vorkommt, als über die dadurch oft erzielte Verbesserung. Es ist zweifellos nötig, Studenten davor zu warnen, ein entzündetes oder ulzeriertes Gelenk zu drehen oder zu ziehen. Ebenso angebracht ist es jedoch, sorgfältig zu hinterfragen, in welchen Fällen Knocheneinrenker Gutes erreichen und worin die Veränderung besteht, die ihre Manipulationen bewirken. Ein wahrscheinlich einzig dastehender, lobenswerter Versuch in diese Richtung ist Pagets5 vor drei Jahren im Krankenhaus St. Bartholomews gehaltene und danach im British Medical Journal veröffentlichte klinische Vorlesung, die allerdings den Nachteil hat, dass Paget sich bei seinen Anschauungen über die Behandlungsmethode der Knocheneinrenker lediglich auf Vermutungen oder auf mangelhafte Beschreibungen von Patienten stützt. Doch selbst wenn seine Annahmen in mancher Hinsicht falsch sein mögen: Seine Autorität zeigt ungeachtet dessen die große praktische Bedeutung der strittigen Fragen. Er sagt zu seinen Studenten: »Wahrscheinlich werden nur wenige von Ihnen praktizieren, ohne einen Knocheneinrenker zum Feind zu haben. Und wenn dieser einen Fall heilt, den Sie selbst nicht heilen konnten, hat er sein Glück gemacht und Ihres ist ruiniert.« Auf den ersten Blick könnte es so scheinen, als seien die von Paget festgestellten Zustände nur in der Praxis minder begabter Chirurgen und in den ärmeren und unwissenderen Gesellschaftsklassen Realität. Das trifft aber keineswegs zu, wie ich anhand von Beispielen zeigen werde, in denen Männer, die nicht weniger bedeutend sind als Herr Paget, bei prominenten Patienten versagt haben. Solche Fälle können nicht nur dem einzelnen Praktiker ernsthaft schaden, sondern auch die öffentliche Wertschätzung der gesamten chirurgischen Kunst mindern. Das macht es meines Erachtens erforderlich, dass jeder, der dazu im Stande ist, dem ärztlichen Berufsstand eine klare Beschreibung der Methoden, Fehlschläge und Erfolge des sogenannten Knocheneinrenkens liefert. Dieser Aufgabe habe ich mich, soweit ich es vermag, auf den folgenden Seiten gewidmet.
Das sogenannte Knocheneinrenken lässt sich kurz und prägnant als die Kunst definieren, bei der durch plötzliche Flexion oder Extensionalle Behinderungen der freien Gelenkbewegung überwunden werden, die nach dem Abklingen der frühen Symptome einer Krankheit oder häufiger noch einer Verletzung zurückgeblieben waren.
Wahrscheinlich kann ich keinen typischeren und häufigeren Fall anführen als folgenden:
Einem gesunden Mann, der sich einen oder beide Unterarmknochen gebrochen hat, werden in einem Krankenhaus auf die übliche Weise Schienen angepasst. Man behandelt ihn ambulant und nimmt die Schienen ab und zu herunter, um sie zu erneuern. Nach einigen Wochen ist der Bruch wieder fest zusammengewachsen, die Schienen werden beiseitegelegt und der Mann wird als geheilt entlassen. Er ist zwar noch immer nicht in der Lage, seine Hand oder seinen Unterarm zu gebrauchen, man versichert ihm aber, diese Schwierigkeit rühre von der durch die lange Ruhigstellung hervorgerufenen Steifheit her und werde bald verschwinden. Sie verschwindet jedoch nicht, sondern wird im Gegenteil eher schlimmer, bis der Mann sich nach einer gewissen Zeit hilfesuchend an einen Knocheneinrenker wendet. Arm und Unterarm sind dann fast rechtwinkelig zueinander gebeugt. Der Unterarm befindet sich zwischen Pronation und Supination, die Hand ist auf einer Linie mit ihm, die Finger sind steif und der Patient kann weder diese noch das Handgelenk oder den Ellbogen bewegen. Eine passive Bewegung ist zwar in engen Grenzen möglich, erzeugt aber eindeutig lokalisierbaren scharfen Schmerz am betroffenen Gelenk – ein Punkt, an dem zudem Druckempfindlichkeit besteht. Der Knocheneinrenker sagt zu dem Mann, sein Handgelenk und der Ellbogen seien »draußen«. Der Mann mag einwenden, die Verletzung habe in der Mitte des Unterarms stattgefunden – möglicherweise durch einen Schlag oder eine andere direkte Gewalteinwendung. Die Antwort lautet dann wahrscheinlich, dass der Arm in der Tat gebrochen gewesen sei wie behauptet, dass dabei aber sowohl das Handgelenk als auch der Ellbogen rausgeschoben worden seien und die Doktoren diese Verletzungen übersehen hätten. Der Knocheneinrenker wird sodann durch eine (nachfolgend beschriebene) schnelle Manipulation die Steifheit der Finger unmittelbar überwinden und dem Patienten ermöglichen, sie wieder in gewohnter Weise hin und her zu bewegen. Diese unmittelbar erfahrene Wohltat wird alle Bedenken hinsichtlich einer Manipulation von Handgelenk und Ellbogen zerstreuen, sodass auch diese sich schließlich wieder frei drehen lassen. Der Mann geht, beugt und streckt problemlos seine vor Kurzem noch steifen Gelenke und ist völlig überzeugt, dass er in den Händen der legitimierten Ärzte großen Schaden erlitten hat.
Das ist jedoch wie alle theoretischen Beispiele in gewissem Sinn ein idealer Fall. Und es mag der Mühe wert sein, ihm eine Reihe realer Begebenheiten hinzuzufügen. Bei einem Beispiel, wo man es mir erlaubt hat, so zu verfahren, habe ich den Patienten namentlich genannt, und zwar nicht nur als Garantie für Authentizität, sondern auch als zusätzlichen Beweis dafür, dass die Kunst des Knocheneinrenkens erfolgreich von Personen in Anspruch genommen wurde, die sich Hilfe von höchst angesehenen Londoner Chirurgen hätten holen können und diese auch erhielten. Die Tatsache, dass Letztere bei der Heilung der Patienten versagten, während ein Quacksalber sofort Erfolg hatte, bildet den Grund für meinen Glauben, dass die Praktik des Knocheneinrenkens nicht nur, wie die Lancet sagt, »in einer unbedeutenden Ecke der Chirurgie« verweilt, sondern auch auf gesunden, aus früherer Zeit überlieferten Bräuchen basiert. Ich halte es durchaus für möglich, dass der erste »Knocheneinrenker« der Diener oder unqualifizierte Assistent eines Chirurgen war, welcher genau wusste, was sich durch plötzliche Bewegungen erreichen lässt und wie diese auszuführen sind.
Ein solches Wissen kann der Profession leicht verloren gehen (denn welch große Menge an Kenntnissen stirbt mit jedem Menschen – selbst in unseren Tagen, wo es Bücher, Broschüren und Zeitschriften gibt!) und dann als Geheimnis eines Quacksalbers von jenen weitergegeben werden, die seinen Wert aus gutem Grund schätzen.
Meine Nachforschungen haben gezeigt, dass sich alle Knocheneinrenker in ihren Praktiken, soweit es die Manipulation anbelangt, sehr ähneln, sich jedoch in Bezug auf die erzielten Ergebnisse unterscheiden – und zwar teilweise deshalb, weil einige von Natur aus über ein besseres mechanisches Feingefühl verfügen als andere, viel mehr aber noch, weil einige eine Beobachtungsgabe besitzen, die fein genug ist, um die bei ungünstig verlaufenden Fällen auftretenden Symptome zu vermerken und in Erinnerung zu behalten und somit ähnliche Fehlschläge in der Zukunft zu vermeiden. Herr Hutton verdankte seine Reputation und seinen Erfolg vermutlich einer Kombination beider Qualitäten. Für einen Menschen, der über Anatomie und Pathologie nicht Bescheid weiß, wäre es unmöglich, die Laufbahn eines Knocheneinrenkers einzuschlagen, ohne großen Schaden anzurichten oder viele schreckliche Ergebnisse hervorzurufen – es sei denn, er ist intelligent genug, um durch Erfahrung Fallen vermeiden zu lernen. Er wird rechtzeitig erkennen, welche Gelenke man klugerweise in Ruhe lässt und welche gefahrlos und zu ihrem Vorteil bewegt werden können. Keinesfalls aufklären wird ihn die Erfahrung freilich über die Art dieses Unterschieds oder über die Beschaffenheit der Läsionen, die er gelindert hat. »Der Knochen ist draußen«, lautet im besagten Gewerbe die Überlieferung. Und seine Mitglieder bleiben stets bei dieser Aussage – wahrscheinlich weniger aus Falschheit als aus reiner Unwissenheit.
Ein Kranker kommt also mit einem steifen, schmerzenden und nicht funktionsfähigen Gelenk. Nun wird ein solches Gelenk wieder befreit und aktiviert durch Bewegungen, die einen vernehmbaren Laut hervorrufen und bei dem man leicht annehmen könnte, er sei durch die Rückkehr eines Knochens an seinen Platz verursacht worden. Dem Patienten und dem Knocheneinrenker (beide gleichermaßen unwissend in Bezug auf Anatomie und auf die Bedeutung und die Anzeichen einer Dislokation erscheint diese Erklärung völlig ausreichend. Wenn nun ein Chirurg behauptet, eine derartige Verletzung habe überhaupt nicht existiert, schenken der Patient, den er ja nicht hat heilen können, und die nicht professionellen Zeugen des Falles auf dieser Aussage keinerlei Beachtung.
Den Eindruck der Kunst des Knocheneinrenkens auf solche Personen, veranschaulicht folgender Brief in der Zeitschrift Echo aus dem Jahr 1870:
»Verehrter Herr,
vor kurzer Zeit fiel ein Maler, der für mich arbeitete, von der Decke herab auf den Boden, verletzte sich dabei schwer und musste ins St.-Bartholomew-Krankenhaus, aus dem er nach dreiwöchigem Aufenthalt als geheilt entlassen wurde, obgleich er nicht ohne Krücken zu laufen vermochte. Nach 14 Tagen ohne erkennbare Besserung, ließ er Herrn Hutton aus Wyndham Place, Crawford Street, W., kommen, der konstatierte, dass seine linke Hüfte und das linke Knie draußen waren, und er sie wieder an ihre angestammten Plätze bringen könne.