Michael Koch

Hispanien


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Andererseits gibt es keinen Hinweis auf Veränderung der einheimischen Herrschaftsstrukturen. Auf imperialistischen Kolonialismus wie später in barkidischer Zeit weist nichts hin.

      Das karthagische Hispanien

       Tarschisch = Hispania punica

      Bedeutete „Tarschisch/​Tartessos“ den Eintritt der Halbinsel in die Geschichte überhaupt, so hatte der Erste Punische Krieg die irreversible Einbeziehung Hispaniens in die weitere politische, ökonomische und soziale Entwicklung des westlichen Mittelmeerraums zur Folge.

      Spätestens im 5. Jh. v. Chr. existieren die Strukturen, welche die spätere Entwicklung bestimmen: Wachsende Verstädterung im Süden und Osten, castros im Nordwesten und Stammes-Synoikismen mit zentralen stadtartigen Siedlungen in Schutzlage, in denen die Bevölkerung in Notlagen Zuflucht finden konnte. Es gibt größere oder kleinere regionale „Herrschaften“, hingegen keine überregionalen politischen Zusammenschlüsse: Bereits in den antiken Quellen wird dies für den langfristig erfolglosen Widerstand gegen die von außen auf die Halbinsel drängenden imperialistischen Begehrlichkeiten erst Karthagos, dann der Römer verantwortlich gemacht. Grundsätzlich ist das eine wohlfeile These, denn woher sollten das soziale und politische Bewusstsein kommen, welches eine solche quasi-nationale Einigung zur Voraussetzung hat. Ethnisch heterogen, politisch unentwickelt, kulturell zersplittert gab es schwerlich die Chance eines gemeinsamen Nenners oder einer gemeinsamen Zielsetzung. Viel später, im 2. Jh. v. Chr., lassen sich regionale, ethnisch meist homogene, Ansätze zum Widerstand gegen den gemeinsamen Feind Rom erkennen: Der Viriatuskrieg ebenso wie der Widerstand von Numantia lebten von solchen – immer kurzfristigen – Bündnissen. Doch auch ihnen fehlt die letzte Geschlossenheit, die nur aus einem politischen common sense hätte resultieren können – an solchem fehlt es dem Land noch heute. Weder Karthago, als es – gewünscht oder nicht – im Laufe des 6. Jhs. v. Chr. in Stellvertretung der gemeinsamen Mutterstadt Tyros die Vormachtstellung über die West-Phoiniker auf der Halbinsel an sich zog, noch später Rom hatten besondere Mühe, ihre Interessengebiete Stück für Stück auszudehnen. Die Handelsmacht Karthago konsolidierte den westphoinikisch penetrierten Raum Tarschisch, sicherte die atlantischen Handelsrouten nach Norden und Süden und kontrollierte die Straße von Gibraltar. Mehr wollte Karthago anscheinend zunächst nicht, auch noch nicht, als der zweite Vertrag mit Rom – auf Zukünftiges weisend – dessen Sensibilität in Hispanicis offenbarte.

      Die bei Polybios überlieferten Verträge zwischen Rom und Karthago bieten insgesamt eines der weltgeschichtlichen Lehrstücke für internationale Großkonflikte, Machtbalance und allmähliche Machtverschiebung, wie sie zu allen Zeiten begegnen. Im ersten dieser Verträge, der um 500 v. Chr. geschlossen wurde, grenzen sich die bereits etablierte nordafrikanische Seemacht und die aufsteigende, überaus ambitionierte europäische Landmacht gegeneinander ab. Tarschisch/​Hispanien kommt in diesem Vertrag nicht vor, die Römer scheinen (noch) nicht interessiert. Rund 150 Jahre später, im zweiten Vertrag, sieht Karthago sich aber bereits genötigt, den äußersten Westen des Mittelmeeres zur Sperrzone zu erklären: „jenseits des Schönen Vorgebirges und von Mastia im Lande Tarschisch sollen die Römer weder Kaperei oder Handel treiben noch eine Stadt gründen.“ (Polyb. 3,24). Ein dritter Vertrag, rund 70 Jahre später, bestätigt, was den Westen angeht, die Bedingungen des zweiten Vertrags und wird, da man in Rom wie in Karthago den allzu unberechenbaren Epeiroten Pyrrhos fürchtete, um einige Schutz- und Trutz-Bestimmungen, vor allem Sizilien betreffend, erweitert. Das relative politische Gleichgewicht hielt, soweit wir wissen, bis Rom 275 v. Chr. den gefährlichen Pyrrhos losgeworden war, die Herrschaft in Italien gefestigt hatte und die Konkurrenz aus Nordafrika ernsthaft zu fürchten begann. Im Jahre 264 v. Chr. brach es den ersten Krieg mit Karthago vom Zaun. Er wurde hauptsächlich um die Herrschaft über Sizilien geführt. Die Niederlage mit ihren harten Konsequenzen für das mediterrane commonwealth Karthagos, der heraufziehende Hellenismus mit nachhaltigen Mentalitätsveränderungen auch in Karthago, änderten diesen Zustand: Nun bedurfte Karthago, durch einen blutigen Söldnerkrieg (241 – 238 v. Chr.) und den von Rom zusätzlich erzwungenen Verlust Sardiniens (238 v. Chr.) existenziell bedroht, mehr denn je des hispanischen Protektorates mit seinen reichen Hilfsquellen. In der Barkidenfamilie – Hamilkar Barkas, sein Schwiegersohn Hasdrubal und Hannibal – fand es politisch–militärische Exponenten der neuen Zeit. Der letzte Hispanien-bezogene Vertrag des souveränen Karthago mit Rom vor Beginn des großen Krieges, den im Jahre 226 v. Chr. Hasdrubal, Hamilkars Nachfolger als weitgehend absoluter Herrscher im – jetzt – hispanischen Kolonialreich, schloss, zeigt die große Seemacht ebenso in der Defensive wie er die Römer als kühl kalkulierende Meister geo-strategischer Planung erweist. „Denn“, so Polybios, „als die Römer sahen, daß Hasdrubal dabei war, (in Hispanien) eine größere und furchtgebietendere Herrschaft zu gründen (d. h. als Karthago zuvor besessen hatte), beschlossen sie, sich in die iberischen Verhältnisse einzumischen“ (2, 13). Da sie aber zunächst die keltische Bedrohung abwenden wollten, schlossen sie den sogenannten Ebro-Vertrag, in dem sich die karthagische Seite verpflichtete, den Iberos (Ebro) nicht in kriegerischer Absicht zu überschreiten“. Rom hingegen scheint sich zu nichts verpflichtet zu haben. Der Polybios-Text vermittelt mindestens zwei wichtige Erkenntnisse: Rom wollte bereits vor 226 v. Chr. auf der Iberischen Halbinsel intervenieren und Hasdrubal – anders als sein Schwager Hannibal einige Jahre später – beabsichtigte nicht, strategischen Vorteil aus Roms Bedrohung durch die oberitalischen Kelten zu ziehen, sondern gab sich mit dem Ebro als Demarkationslinie zufrieden. Diesen Vertrag, bei dem die Forschung uneinig ist, ob er in Karthago überhaupt ratifiziert wurde, haben beide Seiten innerhalb weniger Jahre immer wieder gebrochen; er erledigte sich mit Kriegsbeginn. Jedenfalls rückte Rom ein gewaltiges Stück näher an die Iberische Halbinsel heran und gewann durch die Verbindung mit Massilia (Marseille) und dessen hispanischen Tochterstädten eine erste Operationsbasis, die wenig später prompt genutzt wurde, als im Jahre 218 v. Chr. die römische Kriegsflotte Emporion im Golf von Rosas anlief, um Hannibal und Karthago in der hispanischen Flanke zu treffen.

      Wir haben oben davon gesprochen, dass im Jahre 237 v. Chr. Hamilkar Barkas, Hannibals Vater, die „Machtverhältnisse“ auf der Halbinsel im Sinne Karthagos „wiederhergestellt habe“. Was das bedeutete, lässt sich vielleicht erschließen. Hamilkar betrieb sein Hispanien-Unternehmen im Rahmen der „libyschen Strategie“, woraus gefolgert werden kann, dass, wie die libyschen Besitzungen Karthagos, auch Tarschisch nun als Untertanenland betrachtet wurde, das unter Kontrolle gebracht werden musste. Wahrscheinlich ist, dass sich spätestens im Laufe des 3. Jhs. v. Chr., vielleicht auch schon früher, in Tarschisch Entwicklungen vollzogen hatten, die auf größere einheimische Herrschaftsbildungen hinausliefen. Solche Territorialherrschaften begegnen in den Quellen mehrfach im Zusammenhang mit dem Zweiten Krieg mit Rom, wo von Potentaten die Rede ist, die einmal mit den Karthagern, dann wieder mit Rom paktieren und je nach dem Ausgang der jeweiligen Schlachten Macht gewinnen oder verlieren. Diese Herren Culchas, Luxinius u. a. – Livius nennt sie allesamt reguli – hatten offenbar begonnen, ihre eigene Politik zu betreiben, am ehesten in Zeiten, wo das kriegserschütterte Karthago nicht stark oder nicht interessiert genug war, sich um die hispanischen Angelegenheiten zu kümmern. Jedenfalls sprach nun wieder Karthago für sein hispanisches Interessengebiet, so lange, bis der jüngere Scipio die karthagische Epikratie auf hispanischem Boden beseitigte.

      Darüber hinaus operierte Hamilkar an der nordöstlichen Grenze von Tarschisch, offenbar bestrebt, dessen Grenzen auszudehnen, was ihm, der 229 v. Chr. im Kampf, vermutlich gegen die Oretaner, fiel (Appian. Iber. 5), und seinen Nachfolgern auch gelang, wie Polybios ausdrücklich festhält (2,36). Die Forschung hat die hellenistische Prägung der Barkiden seit Hamilkar betont. Sowohl sein Schwiegersohn Hasdrubal, der Hamilkar