Michael Koch

Hispanien


Скачать книгу

auf die Seite Roms zu ziehen und in wiederholten militärischen Auseinandersetzungen mit den von Hannibal zum Schutz der Halbinsel zurückgelassenen Truppen diese zu binden und Hannibals Nachschub zu blockieren. Als sie jedoch 211 v. Chr. die alles entscheidende Offensive in den Süden – d. h. in das Kerngebiet des punischen Kolonialreichs – begannen, wurden sie in zwei Schlachten geschlagen und fanden den Tod, P. Scipio am oberen Baetis, Cn. Scipio vier Wochen später auf der Flucht in den sicheren Nordosten. Damit war es zunächst mit jedweder römischen Militärpräsenz südlich des Ebro vorbei. Doch schon im Jahre 210 v. Chr. landeten erneut römische Verbände unter dem Befehl des P. Cornelius Scipio, des Sohnes des am Baetis gefallenen P. Scipio, bei Emporion, von wo aus Landheer und Flotte nach Tarraco aufbrachen. Während Hannibal noch in Italien operierte, zog Scipio im Jahre 209 v. Chr. mit Heer und Flotte gegen Qrt Hadašt, das stark befestigte, aber schwach verteidigte Herz des hispanischen Kolonialreiches Karthagos, nahm die Stadt durch Überrumpelung ein und wendete damit dauerhaft das Kriegsglück. Durch geschickte Diplomatie gelang es zudem, einen Großteil der iberischen und hispano-keltischen Verbündeten der Karthager auf die Seite Roms zu ziehen. Im Jahre 208 v. Chr. schlug Scipio Hasdrubal, Hannibals Bruder, bei Baecula, sein Amtskollege Silanus ein karthagisch-hispanisches Aufgebot irgendwo in Mittelhispanien. Im Jahre 207 v. Chr. schließlich siegte Scipio bei Ilipa. Das Ergebnis: Verrat, Abfall und rapider Zerfall der karthagischen Macht in Tarschisch. Während Scipio die Invasion Nordafrikas vorbereitete, wurde auch HaGadir, die alte Bastion der Westphoiniker, verloren, das freilich unter römischen Vorzeichen einer glänzenden Zukunft entgegenging.

      Abb. 12 a und b Hannibal-Münze aus Qrt Hadašt – Carthago Nova (Cartagena, Murcia) Doppelschekel der Barkiden in Hispanien, 237 – 209 v. Chr. Silber. Die Vorderseite zeigt den karthagischen Generalissimus wie einen hellenistischen Herrscher, die Rückseite Hannibals Haupt-Kriegswaffe, einen Elefanten.

      Exkurs 3

      Warum annektierte Rom

       die Iberische Halbinsel?

       „… um nach siegreicher Beendigung des Krieges gegen die Karthager am Ende den Gedanken der Weltherrschaft zu fassen.“ (Polyb. 3,2)

      Angesichts der Bedeutung des Engagements der res publica Romana für das weitere Geschick der Iberischen Halbinsel stellt sich die Frage nach den Gründen für deren Annexion. In der Forschung ist dieses Thema oft und kontrovers diskutiert worden; ein Konsens wurde bis heute nicht erreicht. Die Quellen, zumal die den Siegern nahestehenden, haben die Frage nicht beantwortet. Man ist auf einen Indizienbeweis angewiesen, will man behaupten, der siegreiche römische Feldherr Scipio habe nach 209 v. Chr. überhaupt nicht daran gedacht, die römischen Propaganda-Versprechen von Befreiung und Autonomie für die punisch kontrollierten Gebiete einzuhalten und die Halbinsel zu räumen. Natürlich ist das livianische „mein Gefühl sagt mir, Hispanien wird uns gehören“ des späteren Africanus eine rhetorische Ex-post-Bestätigung, doch gibt es genug Hinweise darauf, was Rom spätestens im Jahre 206 v. Chr. wirklich wollte. Wir haben gesehen, dass es die wachsende Macht Karthagos in Hispanien seit Längerem mit zunehmendem Misstrauen verfolgt hatte. Es mag auch sein, dass Matthias Gelzer Recht hatte mit seiner These „Ohne die Eroberungspolitik der Barkiden in Spanien wären die Römer damals nicht nach Spanien gegangen, und ihr Antrieb war [-] die Sorge um die Sicherheit ihrer res publica“ (1963, 34). Gleichwohl ist das höchstens die halbe Wahrheit: Dass Hamilkar und seine Nachfolger in Hispanien Kompensation für die territorialen Verluste Karthagos im ersten Krieg mit Rom und danach suchten, ging Rom nach dem Völkerrecht nichts an. Auch die Einnahme von Saguntum, das zu Zeiten des völkerrechtlich verbindlichen Lutatius-Vertrags im Jahre 241 v. Chr. anscheinend noch nicht mit Rom verbündet war, kann objektiv nicht als Verstoß gegen vertragliche Abmachungen gewertet werden, und in der Zeit des Ebro-Übergangs mit eindeutig militärischer Zielsetzung – dies nun tatsächlich ein Vertragsbruch – hatte Rom bereits Karthago den Krieg erklärt, der nach Hispanien und Afrika getragen werden sollte. Diese strategische Konzeption gab es bereits vor 218 v. Chr., sie entsprang – in Verbindung mit der Annexion Siziliens und Sardiniens – vermutlich der Absicht, Karthago vollständig aus dem westlichen Mittelmeerraum zu verdrängen und auf Afrika festzulegen.

      Der Angriff auf Castulo, die bedeutendste Ibererstadt im Südosten und eng mit Karthago verbündet, im Jahre 217 v. Chr. sollte Karthagos Ressourcen treffen. Die Gründung von Italica am Baetis bereits 206 v. Chr., d. h. an der Hauptader des Verkehrs zwischen den Minengebieten des saltus Castulonensis einerseits, am Hauptzugang zu den Rio Tinto-Minen andererseits, die schon im Jahre 212 v. Chr. aus strategischen Gründen vollzogene Teilung des Landes, die frühe Einrichtung von Garnisonen an geostrategisch und ökonomisch zentralen Plätzen, wie beispielsweise Tarraco (Tarragona), „die Schöpfung der Scipionen“, oder die Bestallung von zwei Magistraten für die beanspruchten Herrschaftsräume citerior und ulterior (im diesseitigen und jenseitigen Hispanien) der Halbinsel – dies und mehr macht deutlich: Spätestens 206 v. Chr. waren die Weichen gestellt. Und warum auch nicht? Der große Krieg war noch nicht vorbei, die res publica war pleite, der Krieg keineswegs beendet und die einsetzenden Geldströme aus den neuen Provinzen kamen mehr als gelegen. Ich glaube, dass der österreichisch-amerikanische Althistoriker Ernst Badian irrt, wenn er insinuiert, Rom habe Hispanien eigentlich gar nicht haben wollen, hingegen einräumt, man habe die Kyrenaika „um sofortiger Gewinne willen“ als Provinz eingerichtet (1980 passim, bes. 59). Der Gelehrte sieht hier eine gänzlich neue Außenpolitik. Ich vermag dem nicht zuzustimmen. Das ist keine neue Außenpolitik, sondern ein durch die Eroberung des mittelmeerischen Ostens gewandeltes Szenario sowie veränderte Mentalitäten durch intensivere Berührung mit dem hellenistischen Raum. Warum neben anderem reine Geldnot Rom nicht schon im Jahre 206 v. Chr. genötigt haben soll, Hispanien zu annketieren, ist nicht einzusehen.

      Um es mit den Worten des Wirtschaftshistorikers Jaime Vicens Vives zu sagen: „In the concrete case of Hispania, the first Roman conquest was merely an episode in the Punic War. But once Carthage was defeated and expelled from the country by the treaty of 201, the Romans had no intention of abandoning it“ (1969, 57). H. H. Scullard hat das noch nachdrücklicher formuliert: „Wollte Rom Hannibals und Karthagos Macht in Hispanien eliminieren oder wollte es die Zerstörung Karthagos als Großmacht?“ Die Antwort: „Die militärische Planung Roms im Jahre 218 legt letzteres nahe“ (19732, 41).

      Natürlich wäre es eine unzulässige Verkürzung der historischen Realität, wollte man Roms Interesse auf den Gewinn von Edelmetallen reduzieren. Neben den aktuellen geostrategischen und Sicherheits-Überlegungen, die für eine Kontrolle der Halbinsel wenigstens auf Zeit sprachen, macht der gesamte Reichtum des großen Landes seine Attraktivität aus, wie vordem für Karthago so jetzt für Rom und später für Piraten, nordafrikanische Räuberhorden, Germanen und muslimische Mauren, von der industriellen Moderne nicht zu reden. Und natürlich wurde dieser Reichtum vergröbert dargestellt; man berücksichtigte nicht, dass er keineswegs überall vorhanden war und dass es auf der Halbinsel Menschen, Gruppen, ganze Stämme gab, die sich aus Edelmetallen rein gar nichts machten (Appian. Iber. 54). Informationen dieser Art wurde in Rom offenbar keine Bedeutung beigemessen.

      Man muss den Wissenschaftsgenerationen, die Roms Zugriff auf die Iberische Halbinsel allein unter den Gesichtspunkten von geostrategischem Selbstschutz und zivilisatorischem Sendungsbewusstsein verstanden wissen wollten, zugute halten, dass ihr Blick nicht selten im Übermaß einseitig-romfreundlich gefärbt war. Spaniens frühneuzeitlicher Griff nach Amerika, Englands Inbesitznahme von Indien, die Ausbeutung des Kongo durch Belgien und manch anderes der Art wurden nicht in Parallele gesetzt zu dem, was am Ende des 3. Jhs. v. Chr. die res publica romana veranlasste, die Iberische Halbinsel unter dem staatsrechtlich legitimierten Begriff provincia als Beute des Krieges mit Karthago peu à peu in Besitz zu nehmen. Wirtschaftliche Beweggründe wurden nur selten als wichtige Motive antiker Imperialismen gesehen und Badian konnte sich in seiner Untersuchung zum römischen Imperialismus noch so sehr bemühen zu beweisen, das Senatsregiment