Kathrin Dittmer

Hasenrein eingemiezelt


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Tut er es doch, dürfen Sie sicher sein, dass es keine Literatur ist!

      Die Kunst hat den Vorzug, Wahrheit zu suchen, aber nicht finden zu müssen. Aufgeklärte Forschung – ob nun Natur- oder Geisteswissenschaft – wird sich allerdings mit der gleichen Haltung präsentieren. Der Dozent für Logik und Mathematik und Gelegenheitsautor Charles Lutwidge Dodgson alias Lewis Carroll schickte schon 1865 seine Alice ins Wunderland, um sie einen Blick auf die Realitäten der Macht und der Möglichkeiten werfen zu lassen. Als sie auf Humpty-Dumpty trifft, erklärt dieser ihr genau, wie man Wörter in den Griff bekommt und wie man sie am besten kurz hält, damit sie spuren: durch äußert dürftige und sporadische Bezahlung nämlich. Als Alice entsetzt fragt: »Aber man kann doch Wörter nicht einfach etwas anderes heißen lassen?« entgegnet er selbstgefällig: »Es kommt nur darauf an, wer die Macht hat.« Verben seien allerdings die Widerspenstigsten. Leider kippt er dann von der Mauer, und wie wir wissen, können ihm weder des Königs Pferde, noch des Königs Männer wieder aufhelfen.

      Auch Bernd Lichtenberg, der Drehbuchautor von »Good Bye, Lenin«, fragt sich am Schluss seines Buches »Eine von vielen Möglichkeiten, dem Tiger ins Auge zu sehen«, ob einer, der sagt, den Gesang eines Vogels gehört zu haben, nicht vielleicht eine Schiffssirene gehört hat, die er Vogel nennt, »nachts, wenn das Fernweh allen Wörtern ihre scheinbare Verlässlichkeit raubt.«

      Gibt es also verlässliche Wörter? Nein.

      Außer Eisenbahn, Ginster, Milch, Holz, Kohle, Suppe, Marmelade und Pfote natürlich.

      2005

      Über den Worten

      Wie recht Jerome K. Jerome hatte, als er in seinem vergnüglichen Reisebericht von 1900 behauptete, es gäbe zu viele deutsche Dialekte, als dass es sich für einen Fremden lohne, reines Deutsch zu lernen, und meinte, er sei geneigt zu glauben, dass Deutschland im Verlauf des Jahrhunderts über diese Schwierigkeit hinwegkäme, indem es Englisch spräche. Geradezu prophetisch! Da es jedoch noch nicht ganz so weit ist, musste ich meine leicht eingerostete Fremdsprachenkompetenz wieder hervorkramen, als ich an der ICORN-Tagung in Brüssel teilnahm.

      In Brüssel selbst, obwohl Hauptstadt des nicht nur im Sprachstreit liegenden Belgiens, hört und liest man auf der Straße und in den Geschäften neben Französisch und Flämisch in zumindest scheinbar friedlichem Ungleichklang so ungefähr jede Sprache Asiens und Afrikas und noch ein paar europäische dazu. Bei der Tagung wurde Englisch gesprochen. Aber vor die Verständigung, lieber Jerome K. Jerome, haben die Götter den Akzent gesetzt!

      Hat man sich gerade in den hohen, spannungsvollen Ton des bengalischen Autors eingehört, folgt das handfeste Englisch einer kämpferischen, senegalesischen Lyrikerin. Englisch erklingt mit afghanischem, simbabwischem, iranischem, irakischem, chinesischem, russischem und algerischem Akzent. Dazu poetisch, sachlich, ironisch, traurig, aufgeregt, tief bewegt, nüchtern und düster. Ein halber Konferenztag und ich trudele schon ein wenig. Erleichtert stelle ich fest, dass nun eine Weile eine der norwegischen Organisatorinnen sprechen wird, bis mir einfällt, dass ihr Mann Schotte ist und sie eine bravuröse Eloquenz an den Tag legt, bei der mein innerer Übersetzer regelmäßig streikt. Doch am schlimmsten sind im Grunde sowieso die Muttersprachler: affenartige Geschwindigkeit, gnadenlos sophisticated.

      Am Nachmittag geht es mit der finnischen Europakommissarin weiter, die schön langsam kurze Sätze spricht, jedoch hat nun mein löchriges Vokabelgedächtnis seine liebe Not mit den Fachbegriffen. Bei der anschließenden Podiumsdiskussion gerate ich nach immerhin erst zwanzig Minuten ins Schleudern und freue mich das erste Mal im Leben ernsthaft auf ein Sitzungsprotokoll, in dem ich die Kernpunkte werde nachlesen können.

      Ich schaue mich im dämmrigen Licht des Theatersaals um, in dem wir tagen, und sehe, dass mein Nachbar zur Rechten das tut, was einige im Theater tun: schlafen. Geschickt hält er den Kopf in einem Neigungswinkel, der konzentriertes Zuhören simuliert. Links von mir schaut der Leiter der Casa Refugio Citlaltépetl aus Mexiko City ernst in Richtung Bühne. Ich flüstere ihm zu, ob er mir helfen kann, den Faden wieder aufzunehmen, was schlicht »did you get him?« heißt, und er antwortet mir mit leicht flötendem Akzent, denn er ist Franzose, daß er keine Ahnung habe, der eben gebrachte Beitrag sei kryptischpoetisch überambitioniert, aber es gäbe gleich Kaffee, ob ich mit rauskäme und vielleicht eine kubanische Zigarre wolle. Und richtig naht kurz darauf in zweifacher Hinsicht die Rettung in Form des deutschen Vorsitzenden. Er spricht umstandslos und kurz – also völlig atypisch für Deutsche – und kündigt zudem die Kaffeepause an. Allerdings mahnt er auch, sich rechtzeitig für einen der samstäglichen Workshops einzutragen.

      Vielleicht aus Irrsinn, vielleicht aus Orientierungssuche wähle ich »translation and publication«. Dort rufe ich den Unmut der Gastautoren hervor – die nach den repressiven Bedingungen zuhause glaubten, nun unbegrenzte Möglichkeiten zu haben –, weil ich erkläre, dass in den Ländern freier Meinungsäußerung keine Rundum-Künstler-Alimentierung existiert, sondern Verlage Bücher publizieren, um Geld zu verdienen. Rasch breche ich eine Lanze für die geschmähte ethische Haltung der Verlage und lobe insbesondere die engagierten »independent small publishinghouses«.

      Nun schaut mich der dänische PEN-Vorsitzende böse an, weil ich die Frage der meist notwendigen Förderung unter den Tisch habe fallen lassen und es ihm sprachlich nun auch zu kompliziert wird, meine Eloge zu korrigieren. Denn der kabylische Stipendiat von Fanø hatte mich nur zu gut verstanden und eben gefragt, ob es solche Verlage auch in Dänemark gäbe. In der Mittagspause erfahre ich, dass er in Sønderho untergebracht ist, das 350 Einwohner hat, die das Abschließen von Haustüren für Geheimnistuerei halten und Anklopfen für ein Zeichen von Misstrauen. Ein Drittel der Dorfbevölkerung hat innerhalb der ersten Woche auf einen Kaffee bei ihm vorbeigeschaut. »Lovely«, sage ich und nach einer bedeutungsvollen Pause: »Crazy.« »Yes«, sagt der junge Mann aus der Kabylei, »exotic experience« – besonders, weil die meisten einfach Dänisch mit ihm gesprochen hätten. Das erscheint mir inzwischen ganz vernünftig.

      Am Abend schwänze ich mit Klaus und Philippe den selbstverständlich mehrsprachigen »literary event« unter dem nicht ganz unwahren Vorwand, am anderen Morgen sehr früh zum Flughafen aufbrechen zu müssen. Wir finden eine Kneipe, wo man trotz der Abendkühle draußen sitzen kann. Ich überfliege die flämische Karte, denn inzwischen bin ich überzeugt, jede Sprache der Welt zu verstehen, wenn ich es nur nicht zu genau nehme. Wir wählen das »Bier des Monats«, das vermutlich von der Mitarbeiterin des Monats serviert wird, einer ruppigen Kellnerin, die so rasant Französisch spricht, dass ich zu ihren Ausführungen einfach nicke. Haben die Belgier einen wohlmeinenden Gott des Bieres und der Ironie? Sie bringt Trappistenbier. Wir lehnen uns zurück, strecken die Beine aus, paffen Philippes kubanische Zigarren – und schweigen.

      2011

      Liebe, Tod & Taxi

      Manchmal ist es gar nicht so leicht, sich etwas einfallen zu lassen. Das kennt jeder. Man könnte alles machen und gerade deswegen geht nichts. Wie beim Einkaufen, wenn man vor lauter Warenangebot nicht weiß, was man nehmen soll, und plötzlich alles überteuert und nicht des Kaufes wert findet.

      Das sind natürlich Luxusprobleme. Solange man sein Auskommen hat, ist das nicht weiter wild. Es besteht nur die Gefahr, in einen Trott zu geraten und einfach immer dasselbe zu machen. Ich bewundere Leute, die radikal sind in diesen Dingen. Ich meine jetzt nicht, spontan Homard à l’américaine anstelle von Pellkartoffeln zuzubereiten, obwohl man keine Ahnung und nur einen verbeulten Topf besitzt, sondern, sich auf den Weg zu neuen Ufern zu machen. Oft wird ja dergleichen im Roman oder Film dargestellt.

      Trotz meiner Bewunderung bleibe ich bei diesen Darstellungen misstrauisch. Nehmen wir an, so ein Protagonist findet sich – also nicht nur in einer Kaufkrise, sondern in einer echten Lebenskrise. Da lässt er alles hinter sich und geht nach – beispielsweise – New York oder, noch abgedrehter, nach Teheran oder Fukuoka. Dort hat er dann alle möglichen bedeutungsschweren Begegnungen und das Leben geht weiter, oder er kommt zu der Erkenntnis, dass das Leben nie weitergeht, sondern immer im Kreis rum und dass nur die Liebe zählt oder es nur auf den Tod zu warten gilt. Ich frage mich dann