nicht wahr?“
„Leben Sie dort? In Mainz, Herr Bergmann?“, fragte Herr Griesbach im Stehen, während der EC 306 die Rheinbrücke überquerte und man durch das Seitenfenster des Abteils einen ersten Blick auf den Kölner Dom erhaschen konnte.
„Oh, nein“, antwortete Bergmann und lächelte dabei wieder dieses gewinnende Lächeln. „Wir werden dort in der Nähe für ein paar Monate in einer ganz besonderen Klinik wohnen, Herr Meier und ich. Es soll dort sehr schön sein. Meine Familie hat das liebenswerterweise für mich arrangiert. Und Herr Meier begleitet mich natürlich dabei. Nicht wahr, Herr Meier?“
Er lächelte den leeren Sitz an.
Hertha Griesbach richtete sich auf und konnte ihre Mischung aus Neugier und tiefem Mitgefühl für Herrn Bergmann jetzt nicht verhehlen.
„In eine Klinik? Aber mein Lieber, mein Gott ... warum denn? Sind Sie etwa krank?“
„Nein, nein, um Gottes willen, Frau Griesbach ...“, sagte Bergmann. „Ich möchte nur meiner Familie gern den Gefallen tun, weil sie sich doch alle so um mich sorgen, verstehen Sie? Meine Mutter etwa, sie ist wirklich sehr sensibel und grämt sich leicht. Das war schon immer so. Und kürzlich hat ein besonders guter Arzt zu meiner Mutter gesagt, ich und Herr Meier, also, wir seien möglicherweise eine Gefahr für uns selbst und auch andere ...“ Bergmann lachte jetzt und knuffte seinen unsichtbaren Sitznachbarn kräftig in die Seite. „Haha ... gefährlich ... na, ich weiß nicht ... ausgerechnet wir beide? Haha ... nur weil nicht jeder Herrn Meier gleich sehen kann ...“
Nun meldete sich auch Herr Griesbach noch einmal zu Wort.
„Also ... sagen Sie mal, Herr Bergmann ... und bitte entschuldigen Sie, wenn ich das so offen frage ...“
„ Ja, aber natürlich, nur zu, Herr Griesbach“, ermutigte Bergmann ihn, charmant wie immer.
„Würden Sie sagen ...“, stammelte Griesbach zögerlich, „also ... dass ... würden Sie denn sagen, dass Herr Meier ein ganz normaler Mensch ist ...?“
Bergmann lächelte mild und schaute Herrn Meier eine Weile berührt und mit dem Ausdruck tiefster Freundschaft an.
„Ein ganz normaler Mensch? Na ja ... ich weiß gar nicht ... nein, wohl eher nicht, nicht wahr, Herr Meier?“
Der Zug kam zum Stehen. Herr Bergmann stand auf, reichte nacheinander Herrn und Frau Griesbach, dann Daniela Kurtz und schließlich Jasmin de la Roché die Hand, machte trotz der Enge im Abteil einen formvollendeten Diener und verabschiedete sie. Jasmin verharrte einen Moment, schaute ihm in die Augen, dann ließ sie sich für einen sehr kurzen Moment in Bergmanns Arme fallen, bevor sie wortlos und schnell das Abteil verließ.
„Auf Wiedersehen, Herr Bergmann“, sagte Hertha mit einer Herzenswärme, die sie selbst seit mehr als vierzig Jahren nicht in sich gespürt hatte. „Es war wirklich ganz entzückend, Ihre Bekanntschaft zu machen.“
„Ganz meinerseits, gnädige Frau“, sagte Bergmann und machte erneut einen höflichen Diener.
„Oh, und auf Wiedersehen, Herr Meier“, sagte Hertha und nickte dabei den leeren Sitz am Fenster an.
„ Ja, auf Wiedersehen, meine Herren“, sagte nun auch Herr Griesbach, „eine schöne Reise noch und alles Gute für Sie beide!“
„Für Sie auch, danke“, sagte Bergmann.
Über die Lippen von Daniela Kurtz huschte ein kurzes, bewegtes „Danke“. Sie nickte Bergmann dabei zu und schloss sich dann hastig den Griesbachs an, die soeben das Abteil verließen.
Es stieg niemand zu. Und so fuhren Herr Bergmann und Herr Meier ganz allein weiter am schönen Rhein entlang, die knapp zwei Stunden von Köln nach Mainz, wo sie beide am Gleis von einem überaus schlecht gelaunten Krankenpfleger bereits erwartet wurden. Als sie dann aber schließlich an ihrem Reiseziel ankamen – in dieser schönen Klinik am Fuß des Berges, nach einer kleinen Autofahrt von vielleicht nur 20 Minuten – da war der Krankenpfleger schon gar nicht mehr so schlecht gelaunt.
Warum auch immer, aber irgendetwas hatte sich in ihm während der kurzen Fahrt auf überaus geheimnisvolle Weise verändert.
Seine Kollegen sprechen noch heute davon, dass er hinterher behauptete, an diesem Tag einem echten Engel begegnet zu sein.
Конец ознакомительного