mal was richtig machen.
Einen Vorteil hat das Gefälle in der Gesellschaft aber: Wenn man sich nicht genug wahrgenommen fühlt, kann man sich öffentlich von irgendwas distanzieren und das dankt einem dann wer. Ich könnte mich jetzt und hier zum Beispiel ohne Weiteres von allen Carrerabahnbesitzern, Apfelessern, Zweiraumwohnenden, Sexmaniacs, Zölibatären, Sonnenstudiobetreibern, Überglücklichen, Unglücklichen, Katzenhassern, Hundezüchtern, Weichspülerbenutzern, Eisschwimmern, Süßschnäbeln und Fernsehmoderatoren, Päpsten und Komasäufern distanzieren. Alles so Sachen, die mir fern sind, ich zur Zeit nicht tue, habe, bin, nicht will, nicht kann oder nie tun, wollen, haben oder können werde. Na gut, man nimmt manchmal Gewohnheiten an, die man früher verabscheut hat und kann seine Meinung ändern. Es soll ja sogar Leute geben, die aus Regierungsparteien austreten. Selten, aber es gibt sie.
Auch ich bin manchmal kurz davor, wenn die Handtücher so kratzen, Weichspüler zu kaufen. Ich kann mir sogar sehr entfernt vorstellen, doch noch den Führerschein zu machen, überglücklich zu sein oder Hunde zu züchten, obwohl das irre weit von dem weg ist, was ich derzeit tue. Aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, Terrorist zu werden. Ich hoffe, es wird mir keiner danken.
2015
Wunschlos glücklich
Zufriedenheit ist ein hohes Gut, aber irgendwie hat sie auch etwas Selbstgefälliges. Vor allem, wenn man von einfältigen Pulswärmerträgerinnen mit Kalendersprüchen zu Bescheidenheit angehalten wird. Ist es denn wirklich eine Perle fernöstlicher Weisheit, dass man ohne Schuhe im Schnee froh sein soll, dass man noch seine Füße hat? Zumal es dann bis zum Abfrieren ja nicht mehr lang hin sein kann.
Nun ist in unseren Breitengraden echter Mangel tatsächlich kein Massenphänomen. Vielmehr kranken wir am Überfluss. Das ist schon irgendwie beschämend und manchmal rufe ich mir selbst am frühen Morgen zu: »Meine Probleme möchte ich haben!«, wenn ich antriebslos hinter einem halben Liter echtem Bohnenkaffee über irgendeines grüble.
Was es aber sehr wohl mitten im Überfluss gibt, ist das Gefühl, irgendwann mal falsch abgebogen zu sein und festzustecken. So gings mir neulich auch. Und als mir auffiel, dass ich im Alltag den Schlangen und Eisenbahnen gleich sogar buchstäblich stets dieselben Wege nehme, nahm ich einfach mal eine andere Abzweigung.
Während ich so durch die Gegend stromerte, kam ich an einer Fleischerei vorbei. Mitten im Schaufenster prangte ein Plakat, das für eine Aufführung von Brahms Requiem warb. Nun entbehrt es nicht der Komik, wenn man mit toten Tieren handelt und im Schaufenster prominent auf den Weg allen Fleisches hinweist, aber ich dachte, man müsse sich vielleicht doch Sorgen machen. Zumindest scheint mir die Ankündigung eines Totenamts zwischen Nackensteak und Mettwürsten recht provokativ. Leidet der Metzger mit der dahingeschlachteten Kreatur oder doch eher um seiner selbst willen? Heißt es nicht bei Brahms auch: »Denn alles Fleisch es ist wie Gras«? Was will der Mann uns damit sagen? Ist er im Herzen Vegetarier oder heißt das Motto »Schwein oder Mais – alles Wurscht!«?
Aber Kurzschlüsse sind gar nicht und Umkehrschlüsse nicht immer erlaubt. Und Glück ist wie Unglück wohl oft Interpretationssache. So wie bei den Zettelchen, die in Glückskeksen oder Losen stecken. Aber der Spruch »Sie brauchen sich über Ihre Zukunft keine Gedanken zu machen.« kann doch sehr wohl als zweideutig gelten! Dennoch hat eine Frau es mir auf einer Party mal sehr übel genommen, als ich ihre Freude über ihr »Los« dämpfte, und mir meine Logik als Übelwollen ausgelegt.
Dabei hatte ich nur darauf hinweisen wollen, dass Wünschen eine hohe Kunst ist, denn die Götter (oder wer immer sich da zuständig fühlt) sind noch selbstbezogener als Pulswärmerträgerinnen. Daher ist es gut, dass nicht all unsere Wünsche in Erfüllung gehen. Als Kind wünschte ich mir nämlich nichts sehnlicher, als dass mir ein Fell wüchse und ich außerdem nie wieder zum Zahnarzt müsse. Und ich wollte unbedingt, dass meine Oma immer bei mir bliebe. Wie ich die beinharten Wunscherfüller kenne, die teilnahmslos über uns grasen, wäre ich demnach einen frühen Tod gestorben und hätte zuvor behaart und zahnlos ein elendes Leben außerhalb der menschlicher Gesellschaft – womöglich allein mit Oma in einer Höhle – gefristet.
Davor hatte ich ja nur warnen wollen, aber die Frau war sehr böse mit mir. Übrigens trug sie selbstgefilzte Pulswärmer und hat mir das letzte Bockwürstchen weggeschnappt. Es gibt eben Konsumphänomene, die sind nur schwer zu knacken.
2014
Hasenrein eingemiezelt
Immer wieder lernt man neue Wörter kennen. Die meisten verraten nur eine gewisse Sprachfaulheit oder absichtliche Unschärfe, wie »runterzeichnen« oder »hochpreisig«. Ganz schrecklich ist natürlich das Kauderwelsch bei unserem täglichen Umgang mit der Technik, das man eigentlich auch »daunloden« und »abdäten« schreiben könnte. Während andere Wörter, die ähnlich zusammengestoppelt sind, den Charme des Rotwelsch haben: »Ich bin ziemlich abgebastelt und wenn wir noch weg wollen, muss ich mich erst aufbrezeln«, sage ich manchmal aus Freude an seltsamen Wörtern ohne eindeutigen Sinn und aus gegebenem Anlass. Auch das Verb »abflattern« gefällt mir. Es hat weder etwas mit Geflügel noch mit einem zügigen Abgang zu tun, sondern meint das Absperren mit rot-weiß gestreiftem, sogenanntem Flatterband. »Kein Thema«, sagt der nette Techniker, »ich flatter Ihnen das ab, dann kann der Ü-Wagen nachher hier parken.« Klasse! Verträumt denke ich an »Zwiebelfische« und »Hurenkinder« aus der Zeit, als es noch »Schweizer Degen« gab. Die ersten hat der auch schon wieder antiquierte Fotosatz uns genommen, die zweiten gibt es heute um so mehr, weil der strenge Blick der Dritten auf Satz und Umbruch fehlt.
Manche sehr brauchbaren Wörter sind einfach nicht mehr geläufig oder aus der Hochsprache verbannt worden, wie zum Beispiel »einmiezeln«. Sich einzumiezeln kann schön sein, dass sich etwas »so einmiezelt« eher nicht. Ein anderes Wort dieser Kategorie ist »hasenrein«. Als ich es zum ersten Mal hörte, musste ich an ein kleines Bilderbuch denken, das ich als Kind besaß: »Familie Osterhase«. Bei denen war es in der Tat sehr adrett zugegangen. Es bezeichnet aber einen Jagdhund, der auf Vögel abgerichtet ist. Immerhin, keine Gefahr für Familie Osterhase, die allerdings unter dringendem Klischeeverdacht steht und selber nicht ganz hasenrein zu sein scheint.
Ich habe es gerne, wenn jemand etwas barocker mit unserer Sprache umgeht und Wörter neu zusammensetzt oder erfindet. Schattenlichtspiele gibt es an Hausfassaden bei Karl-Heinz Ott. Galaxiendotter, Schleierwuseln und herabbelfernde Schneeflocken finden sich bei Thomas Rosenlöcher. Auch wenn heute ein sparsamerer, nüchterner Stil überwiegt – der auch von bestechender Melancholie sein kann – ich lese das andere lieber: mehr Wagnis und eine lebhaftere Sprachmusik.
Neulich musste ich eine Amtsperson überzeugen: »Ich kann Ihre Shareware nicht downloaden, Update geht nicht ohne neue Hardware und die ist nicht drin.« »Das kennen wir«, hieß es, »der Costcut nimmt überall zu.« Wir haben uns gleich verstanden. Da hat sich wohl in unseren Wortschatz einiges nicht ganz hasenrein eingemiezelt.
2006
Verlässliche Wörter
Eisenbahn, Ginster, Milch, Holz, Kohle, Suppe, Marmelade, Pfote – einige Worte, die ich persönlich als sehr verlässlich empfinde. Leider erweisen sie sich bei längerem Betrachten oder Anhören schon als wesentlich unzuverlässiger. »Milch« zum Beispiel, ein geradezu unheimlich bläuliches Schimmern. Nur »Marmelade« hält etwas länger stand, wird dann aber vollends unbegreiflich.
Mit einem kurzen Satz hat Alexander Kluge viel zu diesem Phänomen gesagt: »Je näher man ein Wort ansieht, desto ferner schaut es zurück.« Er bezog es, in seinem Film und Buch »Die Patriotin« von 1979, zeitgemäß auf das Wort »Deutschland«. In politischen und historischen Zusammenhängen ist ohnehin Skepsis geboten, was den Unterschied zwischen einem Wort und seiner Bedeutung angeht. Je weniger Demokratie, desto verschleierter sind die Begriffe. Bei uns haben sich allerhand Euphemismen für eher unangenehme Tatsachen eingebürgert. »Freisetzen« oder »entsorgen«, zum Beispiel, hießen früher noch »entlassen« und »wegwerfen«.
Wie