Rainer Buck

Indianertod


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wenn das Bußgeld hoch genug war, würde sich Lisa mit etwas Glück bei Manuel melden und ihn um Begleichung bitten. Zumindest gab es jetzt einen Grund, nicht nur die Autoschlüssel in den Briefkasten einzuwerfen, wie sie es verabredet hatten.

      Daheim angekommen, opferte er noch eine kostbare Minute für einen Anruf bei Robert.

      „Noch etwas passiert in der letzten Stunde?“, fragte er.

      Robert versicherte ihm, dass die Polizei aus ermittlungstaktischen Gründen, wie es immer hieß, nichts mehr herausgeben werde. Die Kollegen vom Boulevard hätten ihm also in der morgigen Ausgabe nur das voraus, was sie sich selbst aus den Fingern saugten. Der Kavaliersdienst für Lisa, der Abstecher nach Neumünster, würde ihn nicht ins Hintertreffen bringen, vorausgesetzt, seine Kreativität ließ ihn jetzt nicht völlig im Stich.

      Zum Glück war er es gewohnt, seine Predigten oft auf den letzten Drücker zu schreiben. Zwar begleitete ihn ein Predigttext in seinem Kopf durch die ganze Woche, doch zu Papier brachte er seine Gedanken mitunter erst am späten Samstagabend, wenn er die Ruhe hatte, sich auf Gottes leise Stimme zu konzentrieren. Er schickte ein Gebet zum Himmel, dass ihm heute problemlos die richtigen Formulierungen für seinen Artikel einfielen.

      Eine Stunde später, gut zehn Minuten vor Ultimo, drückte er auf Speichern und Senden“. Die Korrektur seiner Flüchtigkeitsfehler gönnte er Sandner, der ihn zwischendurch zweimal angerufen hatte, um zu fragen, wo der Artikel bliebe. Immerhin hatte ihn Sandner nicht nur genervt, sondern ihn auch darüber informiert, dass er schon das Bildmaterial zu Branco Ilic zusammengestellt hatte. Die neuesten Fotos zeigten ihn mit der schönen Jana Felden an seiner Seite als „Winnetou und Ribanna“. In Karl Mays Roman waren Winnetou und Ribanna das mystische Paar, dem kein gemeinsames Glück beschieden war. Dem tragischen Los des Apatschen entsprach es nicht, zusammen mit einer Squaw zufrieden den Wigwam zu teilen.

      „Ja seid ihr denn von allen guten Geistern verlassen? Wie konnte das passieren? Wir hatten von einem Unfall gesprochen, nicht von einem Mord“, kläffte die Stimme aus Wiesenlohs Handy. Der Intendant der Festspiel GmbH tupfte sich mit seinem Taschentuch Schweißtropfen von der Stirn.

      „Ich weiß nicht, wer dahinter steckt. Ich hatte mir was ganz anderes ausgedacht und meinen Mann entsprechend instruiert“, beteuerte Wiesenloh und versuchte, den Anrufer zu beschwichtigen. „Wir wären doch bescheuert gewesen. Ilics Tod kann unseren Plan sogar völlig zum Kippen bringen. Der Bürgermeister geht wegen des Todesfalls davon aus, dass die Spiele für diese Saison gelaufen sind.“

      „Was sagen Sie? Hören Sie mal her, Wiesenloh. Wenn mein Klient hier nicht spätestens nächste Woche am Start ist, wird eine Bombe hochgehen. Dann war es das für Sie. Und ich spreche nicht nur von Ihrem Job in Espefeld.“

      Wiesenloh lief rot an. Wieder wischte er sich mit dem Taschentuch über die massive Stirn. Innerlich verfluchte er sich dafür, diesem Kraken die Hand gereicht zu haben. Dabei profitierte er von der ganzen Sache nur indirekt. Klar, die Vertragsverlängerung und das höhere Gehalt würden ihm sicher sein, wenn die nächste Saison einen neuen Zuschauerboom brächte. Der musste auf jeden Fall kommen mit einem frischgebackenen TV-Star auf der Bühne.

      Hannes Wühlmann sollte zunächst hier in Bad Espefeld für Branco Ilic als Winnetou-Darsteller einspringen. Dann würde ihm die Rolle in der neuen Karl-May-Verfilmung nicht zu nehmen sein. Wühlmanns Manager Freddie Gerling hatte seine Verbindungen auch in die Filmwelt. Und nun sah es so aus, als könnten diese Pläne platzen.

      Wiesenloh fühlte sich nach dem Anruf von Gerling eingeschüchtert. Außerdem fing er an, sich zu fragen, ob er nicht doch mitverantwortlich war an Ilics Tod. Konnte sein Auftragnehmer etwas missverstanden haben? Am liebsten hätte er zum Hörer gegriffen und ihn umgehend zur Rede gestellt, in gleicher Weise, wie ihm Freddie Gerling gerade eine Szene gemacht hatte. Doch entweder traf er damit den Falschen, oder dieser Kerl war gefährlicher, als er gedacht hatte. Ob er dann allerdings für so wenig Geld bei der Sache mitgemacht hätte?

      Je mehr Wiesenloh nachdachte, desto mehr wuchsen seine Sorgen. Was, wenn sein Auftragnehmer die Prämie nur als Anzahlung verstand und ihn hinterher erpresste? Er spürte, dass er sich zu einer Sache hatte hinreißen lassen, der er nicht gewachsen war.

      Im Grunde war es nicht die Aussicht auf die Vertragsverlängerung gewesen, nicht das höhere Gehalt, das ihn erwartete, und schon gar nicht das lächerliche Schmiergeld von Wühlmanns Manager. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, musste er sich eingestehen, dass der blanke Hass auf Ilic ihn getrieben hatte. Hass war offensichtlich kein guter Ratgeber.

      Manuel genoss den Kaffee auf der Terrasse seines kleinen Heims, einem Anbau an das Gemeindezentrum der evangelischen Freikirche. Die Gemeinde bestand aus etwa hundert Seelen, wenn man die Glieder mitrechnete, die nur ab und zu an den Gottesdiensten, Bibelabenden und sonstigen Aktivitäten teilnahmen. Bevor Manuel seine Stelle angetreten hatte, war ein älterer Pastor nach über dreißig Jahren Dienst in den Ruhestand verabschiedet worden. Der Dienstauftrag war nach einem Beschluss des Vorstands auf eine halbe Stelle reduziert worden, wobei Manuel bei der Einstellung von einem Vorsteher lächelnd signalisiert bekommen hatte, dass sich diese Reduzierung natürlich vor allem auf die Bezahlung bezöge.

      Manuel Wolff versah seinen Dienst engagiert und aus Überzeugung, achtete aber darauf, sich Freiraum zu erhalten, um etwas für seinen Unterhalt hinzuverdienen zu können. Das Honorar der Zeitung war zwar nicht üppig, doch er liebte den Journalismus und fand die Mitarbeit bei der Lokalredaktion ideal, um außerhalb der kirchlichen Welt unter Menschen zu kommen. Er war der Meinung, dass zu einem guten Pastor eine gewisse Weltoffenheit gehörte.

      Robert Falke, mit dem er sich trotz ihres Altersunterschieds angefreundet hatte, gehörte dem siebenköpfigen Gemeindevorstand an. Zunächst waren sie eher reserviert miteinander umgegangen, doch seit sich die beiden Männer im vergangenen Jahr vor der Kasse der Karl-May-Spiele getroffen und ein gemeinsames Interesse festgestellt hatten, war ihre Beziehung persönlicher und zuletzt sogar vertraut geworden.

      Vor dem Frühstück hatte Robert angerufen und ihm für den Bericht in der „Nord-Ostsee-Zeitung“ seine Anerkennung ausgesprochen.

      „Ich hatte eben einen guten Informanten“, erwiderte Manuel das Lob.

      „Wirst du weiter an der Sache dranbleiben?“, fragte Robert. „Dann strecke ich weiterhin die Fühler für dich aus. Ein Freund von Pressekonferenzen ist unser hiesiger Chef ja nicht gerade.“

      „Ich denke, dass da Druck von den Medien kommen wird. Ilic ist ja immerhin ein Thema für die Regenbogenpresse.“

      „Da magst du Recht haben. Du hast doch gestern noch seine Freundin Jana Felden gesehen. War sie nicht völlig durch den Wind?“

      „Erstaunlicherweise nicht. Als ich Lisa zu ihr brachte, wirkte sie ziemlich gefasst. Beinahe hätte ich vergessen zu kondolieren.”“

      Robert lachte. „Vielleicht lag es auch daran, dass dich diese Lisa etwas abgelenkt hat.“

      Manuel blies Luft durch seine Lippen. „Wenn nicht gerade du es wärst, würde ich die Bemerkung glatt ignorieren. Aber du liegst nicht ganz falsch. Lisa hat wirklich einen starken Eindruck auf mich gemacht. Vielleicht ja deshalb, weil ich zuerst ihre Schwester Jana in ihr sah. Ich muss sie wie ein Idiot angestarrt haben, wie sie da plötzlich im Rollstuhl vor mir saß.“

      „Sie scheint jedenfalls eine sympathische Person zu sein“, stellte Robert fest.

      „Das ist sie.“

      „Und ihre Schwester? Hört sich an, als sei sie eher kühl.“

      „Als ich sie neulich interviewte, machte sie auf mich keinen schlechten Eindruck. Ich würde meine Beobachtung von gestern nicht gleich überbewerten. Jeder Mensch hat seine eigene Art, mit Trauer umzugehen.“

      „Ich würde ja nicht darauf herumreiten, aber den Kollegen von der Kripo erschien Jana Felden gestern ebenfalls sehr … gefasst. Alle wollten sich um sie kümmern und sie betütteln. Dabei hätten sie