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Tote wie Sand am Meer


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wollte. Sie hatte ja gerade erst den Segelschein.“ Marion wandte den Kopf. Ihr war, als werde sie vom Kastenfenster des Casinos aus beobachtet. „Hätte Frau Verena nur unseren Segellehrer mitgenommen“, fuhr der Herr in Weiß fort. „Aber den hatte ich an dem Tag in Beschlag zur Auffrischung meines Seglerlateins.“ Er zwinkerte wieder, diesmal stärker. Marion warf einen spöttischen Blick auf seine kniekurze Hose.

      Am Abend tauchte Bernie auf und gab Marion die Akte ungelöst. „Die kannst du für eine Nacht haben. Oder hast du einen besseren Vorschlag?“ Er lachte.

      Marion gab ihm einen Kuss auf die graustoppelige Wange. Der Auftrag, den sie dann erteilte, löste aber selbst bei ihrem alten Freund ein Stöhnen aus. Dass er ihn überhaupt ausführte, lag in ihrer gemeinsamen Abneigung gegen unsorgfältig aufgeklärte Todesfälle. Bernie sollte sich, getarnt als segelinteressierter Studienrat, im Yachtclub unauffällig umsehen.

      In der Akte war nichts, was die anonyme Anzeige stützen konnte. Verenas Mörder lebt! Die damalige Hausangestellte Magdalene Schramm gab an, dass Verena von Heyden mit einem Begleiter nachmittags hinausgesegelt sei. Gesehen habe es niemand. Aber an das Unwetter erinnerte sich Frau Schramm genau. Ein tragischer Unglücksfall.

      „Egbert von Heyden war in seiner Hütte in Florida, als es passiert ist“, berichtete Bernie am nächsten Abend. „Ein wasserdichteres Alibi gibt’s nicht.“

      „Machst du dich lustig?“

      „Vielleicht war Verena mit ihrem Maler so überirdisch glücklich, dass sie beschlossen, gemeinsam zu sterben“, sagte Bernie. „Denk an Heinrich von Kleist und seine Henriette.“

      „Das war Lebensüberdruss und Krankheit.“

      „Zugegeben. Aber denk dran, dass ältere schrullige Damen nur in der Literatur Verbrechen aufklären.“

      Marion bemerkte schmunzelnd, dass sie ab sechs öfter auf die Uhr schaute, wo denn Bernie blieb. Tatsächlich brachte er diesmal eine erfreuliche Nachricht. „Ähnlichkeiten in der Handschrift von Anonymus und der Unterschrift von Magdalene Schramm auf dem Zeugenprotokoll.“ Bernie erhielt wieder einen Kuss. „Die zweite Nachricht ist leider unerfreulich. Herr Egbert in FL soll schwer herzkrank sein.“

      „Mist. Das ärztliche Attest ist bestimmt schnell da. Wir können ihn nicht herholen.“

      Nachts schreckte Marion hoch. Ein Arzt, in Weiß mit kniekurzer Hose, wollte ihr die Finger abschneiden, damit sie nicht in einer roten Sauce herumrührte. Eine ältere Frau schrie: ‚Blut, überall Blut!’. ‚Still, Leni’, sagte der Arzt, ‚sonst schneide ich dir auch die Finger ab!’

      Marion saß im Bett und schüttelte über den wirren Traum den Kopf. Da machte ihr Gehirn einen der kühnen Sprünge, die sie schon manchmal auf die Spur gebracht hatten. Magdalene Schramm, ehemalige Angestellte der von Heydens, hatte als Zeugin ausgesagt. Der Herr in Weiß hatte die verängstigte Bedienung Leni genannt. Magdalene – Leni?

      Ein Gedanke hielt Marion vom Schlafen ab: Es war kein Seeunfall. Es gibt einen Mörder. Magdalene hat mir anonym geschrieben. Leni weiß es. Marions nächster Gedanke war: Leni wird schweigen. Sie wird ihre gute Stelle nicht aufs Spiel setzen. Gegen vier Uhr früh kam Marion ein dritter Gedanke.

      Magdalene Schramm war nicht zu sehen, als Marion am nächsten Tag eine Ansichtskarte von der Pinnwand neben der Theke nahm. Ein Pelikan, der in einem orange-rosa Abendhimmel über dem Meer schwebte. Florida. Egbert von Heyden schrieb, er freue sich auf die 100-Jahr-Feier in seinem Segelclub. Wohnen würde er bei seinem alten Freund Schönbeck.

      Bernie rief spät an und war bester Laune. „Unser Magdalenchen hat eine Dienstwohnung im Club. Blick auf den Hafen.“

      Marion pfiff anerkennend durch die Zähne. „Die weiß, wer raussegelt.“

      „Ich hab eine englische Lady kennengelernt, die hier einen Yachtplatz sucht. Angela.“ Diesmal pfiff Bernie. „Sie war vor Jahren fest hier im Club und dann ist irgendwas geschehen. Sie jammerte, dass der tolle Segellehrer so plötzlich weg ist. Der hätte Preise gewonnen.“

      „Der ist gleich nach diesem merkwürdigen Doppeltod von Maler und Modell weg?“ Marion merkte, wie sie aufgeregt wurde.

      „Genau. Vielleicht hätt’ ich noch mehr rausgeholt, aber dein Vorstandsmitglied in dieser komischen Club-Uniform kam Stören. Morgen sind die Lady und ich zum five o’clock tea verabredet.“

      „Dann darfst du sie bestimmt Angie nennen“, sagte Marion säuerlich.

      „Was soll ich aus dem Frohsinn, der auch Sie seit gestern belebt, schließen?“, flötete Bernie.

      „Heinrich von Kleist?“

      „Ja. Aber diesmal zu Wilhelmine.“

      „Angie.“ Marion musste lachen. „Engel sagen doch die Wahrheit, nicht?“

      Egbert von Heyden stand an der Reling und grinste in den Wind über der Golfküste Floridas. Hatte das Verena-Dummchen doch gedacht, ihn auszutricksen. Einfach abhauen mit ihrem Maler. Aber ohne Geld wollte sie nicht weg von ihrem reichen Ehemann. Dachte das Verena-Gänschen doch wirklich, mit einer gefälschten Vollmacht das Konto abräumen zu können. Aber die Bank war auf Zack. Ob er die Vollmacht für seine Frau bestätigen möge? Ha! Egbert von Heyden fuhr aus der Marina hinaus, stellte den Motor ab und zog das Großsegel hoch. Dann wollte die Schnepfe den Familienschmuck versilbern. Zum Glück rief der Juwelier bei Leni an. So ein paar treue Seelen braucht man schon. Sind ja auch belohnt worden. Lenchen mit der guten Stelle im Club. Und für den Segellehrer eine neue Vita in FL. Das mit dem Seeunglück hat er sauber hinbekommen. Und der Erlös für die Yacht, die nicht gesunken, sondern umfrisiert worden ist, gehört ihm. Nicht zu vergessen, Schönbecks Auffrischungskurs im Seglerlatein. Der Segellehrer brauchte ja auch sein Alibi. Tja, wenn man in der Theorie pennt und die Kommandos für die Heckdrehung nicht mitbekommt, kann einen das herumschlagende Segel schnell mal über Bord fegen. Die Halse ist halt ein gefährliches Manöver. Von Heyden lachte, als der Wind das Segel füllte und die Yacht Fahrt ins offene Meer aufnahm.

      „Meine lieben Segler, wir feiern das 100-jährige Bestehen unseres Clubs.“ Vorstandsmitglied Schönbeck stand auf der Tribüne, angestrahlt von Scheinwerfern. Weißer Anzug, weißes Hemd, rotgetupfte Krawatte. „Die Kieler Förde gehört zu den besten Segelrevieren der Welt. Jedes Jahr finden hier mehrere große Regatten statt. Und seit über 100 Jahren das weltgrößte Segelsportereignis, die Kieler Woche …“

      Ein braungebrannter Mann, Typ Fernsehkapitän, saß ganz vorn, um ihn herum andere ältere Männer, die ihn herzlich begrüßten.

      „ … unser Team war erfolgreich bei den Deutschen Meisterschaften in Flensburg und in Kiel …“

      Drei im Club unbekannte Männer betraten den Saal, während der Herr in Weiß seine Laudatio mit einem Segler-Toast abschloss. „Ein einfaches Godewind Ahoi, ein zweifaches Hipp, Hipp, Hurra, ein dreifaches Zicke-Zacke Heu, Heu, Heu!“

      Die Anwesenden erhoben sich, die „Hurras“ und „Ahois“ fluteten durch den Raum. Die drei unbekannten Männer traten derweil auf von Heyden zu, der seinem alten Freund applaudierte, und fassten ihn am Arm. „Schön, dass Sie den weiten Weg von Florida hierher gemacht haben.“

      Sie führten Egbert von Heyden an Marion vorbei, die ganz hinten saß. Festnehmen durfte sie als Kommissarin außer Dienst niemanden mehr. Im Scheinwerferlicht sah Marion, wie von Heyden die Lippen zusammenpresste, wie seine Augen erloschen, wie die Schultern nach unten sackten. Der Anstifter wird bestraft wie der Mörder, dachte sie.

      Aber nicht nur die drei Kriminalpolizisten hatten von Heyden erwartet. Eine elegante Dame trat hinzu und sagte mit britischem Akzent: „Ich habe es nicht gern, wenn mein Name auf meiner schönen Yacht mit dem Namen Verena übermalt wird.“

      „Angela, du kannst doch nicht …“ hörte Marion von Heyden sagen. Dann ging sie an dem Verhafteten vorbei zu Schönbeck. Jetzt zahlten sich die Früchte einer weiteren schlaflosen Nacht aus. Gegen vier Uhr früh war ihr eingefallen, dass Türauf-Schulz ab und