nicht umsonst vorgeschlagen, Manuel einzuweihen.“
Jana schüttelte den Kopf. „Es sind doch völlig haltlose Spekulationen. Je mehr ich darüber nachdenke, desto größer werden meine Zweifel, ob ich mich nicht sogar völlig getäuscht habe.“
„Liebes. Erzähl doch einfach Manuel die Geschichte. Auch von den Hintergründen. Wenn er meint, dass es besser ist, mit der Sache nicht zur Polizei zu gehen, dann mag es so sein.“
„Moment“, mischte sich Manuel ein. „Was ich bisher erfahren habe, diese Sache mit dem Anrufer, sollte die Polizei unbedingt wissen. Es ist deren Sache, die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen und herauszufinden, ob der Kerl ein harmloser Spinner ist oder nicht. Wobei für mich keiner harmlos ist, der telefonisch Frauen belästigt.“
Manuel ertappte sich dabei, für die letzte Bemerkung einen dankbaren Blick von Lisa erheischen zu wollen, doch deren Aufmerksamkeit war auf Jana gerichtet. Diese seufzte tief, ehe sie entgegnete:
„Es geht weniger um diesen Anrufer. Der ist ja tatsächlich selbst schuld, wenn er durch meine Aussage in die Sache hineingerät. Aber der andere … wenn er erfährt, dass ich ihn da reinziehe.“
„Der Andere?“ Manuel wurde hellhörig, doch Jana verstummte.
Lisa redete ihrer Schwester nochmals zu und versicherte, dass Manuel von Berufs wegen auf Vertraulichkeit geeicht sei.
Sei es, dass Jana daraufhin wirklich Vertrauen fasste, oder aber, dass sie nicht mehr wirklich zurückkonnte, jedenfalls erfuhr Manuel nun Dinge, die ihm in der folgenden Nacht einige schlaflose Stunden bereiten sollten.
11.
Als Robert Falke ihn gestern am späten Abend angerufen hatte, hatte sich für Manuel zunächst alles richtig angefühlt, was er Jana geraten hatte. Manuel erfuhr, dass die Polizei nach Janas Hinweis noch am selben Tag Peter Becker als den Stalker identifiziert und unter dringendem Tatverdacht verhaftet hatte. Dennoch ließ ihn nicht los, was Jana ihm sonst noch anvertraut hatte. Lisa war es offensichtlich wichtig gewesen, dass er davon erfuhr. Hätte sie den Verdacht ihrer Schwester für ein bloßes Hirngespinst gehalten, würde sie Jana nicht dazu überredet haben, die Angelegenheit vor einem Dritten auszusprechen. Lisa hatte erst nach längerem Zögern Manuels Vorschlag zugestimmt, der Polizei gegenüber vorerst nichts von dem weiteren Verdacht zu erwähnen. Trotzdem war die Sache damit nicht vom Tisch. Es wäre einfacher für ihn gewesen, hätte er Robert einweihen können. Dieser war Kriminalist und zugleich ein kühler Kopf.
Am Dienstagmittag rief Robert bei ihm an und berichtete, Becker sei offensichtlich geständig. Nur einige Details des Tathergangs wären noch offen. Wie es schien, war der Mord die Eifersuchtstat eines Geistesgestörten. Ausgerechnet die romantische Beziehung zu seiner Schauspielkollegin Jana Felden, die im Vorfeld für einige positive Schlagzeilen in den Boulevardnachrichten und den Illustrierten gesorgt hatte, schien Branco Ilic zum Verhängnis geworden.
Manuel schrieb in seinem Bericht zwar, dass die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen seien und man weiterhin nur von einem dringenden Tatverdacht sprechen dürfe, doch andere Blätter hatten sich schon festgelegt: „Liebe zu Ribanna besiegelt Winnetous Tod!“, hieß es im größten Boulevardblatt. „In diesem Haus wohnte der Winnetou-Mörder“, war eine weitere Story betitelt.
Manuel, der das Blatt hin und wieder aus beruflichem Interesse heraus kaufte, seufzte kopfschüttelnd, als er die Geschichte las, während er vor einem Café in der Fußgängerzone der beschaulichen Bad Espefelder Innenstadt saß und einen Milchkaffee trank. Dann fiel sein Blick auf eine weitere Meldung in Sachen Karl-May-Spiele. Dieser Artikel wirkte auf ihn elektrisierend. Er zog sein Handy aus der Tasche und telefonierte mit Lisa. Die nächsten Minuten wartete er ungeduldig auf einen Rückruf. Es folgte ein kurzes, eindringliches Gespräch mit Jana Felden, ehe er Robert Falkes Nummer eingab. Wenig später ging er vom Marktplatz die wenigen Schritte hinüber zur Amalienkirche, wo ihn Robert abholen sollte.
Bald darauf brausten sie in Roberts Wagen über die Bundesstraße durch die hügelige holsteinische Landschaft. Früher hatte Manuel immer angenommen, Norddeutschland sei eine einzige Ebene. Inzwischen war er ein Fan der Holsteinischen Schweiz. Die Landschaft rund um den Plöner See bot das Maß an Abwechslung, das er schätzte, wenn er gelegentlich zum Abreagieren angestauten Stresses mit dem Rennrad über die Landstraßen flog.
Aus dem CD-Player schallte ein Gospelsong von Robert Falkes Lieblingssänger Johnny Cash, doch der Hauptkommissar a. D. schien kaum auf die Musik zu achten. Mehrfach bohrte er nach, welche Offenbarungen ihn denn erwarteten, doch Manuel beharrte darauf, dass Jana Felden es ihm selbst sagen müsse. Was sie nicht preisgeben wolle, dürfe er nicht weitererzählen.
„Wohl ein Beichtgeheimnis“, knurrte der Ältere.
„Yep“, erwiderte Manuel nur.
„Aber über Lisa Felden können wir doch sprechen“, fuhr Robert nach kurzer Pause fort.
Manuel drehte sich zu ihm um. „Was gibt es über sie zu sagen?“
„Oh, ich meine nur. Sie ist eine nette junge Frau. Wäre sie nicht an den Rollstuhl gefesselt …“
„Hätte sie in diesen Tagen vielleicht etwas ganz anderes zu tun, als sich jetzt um ihre Schwester zu kümmern“, erwiderte Manuel unwirsch.
„Du magst sie?“, fragte Robert.
Manuel holte tief Luft. Als Robert schon nicht mehr mit einer Antwort rechnete, wandte sich sein Beifahrer ihm zu und fixierte ihn mit seinen stahlblauen Augen. „Nach allem, was ich dir über mich anvertraut habe, wundert es mich, dass du annimmst, ich würde jetzt unbefangen über meine Gefühle für Lisa mit dir plaudern wollen.“
„Heißt das, du hast Gefühle für sie?“
„Robert, bitte lass uns das Thema wechseln.“
„Du kennst meine Meinung.“
„Ja, ich kenne sie. Aber vielleicht solltest du gerade deshalb nicht fortfahren, mich zu nerven.“
„Schon gut, mein Freund. Entschuldige.“
12.
In Janas Wohnung erwartete Manuel eine Überraschung. Als ihn die Schauspielerin ins Wohnzimmer führte, kam Lisa an einem Rollator gehend ungelenk einige Schritte auf ihn zu. Zwar hatte er schon an dem Abend, als er sie im Wagen ihres Vaters heimgefahren hatte, den Eindruck gehabt, dass sie beim Umsteigen vom Rollstuhl ins Auto und zurück etwas Beinkraft einsetzen konnte, doch bisher hatte sie sich in seiner Gegenwart nur im Rollstuhl fortbewegt. Lisa deutete auf den leeren Rollstuhl und sagte: „Damit fühle ich mich beweglicher, aber es wäre einfach undankbar gegenüber Gott, das kleine Wunder nicht anzunehmen, dass ich mich wieder auf den Beinen halten kann.“ Schwerfällig wendete Lisa, ging mit kurzen Schritten hinüber zum Tisch und ließ sich behutsam in ihrem Rollstuhl nieder.
Manuel und Robert nahmen nebeneinander auf der Couch Platz. Jana stellte ein Tablett mit Wasserkaraffe und Gläsern auf den Tisch. Dann wandte sie sich an Manuel:
„Lisa wollte, dass ich mit deinem Freund spreche. Hast du ihn schon in die Sache eingeweiht?“
Manuel schüttelte den Kopf. „Ich halte meine Versprechen. Aber jetzt, nachdem in der Zeitung steht, dass Wühlmann Ilic in der Rolle als Winnetou beerben wird, denke ich, dass wir offen über das reden sollten, was du mir anvertraut hast.“
Jana sah Robert nachdenklich an, als wolle sie sich ein Bild von seiner Vertrauenswürdigkeit machen. Ihr Blick schien Robert nicht verlegen zu machen. Er wirkte, als wäre er noch im Polizeidienst und führe amtliche Ermittlungen.
Nach einem Schluck Wasser begann Jana: „Es geht, wie gesagt, um Hannes Wühlmann, der demnächst für Branco in Bad Espefeld den Winnetou spielen soll. Ich könnte mir vorstellen, dass er etwas mit Brancos Tod zu tun hat.“
„Sie wissen, man hat aufgrund Ihrer Hinweise diesen Peter Becker verhaftet. Der scheint die Tat gar nicht zu leugnen.“
Jana nickte.