Zeiten erkennbar. Ich hoffe aber deutlich gemacht zu haben, dass die quellenarmen Zeiten auf der Iberischen Halbinsel durchaus nicht als geschichtslose Phasen anzusehen sind.
Allerdings bedeutet der vorgegebene Rahmen nahezu jeden Buches immer auch Beschränkung. Darum ist die vorliegende Studie notwendigerweise (und durchaus beabsichtigt) ein sehr subjektives Buch, welches – befreit von vielfältigen Rücksichten – den durch Jahrzehnte der Beobachtung und Reflexion gewonnenen Blick auf die Iberische Halbinsel im Altertum wiedergibt. Darum auch die Wahl der Essay-Form für die Darstellung: Es ist mein Blick auf die Halbinsel, meine Perzeption ihrer Geschichte, auch meine Demut und mein gelegentliches Unverständnis ihr gegenüber. Und Ausdruck der Dankbarkeit für die Bereicherung meines Lebens durch dieses wunderbare und gleichzeitig furchteinflößende Land. „España me duele“ = „Spanien tut mir weh“, schrieb seinerzeit Miguel de Unamuno aus gegebenem Anlass. Glück und Schmerz, die von diesem Lande ausgehen, haben mich durch mein ganzes Leben begleitet.
Die Vorgeschichte
„Iberien gleicht einer Ochsenhaut, die sich der Länge nach von West nach Ost ausdehnt.“
(Strabon 3, 1,3)
Um ein möglichst vollständiges Bild von den Voraussetzungen der alten – und auch der neueren – Geschichte der Iberischen Halbinsel zu gewinnen, müssten wir spätestens die letzte Phase der Jungsteinzeit befragen, doch würde das den dieser Arbeit gesetzten Rahmen sprengen.
Die auf das Neolithikum folgende erste Metallzeit, die so genannte Kupferzeit (ca. 5000 – 3000 v. Chr.), zeigt an zahlreichen durch die prähistorische Archäologie in den letzten Jahrzehnten aufgedeckten Fundplätzen bereits den bedeutenden Anteil fremder Invasoren an der technischen und kulturellen Entwicklung des Landes. Die mit dieser Phase verbundene Megalithkultur, vielleicht die letzte deutlich erkennbare gemeinhispanische Zeitspanne, verbindet große Teile der Iberischen Halbinsel mit Mittel- und Westeuropa. Beginnende gesellschaftliche Differenzierung wird greifbar. Deutlich ist jetzt der bedeutende Mineralreichtum des Landes: Kupfer, Silber und Gold sowie überraschend, das zeigen jüngste Forschungen, Elfenbein [Abb. 3] welches, wie Analysen belegen, sowohl von afrikanischen wie von asiatischen Elefanten stammt und dessen Verbreitung eine mediterrane Ost-West/West-Ost-Verbindung im 3. Jt. v. Chr. nachweist (Schuhmacher 2012, 436 f.), wobei bei den Bewegungsabläufen klimatische Veränderungen eine stärkere Rolle spielen könnten, als bisher gesehen wurde.
Die kupferzeitlichen und bronzezeitlichen Kulturen, ebenfalls benannt nach ihren jeweils markantesten Fundplätzen, lassen erstmalig Ansätze zu jenem Partikularismus erkennen, der später die Geschichte der Halbinsel bestimmen wird. Gleichzeitig wird jetzt eine gewisse Interdependenz, vielleicht sogar Interaktion erkennbar, die diese Regionen verbindet.
Deutlicher werden ethnische und kulturelle Schwerpunkte in der späteren Bronzezeit (seit ca. 1200 – 800 v. Chr.), mit der das Land in die durch frühe Schriftquellen bezeugte Geschichte eintritt, interessanterweise zeitlich parallel mit der Einführung des Eisens, welches, obgleich zunächst über einen unbekannten Zeitraum noch als Edelmetall verwandt, spätestens bis zum 6. Jh. die Halbinsel erobert und, später auf der Halbinsel selbst gewonnen, eine spezielle Berühmtheit erlangt hat (Plin. n. h. 34, 144, 149), wie der Schatzfund von Villena (Alicante) beweist.
Abb. 3 Elfenbeinerner Zierdolch aus Valencina de la Concepción. 3. Jt.v. Chr.
Wir finden erste marginale Hinweise auf mykenische, dann verstärkt auf phoinikische Kontakte mit der südlichen Halbinsel, um einiges später auch auf griechische merchant venturers, die den Routen der Phoiniker zu folgen scheinen. Ihrer exotischen Attraktivität wegen und auch wegen des Beginns der Schriftquellen verdunkeln sie die Vorgänge im Norden, wo Kontakte über die Pyrenäen mit dem alpinen Raum, mit den britischen Inseln, ja bis in den Raum der Aunjetitz-Kultur existierten. Wilhelm Schüles große Untersuchung zu den Meseta-Kulturen von 1969 ist diesen Phänomenen nachgegangen. Zu seiner Zeit vielfach belächelt, hat der Forschungsfortschritt inzwischen viele seiner damals gewagten Thesen bestätigt.
Der Mythos oder Geschichte vor der Geschichte
„Es heißt, daß in dem Waldgebirge der Tartessier die Titanen gegen die Götter Krieg geführt haben …“
(Iustin. 44,4).
Über dem Beginn der schärfer konturierten „geschichtlichen“ Vorgänge auf der Halbinsel, alle „Vorgeschichte“ einschließend, liegt dunkel und verführerisch der Mythos, jenes meist undurchdringliche Amalgam aus geringem und fernem Wissen, großem Verständnis- und Erklärungsbedarf, aller Art von Projektion, vagem Hörensagen, wichtigtuerischer Spekulation, Unterhaltungsbedürfnis, Angst und tausend weiteren Ingredienzien, mit denen unaufgeklärte, illiterate, naiv-gläubige und zu kritischer Reflexion noch wenig befähigte Gesellschaften sich und anderen halbwegs plausible Anworten auf alle denkbaren Fragen zu geben versuchten, eine Mélange, die gleichzeitig einen bedeutenden Unterhaltungswert besaß.
Welche der frühen Kontakte der Halbinsel mit dem Ostmittelmeerraum zur Mythenbildung geführt haben, lässt sich nicht sagen. Der direkte Beitrag der Phoiniker wird erst mit den frühesten Berührungen phoinikischer Handelsschiffe denkbar, die aus Gründen der inneren Entwicklung der phoinikischen Städte vor Beginn des letzten vorchristlichen Jtds. schwerlich möglich waren. Die legendenhafte Ausschmückung der „Tartessos“-Erfahrungen ist frühen griechischen Kontakten mit dem hispanischen Südwesten zu verdanken, die sich in der griechischen Literatur des 6. Jh. v. Chr. in mannigfaltiger Weise niederschlugen. Im homerischen Werk ist bezeichnenderweise von „Tartessos“ (noch) nicht die Rede.
Versuche, dieses schillernde Gemenge präziser zu historisieren, müssen notwendig scheitern; allenfalls lassen sich hinter den phantastischen Aufblähungen aus immer neuen Erweiterungen, Verformungen, Hinzufügungen antiker Fabulierlust gewisse Tendenzen, Wahrscheinlichkeiten, Hypothesen aufzeigen.
Zweifellos haben ägyptische, kretische, cyprische, phoinikische und griechische (und von anderen, weniger bekannten Trägern unternommene) Handelsfahrten, die sich in der späteren Bronzezeit beträchtlich intensiviert zu haben scheinen, ferner die Begegnung mit fremden Räumen und Völkern und die darauf folgende Kolonisationsbewegung das geografische und ethnologische Wissen der unternehmenden Kulturen beträchtlich erweitert. Sie haben auch die Neigung, vielleicht sogar die Notwendigkeit geweckt, neues „Wissen“ mit altem zu verbinden, neue Erkenntnisse kompatibel zu machen und so eine neue, verständliche und vermittelbare Gesamtkonzeption ihrer jeweiligen Welt zu gewinnen. So erklären sich die meisten Seefahrer-„Berichte“ von Homer bis zu den rationaleren Mitteilungen punischer und griechischer Geografen, deren Informationsstand allerdings von der Glaubwürdigkeit der Gewährsleute im Hinterland der Küsten abhängt. Da es auch um etwas ging, was heute salopp als infotainment bezeichnet wird, tun wir gut daran, Aufblähungen alter und jüngerer Mythenkerne aus den Zeiten „phoinikisch/punischer“ und „griechischer“ Landerkundung im Zuge der frühen überseeischen Kolonisation, also der Erzählungen vom „goldenen Ölbaum“ des Pygmalion in HaGadir (Cádiz), von Geryon, Gargoris, von den weltumspannenden Großtaten des Herakles, dem Hispanienzug des trojanischen Helden Teukros oder den Westreisen des Odysseus zunächst einmal als Unterhaltungstoffe zu behandeln, denen nur punktuell wichtige zeitgenössische geografisch-ethnografische Informationen zu entnehmen sind. Auch die bald bedrohliche Rivalität der Protagonisten der mittelmeerischen Handels-Schifffahrt, Phoiniker und Griechen, führte zu teilweise kuriosen Ergebnissen: So wird beispielsweise der gaditanische Melqart sogleich zum gesamtgriechischen Herakles. Der überwiegende Teil der literarisch, aber auch in der plastischen Kunst bis hin zum Grabturm von Pozomoro überlieferten ‚iberischen‘ Mythen harrt noch der Deutung – Zweifel sind angebracht,