Michael Koch

Hispanien


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von einer glanzvollen Phase der hispanischen Frühgeschichte prägte. Dieser neu geschaffene Mythos verweigert sich auch heute noch vielfach der ungleich prosaischeren, wenngleich hochinteressanten Realität, soweit die Forschung sich ihr hat nähern können, wofür Schulten seinerzeit von dem großen Althistoriker Eduard Meyer heftig gescholten wurde. In Deutschland ist Schulten heute Forschungsgeschichte, während zumindest Teile der spanischen Altertumsforschung darum kämpfen, sich von seinem langen Schatten zu befreien. Andere Gelehrtenschulen, vor allem im Süden Spaniens, zeigen sich verbissen darum bemüht, die Bedeutung von „Tartessos“ durch Aktualisierung des Schultenschen Fantasie-Gemäldes nicht ohne chauvinistische Untertöne zu bewahren, wofür das Tartessos-Lemma des Archäologen Antonio Blanco Freijeiro im Diccionario de Historia de España von 1952, aber auch der jüngste Tartessos-Kongress („Tarteso. El emporio del metal“, Huelva 2011, 2013) anschauliche Beispiele bieten. In Fragen seiner realen oder vermeintlichen historischen Identität ist auch das postfranquistische Spanien ein hochsensibles Land geblieben. Vielleicht wird deswegen geradezu zwanghaft alle paar Jahre dasselbe leere Stroh gedroschen. In diesem Kontext droht Adolf Schulten inzwischen selbst zu einem spanischen Mythos zu werden.

      Was ist „Tartessos“ nach heutigem Forschungsstand? Auf die regionale südwesthispanische End-Bronzezeit mit einer mehrheitlich nicht-indoeuropäischen, überwiegend iberisch-sprechenden Bevölkerung, wie sie H. Schubart im Jahre 1975 umfassend dargestellt hat, trafen vermutlich im 10./​9. Jh. v. Chr. phoinikische, wahrscheinlich tyrische Seefahrer auf der Suche nach Rohstoffen und Handelsplätzen. Die Quellen legen nahe, dass sie alten Routen folgten und ihre Entdeckungsfahrten sehr gründlich vorbereiteten. Sie fanden in dem Raum zwischen dem río Guadalete, der Guadalquivir-Mündung und Huelva, was sie suchten: Zinnlieferanten, Kupferabbau und Silber, daneben auch Flussgold und Halbedelsteine, von denen einer, der Tarschisch-Stein, vermutlich ein Chrysolith, nach Ex 28,20; 39,13 sogar ins Pektorale des jüdischen Hohepriesters gelangt zu sein scheint, auch wenn das Alter dieser Nachricht undeutlich ist. Dass sich hier im Laufe der Zeit ein Emporium mit allem, was dazugehörte, entwickelte, ist durchaus glaubhaft. Auch die ökonomische und zivilisatorische Ausstrahlung, die solche Plätze allzeit auf ihr jeweiliges Hinterland zu haben pflegen, ist gewiss; gänzlich unsicher ist seine geografische Verortung. Die Versuche, das Emporium „Tartessos“ zu finden, notfalls auch unter dem heutigen Meeresspiegel oder dem Sand des wunderbaren naturgeschützten Nationalparks Coto de Doñana bzw. von Matalascañas, sind Legion und nehmen mit dem heute verfügbaren technischen Fortschritt eher noch zu, wobei lokalpatriotischer und regionaler Ehrgeiz ein oft eher hinderlicher Ansporn ist. Aber es ist leider meist immer noch das Schultensche Fantasiegebilde, welches gesucht wird: Sollte eines Tages tatsächlich Herodotos emporion (das wahrscheinlich in Späterem aufgegangen ist) gefunden werden, wird die Enttäuschung der Schatzsucher ungeheuer sein.

      Ob chief- oder Priester-Ornat: phoinikische Toreutik mit hispanischem Gold.

      Als Ergebnis dieser Begegnung, die sich von „stummem“ Handel bis in das 8. Jh. v. Chr. zu einer veritablen phoinikischen Kolonisationsbewegung steigerte, die sogar Spuren im Jesajabuch (23,10) des Alten Testaments hinterlassen hat, entwickelte sich im Südwesten und Süden der Halbinsel die sogenannte „orientalisierende Kulturphase“, gekennzeichnet durch die Erfindung einer einheimischen Schrift, Importe aus dem ostmediterranen Raum und ihre einheimische Rezeption und Weiterentwicklung [Abb. 4], aber auch durch technische Fortschritte, wie die Töpferscheibe, die Verbesserung der Metallschmelze und, außerordentlich bedeutend, landwirtschaftiche Verbesserungen und Neuerungen, wie, neben vielem anderen, die Einführung des Ölbaums, des Esels und des Haushuhns. Ostmediterrane Kolonisten führten auch eine neue Form von Hausbau ein. Religiöse Elemente ostmediterraner Provenienz tauchen ebenfalls auf: Die Ägyptologin Ingrid Gamer-Wallert hat 1978 mit der Katalogisierung der „Ägyptischen und ägyptisierenden Funde von der Iberischen Halbinsel“ einen umfangreichen Band gefüllt, der mit den seither gefundenen Materialien noch beträchtlich anwachsen würde. Ihre Fundkarten bezeichnen sowohl die engere „orientalisierte“ Zone der Halbinsel im Südwesten als auch die punischen Handelsverbindungen an der Ostküste, die aber nördlich des Cabo de la Nao deutlich abnehmen. Es kommt nach ökonomischer und kultureller Einflussnahme mit der Zeit auch zu Festansiedlungen ostmittelmeerischer Kolonisten sowie zur Anlage zahlreicher phoinikisch/​punischer Faktoreien (nicht selten in der Nähe einheimischer Wohnplätze) entlang der gesamten Südküste der Halbinsel, deren Entdeckung durch deutsche Forscher in den 1960er-Jahren eine Sensation waren. Auch in allerjüngster Zeit sind im Küstenraum zwischen Gibraltar und La Fonteta noch Aufsehen erregende Entdeckungen gelungen, so die der bislang ältesten rechteckigen Hauskonstruktion in dem in der phoinikischen Kontaktzone liegenden einheimischen Fundplatz Los Castillejos de Alcorrín [Abb. 5], weiterhin neuer Methoden hochspezialisierter Metallverhüttung und eines intensiven Metallhandels mit dem hispanischen Südosten (Marzoli 2012). Auch eine rege Binnenpenetration, vor allem im Guadalquivirtal, ist inzwischen archäologisch erwiesen.

      Das Resultat ist das, was auf der Halbinsel weitgehend unreflektiert die „tartessische Kultur“ genannt wird, welche in Metallurgie, Toreutik, Kunsthandwerk, Töpferei, Stadtanlagen und Grabbauten in der Tat für diesen Raum den Anschluss an ostmediterrane Standards bedeutete. Das ist, wie so oft in der Geschichte des Landes spätestens seit der Kupferzeit, ein Beispiel mehr dafür, wie aus regionalen (Fremd-)Anstößen große Kulturbewegungen entstehen. Zambujal, Los Millares, Marroquies Bajos, La Valencina de la Concepción u. a., alle im Süden der Halbinsel gelegen, für die Kupferzeit oder El Argar für die Bronzezeit gehen dem „orientalisierenden“ Südwesten und Süden voran.

      Allzu oft wird dabei vergessen, dass auch die sogenannte „atlantische Bronzezeit“ Jahrhunderte zuvor kunsthandwerkliche Hervorbringungen von hervorragender Qualität und höchstem ästhetischen Anspruch vorweisen konnte, die in Schatzfunden, wie dem aus Caldas de Reyes (Pontevedra) [Abb. 6] oder dem weit von seiner wahrscheinlich nordwesthispanischen Entstehungsregion gefundenen Schatz von Villena (Alicante) manifestiert sind und auf einen hohen Stand metallurgischer und toreutischer Kompetenz wie auch auf eine entwickelte gesellschaftliche Hierarchie schließen lassen, die sich solche Preziosen leisten konnte.

      Die geradezu inflationäre Verwendung des Begriffs „tartessisch“ besonders in der spanischen Forschung führt seit geraumer Zeit zu erheblichen Verständnisschwierigkeiten und bedarf darum einer Klarstellung. Die Bezeichnungen „Tarschisch“ und später „Tartessos“ sind, wie oben angemerkt, die phoinikische bzw. griechische Adaptation einer einheimischen Selbstbezeichnung, die später in einer Asarhaddon-Inschrift als Tarsisi, im altlateinischen Tarseiom = Tarseiorum des zweiten römisch-karthagischen Vertrags von 348 v. Chr., in den Stammesnamen Turdetani, Turduli, in der Regionalbezeichnung Turta sowie in der hellenistisch-punischen Bezeichnung Thersitai für die Bewohner von Tarschisch wiederkehrt. Die Bezeichnung „tartessisch“ entstammt der Fiktion Schultens und sollte umso weniger verwendet werden als sie allzu oft adjektivisch zu der phoinikisch/​punischen Bezeichnung Tarschisch für das spätere punische Einflussgebiet auf der Iberischen Halbinsel bis zum terminus Tartesiorum im Osten gestellt wird (Ora marit. 462 f.) [s. Abb. 9]. Das macht scheinbar allen Raum zwischen Südportugal und dem Cabo de la Nao „tartessisch“ und legitimiert damit quasi Schultens Missverständnis von einem „tartessischen Großreich“, während der reale TRT/​TRS-Raum wesentlich kleiner war.