Hannelore DiGuglielmo

Bucht der trügerischen Leidenschaft


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eine Kopie von Naomi Campbell. Entgegen seiner Gepflogenheit, man sah es ihm an, und unter Aufbietung aller Courage, sprach er sie an und konnte sein Glück kaum fassen, als sie ihm, meinen zustimmenden Blick auffangend, freundlich antwortete. Der Mann war völlig aus dem Häuschen und lud uns beide für den Abend in das beste Fischrestaurant am Platze ein. Er musste am Treffpunkt eine Stunde auf uns warten, da meine Uhr noch deutsche Zeit hatte, war aber überglücklich, als er uns - für den Abend ziemlich herausgeputzt - erblickte. Bei Tisch überreichte er Sophia zwei hübsche Schmuckkästchen. Eines enthielt ein Perlmutt-Collier, im anderen befand sich das dazu passende Armband. Auch mir schenkte er, wohl in Dankbarkeit (Trostpreis), einen Perlmutt-anhänger, der wirklich zu allem passt. Nach dem sowohl guten als auch teuren Fisch-Essen am Hafen, schlenderten wir auf eine Anhöhe hinauf, zur absoluten In-Diskothek namens Harlikanas. Das dort gebotene Spektakel rechtfertigte allemal den Eintrittpreis. Viele VIP’s waren anwesend, wegen Formel-Eins in Istanbul, darunter ein Scheich, der gleich das ganze Rixos-Hotel gebucht hatte, und die Security arbeitete unübersehbar, auch wegen erhöhter Bombendrohungen.

      Nach einer langen Nacht verabschiedeten wir uns brav von unserem Begleiter, da wir anderentags ablegten, und eine Mütze Schlaf mehr als erstrebenswert war. Am Boot angekommen, das wir nachmittags gewechselt hatten, wobei der Kapitän persönlich meinen kleinen Koffer holte, aber ich ihn, neben ihm hertrottend, nicht wahrnahm, sah ich „ihn“ erstmals. Er lag in Cäsar-Manier weiß gekleidet, auf dem neben uns ankernden Boot. Ein kurzer Augenblick nach rechts, mich durchzuckte ein Blitz, das war’s. Alle übrigen 10 Passagiere, die nun ebenfalls vollzählig an Deck waren, suchten sich je eine Liege an Deck, um mit den Decken aus der Kabine am Vorderdeck, unter freiem Himmel, zu übernachten. Sophia und ich blieben in der Kabine. Als es ruhig wurde, schlich ich wort- und lautlos, wie ferngesteuert, ans Deckende, wo sich hinter dem Tisch schöne, breite Liegen befanden. „Er“ lag da, vergraben und unkenntlich in eine Decke gehüllt. Wie konnte ich ahnen, dass „er“ es war, der Mann vom anderen Boot, der da unter freiem Sternenhimmel sein Nachtlager aufgeschlagen hatte. Ich wusste es einfach. Behutsam legte ich mich dazu. Keine Regung seinerseits. Langsam begann ich, ihn am Kopf zu massieren, sehr bedächtig und gezielt. Er hatte keine Ahnung, wer bei ihm war, lag regungslos da. Seine Erstarrung wich erst nach 1 Stunde intensiver, beinahe professioneller Kopfmassage. Vom ersten Blick-Kontakt an erfasste ich seine enormen, verborgenen Probleme. Der Reiz, zu ihnen vorzudringen, beflügelte mich und wurde von Erfolg gekrönt. Unendlich langsam öffnete sich der Knoten, bis er am Morgen wie Butter in meinen Armen lag. Ein außergewöhnlicher Mann, unendlich verschlossen und schwierig! Aber wer war er? Was hat mich bewogen, zu ihm zu gehen, woher wusste ich so genau, dass er es war? Üblicherweise warteten Männer auf mich jahrelang erfolglos. Wie komme ich dazu, auf einen Mann zuzugehen, den ersten Schritt zu tun? Eines stand für mich fest: Das war nicht ich! Wer oder was hat mich also, nahezu schlafwandlerisch, geleitet? Woher nahm ich die Sicherheit, dass er sich dort, in der Dunkelheit, auf seinem Nachtlager befand? Ich spürte instinktiv, es waren seine überwältigenden Probleme, die mich magisch anzogen. Als sich am frühen Morgen die ersten Passagiere rührten, ging ich in meine Kabine zurück, um zu duschen, und er sagte „Danke.“ Sophia fragte süffisant: „Na, wo warst du denn?“, aber statt einer Antwort schaute ich sie nur völlig fassungslos an. Was war passiert mit mir? Nach einem gemeinsamen Frühstück liefen wir aus. Am Ruder der Kapitän: „Er“. Verstohlene Blicke, Einigkeit.

      Meine Verwunderung war riesengroß, da ich ihn ursprünglich, instinktiv, für einen Maschinisten hielt. Als ich Sophia nach ihm fragte und sie darüber informierte, mit ihm die Nacht verbracht zu haben, antwortete sie: „Das ist Karim, der Kapitän, hast du das nicht gewusst?“ Ich war sprachlos. Eine ca. dreistündige, rasante Fahrt übers Meer brachte uns an eine herrliche Bucht, in der wir ein erfrischendes Bad nahmen. Seine kritischen Blicke folgten mir bis an Land. Zurück an Bord ließ er sich zu der Bemerkung hinreißen: „Du schwimmst sehr gut.“ Eine nicht unerhebliche Aussage, wie sich später herausstellte. Zudem das einzige persönliche Kompliment, das ich von ihm jemals zu hören bekam. Der Tag verstrich mit Mittagessen, Haut mit Sonnencreme schützen sowie lesen und dösen gleichermaßen. Die Gespräche der Mitreisenden hielten sich in Grenzen; man war gerade erst dabei, sich kennen zu lernen. Ab und zu kam „Er“ vorbei, um Anker zu lichten oder andere Arbeiten zu verrichten. Aus dem Blickwinkel streiften mich regelmäßig seine betörenden Signale, einem Stromschlag gleich. Nach der Siesta stellte er kleine Lautsprecher in Augenhöhe meiner Liege, um mir wundervolle Musik zuzuspielen. Mir war klar, hier war ein Profi am Werk, der alle Register zog und um seine Wirkung auf Frauen wusste. Wir waren 8 Frauen an Bord. Darunter eine Thailänderin, drei Österreicherinnen usw. Er war sich deren Bewunderung sicher und eine Frau, sie war verheiratet, aber alleine mit Sohn gekommen, konnte ihre Gier nach ihm kaum im Zaum halten. Nachdem ihr eindeutiges Drängen unerhört blieb, machte sie ihm und uns das Leben zur Hölle, indem sie allabendlich zuviel trank und sich entsprechend daneben benahm. Natürlich genoss er seinen Status, badete in der Gunst seiner Anvertrauten, war aber stets zurückhaltend, schweigend, äußerst sanft und ruhig; schlicht und ergreifend - angenehm. Es war Fakt, dass er jede einzelne Frau hätte haben können, sie lauerten ihm buchstäblich auf, um sich ganz offensichtlich anzubieten. Warum also ich? Ich hasste Schönlinge, bevorzuge Typen mit markanten Zügen; innere Werte waren mein Gradmesser. Kurz, er war so gar nicht mein Typ, weil viel zu schön. In Wahrheit nahm ich sein Äußeres zu dem Zeitpunkt noch gar nicht wahr, vielmehr sah ich auf den Grund seiner Seele. Eine einzige drängende Frage beschäftigte mich dabei: „Wie kann ein Mensch leben ohne Herz, wie funktioniert er?“ Dieser Mann war so tot, wie es mein geliebter Mann nie war. Wie war es einem Menschen möglich, ohne Motor zu leben? Das Rätsel seiner Ausweglosigkeit, verbunden mit einer vorher nie gesehenen Melancholie, lag unausgesprochen vor mir, beschäftigten mich unentwegt.

      Abends waren wir bereits wieder an anderen, noch schöneren Ufern angelangt. So konnte das gerne 8 Tage bleiben. Nach einem tollen Abendessen, Spaghetti mit Bohnen, eines meiner Leibgerichte seit Kuba, die er servierte, zu denen ich mit Sophia die obligatorische Flasche Wein trank, fragte er leise ins Ohr flüsternd, indem er mir nachschenkte: „Kommst du?“ Und ich kam – gemeinsam erlebten wir ein Feuerwerk der Inbrunst. Gott, was konnte der Mann küssen. Mit seinen makellosen, blendend weißen Zähnen sog er mich mit Haut und Haaren in sich auf, einem Raubtier gleich, das seine Beute verschlingt. Sein Haifischgebiss grub sich in meinen Hals, sog an meinen Lippen, meinen Brüsten, bis wir uns in Ekstase, der lodernden Leidenschaft hingaben.

      Er konnte nicht ahnen, dass ich 2 Jahre vorher meinen über alles geliebten Mann verloren hatte und ich kurz davor noch drauf und dran war, ihm zu folgen. Was für ein Kontrast! Das Leben hatte mich wieder! Dank ihm. Beide hatten wir den rettenden Anker gefunden. Ich war an Bord seines Bootes, tagsüber Ausflüge unternehmend mit Sophia, die unsere gegenseitige tiefe Zuneigung bewundernd und billigend miterlebte; nicht ohne lächelnd auf die vielen lila gefärbten Flecke an mir und meine aufgeschwollenen Lippen aufmerksam zu machen, die ich aus der leidenschaftlichen Nacht mitbrachte - aber nicht wahrnahm, in meinem Ausnahmezustand.

      Die Sonne lachte und die Meerluft tat das Übrige. Meine Augen strahlten mit den Farben des Meeres um die Wette, sie waren wie frisch poliert, der Tränenvorhang abgenommen. Ich fühlte mich wie ein 14-jähriges Mädchen; alle Schwermut war vergessen, das Meer hatte sie weggeblasen. So schön die Tage waren, die Nächte unter freiem Sternen-Himmel, die zahllos und greifbar nahe strahlten, waren noch einzigartiger. Das Glück hatte bei uns Einzug gehalten, Halt gemacht, und uns überwältigt. Mit den Elementen kannte er sich bestens aus, nein, er war Teil von ihnen, und so nannte er den einen oder anderen Stern beim Namen. Auch konnte er Seebeben vernehmen, von denen es hier so viele gab und denen er nachts atemlos lauschte. Einmal gingen wir an Land zu einem Paar mit Kindern, das dort in primitivsten Verhältnissen, zusammen mit Tieren lebte – ein Garten Eden, in dem man Feigen vom Baum pflücken konnte und kleine Zicklein streicheln -. Unser Koch, im Privatleben Segler, übernahm die weitere Exkursion. Bis hinauf in karge Gipfelregionen, führte uns der Duft mediterraner Gewürze, von wo aus man auf malerische Buchten sah. Dort angekommen, staunten wir über frische Quellen, die dem Berg entsprangen, und direkt ins Meer flossen. Sehen, genießen, jubeln, festhalten wollen und Abschied nehmen müssen von diesem Kleinod der Natur.

      Dem wundervollen Tag folgte ein Abend, an dem ich, super gelaunt, die komplette Mannschaft unterhielt. Es wurde viel gelacht und eine Flasche Wein nach der anderen geleert.