Michael Koch

Hispanien


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Ob der Senat als Körperschaft gierig war oder nicht, ist ohne Bedeutung, solange die Magistrate vor allem in den westlichen Provinzen notwendige und mehr als die notwendigen Beitreibungen erledigten. Und was die aristokratische Zurückhaltung in oeconomicis betrifft: Spätestens seit dem hannibalischen Krieg ist das eine fromme Lüge: Schon der ältere Cato war durch seine Freigelassenen an Geldgeschäften beteiligt (Plut. Cato maior 21). Plutarch zählt die Einnahmequellen des Triumvirn Crassus auf, darunter vermutlich hispanische Silberminen, und auch der „edle Brutus“, Caesars Mörder, war nebenher Bankier. Man machte – durchweg anonym – Geschäfte oder ließ Geschäfte machen, Beispiele dafür gibt es genug. Jedenfalls darf aus der Tatsache, dass die hispanischen Provinzen zwischen dem numantinischen- und dem Sertorius-Krieg sowie danach kaum das Interesse der zeitgenössischen Geschichtsschreiber finden, nicht geschlossen werden, die Verhältnisse dort hätten sich – etwa im Vergleich mit dem interessanteren Osten – völlig anders dargestellt. Ich finde keine Gründe dafür, anzunehmen, dass sich gierige, korrupte und skrupellose Promagistrate in Hispanien anders verhalten haben sollten als im Osten, nur weil ihnen dort die Umstände ihr Tun erleichterten. Jedenfalls geht es nicht an, aus Mangel an einschlägigen Nachrichten aus den hispanischen Provinzen voreilige Schlüsse zu ziehen. Wenn E. S. Gruen in seinem glänzenden Essay „Material awards and the drive for Empire“ von 1984 auf eine Reihe von Beispielen dafür verweisen kann, dass die offizielle Senatspolitik im 3. – 2. Jh. v. Chr. im Osten in finanzieller Hinsicht durchaus maßvoll angelegt war, so hat er Recht, doch gibt es zum einen reichlich Gegenbeispiele für das Fehlverhalten Einzelner, zum anderen ist der westmittelmeerische Raum bei Gruen nahezu vollständig außer Ansatz geblieben. Gerade dort, im Barbaricum, tritt der Unterschied zwischen der offiziellen Staatsmoral und dem Fehlverhalten Einzelner offen zutage, vor allem, wenn man die Art und Weise betrachtet, in der sich die Prozesse gegen straffällige Gouverneure – beispielsweise gegen Sulpicius Galba Mitte des 2. Jhs. v. Chr. – gestalteten.

      Dieser ganze Komplex, der in der aktuellen Forschung noch immer angestrengt diskutiert wird (s. die vorzügliche Übersicht bei W. V. Harris, Current directions in the study of Roman imperialism, passim), kann uns hier nur so weit beschäftigen, als die Iberische Halbinsel tangiert ist. Ich selbst habe mich mit meinen Vorstellungen seinerzeit in Harris’ großer Untersuchung „War and imperialism in republican Rome 327 – 70 BC“ von 1979 weitgehend wiedergefunden. Harris hat seine früheren Einsichten seither eher noch untermauert und verfeinert. Es fehlt allerdings, wenn ich richtig sehe, die Beobachtung, dass Rom in dieser Hinsicht sehr deutlich zwischen Ost und West, zwischen zivilisierten Räumen und Barbarenland unterschied. Hispaniens Mitte, Norden und Westen waren Barbarenland – danach wurde gehandelt.

      Es gibt Forschungsmeinungen, wonach der römische Senat, welcher, wie nicht vergessen werden darf, niemals ein geschlossener Block war, mit der Entscheidung, die Halbinsel zu annektieren, lange gezögert habe, doch das hatte er bei der Einrichtung der Provinzen Sizilien und Sardinien auch – und länger – getan. Keine Zeit hingegen ließ sich der siegreiche Feldherr Scipio. Auch Werner Dahlheims raffiniert-gescheites Bemühen, Roms angeblichen contre coeur-Verbleib aus den aktuellen politischen Umständen im Mittelmeerraum zu erklären (1977, 77 ff.), sticht nicht: Schon in den Jahren 206 und 203/​2 v. Chr. nach dem Präliminarvertrag mit Hannibal oder spätestens nach dem Sieg bei Zama hätte sich die römische Militärmacht von der Iberischen Halbinsel zurückziehen und deren heterogene, konsens-unwillige Völkerschaften risikolos sich selbst überlassen können, sofern sie dies wirklich gewollt hätte. Tatsächlich aber beeilte sich der Sieger mit der Neugründung, Okkupation und Bündnisbindung von Städten bzw. Stämmen in Hispanien. Bereits die ersten strategischen und diplomatischen Maßnahmen Scipios machen deutlich, wie wenig er beabsichtigte, das „befreite“ Land in den politischen Zustand quo ante, ohne Karthago, zu versetzen. Es ist in unserem Zusammenhang nicht von Belang, ob Scipio das gewissermaßen im Alleingang tat oder ob er sich in Rom rückversichert hatte. In jedem Fall konnte er sich der damals führenden Senatsgruppe sicher sein. Vor seiner Abreise zur Konsulatsbewerbung für 205 v. Chr. nach Rom bestellte er L. Marcius und M. Iunius Silanus zur Verwaltung der provincia ulterior bzw. citerior. In den folgenden Jahren hörte der Senat nicht auf, Propraetoren bzw. Prokonsuln mit entsprechender Befehlsgewalt in das vorgeblich befreite Land zu entsenden, zunächst provisorische Stellen, die ab 197 v. Chr. in reguläre umgewandelt wurden. Es verging einige Zeit darüber, bis man in Rom, wo es in diesen Jahren auch anderes zu tun gab, eine definitive Entscheidung traf und eine brauchbare Form gefunden hatte, mit dem neuen Besitz umzugehen. Die offiziellen Begründungen für den Verbleib, sofern solche überhaupt formuliert wurden, haben stets mit Aufständen, Widersetzlichkeiten oder „Verrat“ zu tun. Das sind fast immer veritable petitiones principii. Dahinter steht, wie sich angesichts der hispanischen Beschwerden des Jahres 171 v. Chr. zeigt, fast niemals etwas anderes, als auf der Seite der Einheimischen das zivile und/​oder militärische Einklagen römischer Versprechungen sowie Abgabendruck und Opposition gegenüber einer als Besatzungsmacht auftretenden vorgeblichen „Befreiungsarmee“.

      Kaum eine römische Quelle hat das gute Recht dieser Logik akzeptiert: Lediglich Livius, dessen subversive Töne der Forschung nicht immer aufgefallen sind, lässt scheinbar ganz nebenbei den gesunden Menschenverstand in der siegreichen, aber übermäßig lange Zeit auf ihre Besoldung wartenden Armee Scipios zu Wort kommen: „Zuerst“, heißt es im Jahre 206 v. Chr., „gab es nur Gespräche im Geheimen: Wenn es Krieg in der Provinz gebe, wieso denn zwischen friedfertigen Stämmen?“ Und warum, wenn der Krieg gewonnen sei und „die Provinz eingerichtet, warum geht es dann nicht heim nach Italien?“ (28, 24). So konnte man das sehen! Die das angeblich sagten, tragen kuriose Namen: Albius aus Cales und Atrius aus Umbrien: Herr Schwarz und Herr Weiß nicht im Gegensatz zueinander, sondern in Übereinstimmung. Die düpierten Einheimischen dachten und formulierten Ähnliches (Liv. 29,1,22).

      Tatsächlich wurde allenthalben mit größter Selbstverständlichkeit der Gewinn des großen und reichen Landes als rechtmäßige Kriegsbeute betrachtet, die es zu verteidigen galt. Vor einigen Jahren hat Badian darüber geklagt, die jüngere Altertumsforschung lege zuviel Gewicht auf sozioökonomische Aspekte der Geschichtsdeutung. Das mag gelegentlich zutreffen, doch wäre die Vernachlässigung dieser Gesichtspunkte ebenso beklagenswert, zumal für den Westen, wo nach römischem Selbstverständnis gegenüber den dort wohnenden ‚Barbaren‘ Verträge, Absprachen, gar menschliche Rücksichten nur beschränkt als bindend oder verpflichtend anzusehen waren und Vertragsbruch jedenfalls nicht als unbedingt strafwürdig galt. Man dachte, wie Badian selbst formuliert, in der Regel gar nicht daran, zugunsten namenloser Barbaren Angehörige der eigenen aristokratischen Schicht strafrechtlich zu belangen. Die Richtigkeit dieser These wird sich vor allem in republikanischer Zeit immer wieder erweisen.

      Als die vom „karthagischen Joch“ Befreiten ihre neue Freiheit zu reklamieren beginnen, werden sie, sofern sie nicht klein beigeben, unterworfen: Erst der Nordosten, später der Süden, dann die Mitte und der nördliche Westen. Daraus wurde ein 200 Jahre dauerndes Bemühen, das erst Augustus schlecht und recht abschließen konnte. Bis in spätrepublikanische Zeit verfuhr Rom anderswo ähnlich, wofür Caesars Gallienzugriff beredtes Zeugnis ablegt. Noch Tacitus’ sarkastische Bemerkung „tam diu Germania vincitur, d. h. „so lange schon wird Germanien besiegt“ (Germ. 37,2) macht deutlich, dass sich über Jahrhunderte wenig geändert hatte und vieles sich niemals ändern würde.

      In seinem späten Büchlein „Zöllner und Sünder“ hat Badian wahrscheinlich gemacht, dass das römische System von Steuererhebung und Abgabenpolitik während der mittleren Republik im Großen und Ganzen funktionierte. Wir haben guten Grund zu vermuten, dass die Annexion der Iberischen Halbinsel erheblich dazu beitrug, diesen Zustand zu ändern. Hispanien war nach Sizilien und Sardinien die erste Eroberung, die durch verlässliche Quellen halbwegs befriedigend dokumentiert ist und überdies, alles in allem, die im ökonomischen Sinne reichste Akquisition seit Beginn der römischen Expansion. Mitten im zweiten Krieg mit Karthago war der Kapitalbedarf der res publica