Annette Küper

Könige zum Anfassen


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mich darauf, ihren 10 Wochen alten Baby-Airedale Justus für ein paar Tage in Vollzeit-Pflege zu nehmen. Ausgestattet mit einer Vielzahl guter Ratschläge und einem Laufstall als »Notfall-Gefängnis«, treffen wir zu Hause ein. Die sonst so freudige Begrüßung durch King fällt erheblich kürzer und weniger intensiv aus, denn jetzt muss der kleine Gast vordringlich ausgiebig beschnüffelt werden. Beide Hunde kommen sich sofort näher, der Kleine in Rückenlage und ein begeistert wedelnder King, dem diese respektvolle Demutsgeste natürlich schmeichelt. Justus beherrscht das Welpen-Einmaleins, leckt King die Schnauze und fordert ihn anschließend zu einem wilden Spiel auf. Für einen Moment schaue ich dem munteren Treiben lächelnd zu, bevor ich ächzend und stöhnend den sperrigen Laufstall in den Keller schleppe. Gefängnis für Welpen, so ein Quatsch, das brauche ich nicht, das grenzt ja schon an Tierquälerei!

      Diese Ansicht gerät ins Wanken, als ich nach dem Kellergang mein Wohnzimmer anschaue. Binnen der wenigen Minuten meiner Abwesenheit war Justus raumgestalterisch tätig. Verstreut liegende Sofakissen mit Lochmuster, lustig durch die Luft wirbelnde Daunen, eine völlig zerfetzte Zeitung und akribisch zerlegte Blumengestecke deuten auf seine fragwürdige innenarchitektonische Begabung hin. Justus hat damit wahrlich gut für das Hundegefängnis argumentiert, also revidiere ich meine Meinung zur Sicherungsverwahrung und hole es wieder hervor. Die Funktionalität des Laufstalls teste ich sofort und setze den kleinen Tunichtgut hinter die Gitter, damit ich in Ruhe mein Wohnzimmer restaurieren kann. Da hockt er nun mit dem unschuldigsten Gesicht auf Beobachtungsposten, während ich jeder einzelnen Daune hinterherjammere.

      Nach der Aufräumaktion kann ich dann endlich den kleinen Gast in Ruhe genießen. Dem Charme eines Airedale-Welpen erliege ich immer und so hocke ich mit Justus auf dem Boden, lasse ihn an Kings Plüschesel zerren und muss immer wieder über das helle Knurren und die lustigen Sprünge lachen, wenn er ihn mir nicht entreißen kann. Lasse ich ihn gewinnen, trägt er seine Beute stolz mit erhobenem Köpfchen durch das Wohnzimmer, aber nicht, ohne sie King mehrfach zu präsentieren. Mein Großer nimmt das gelassen und gönnerhaft hin. Hundebabys haben bei ihm weitgehend Narrenfreiheit.

      Welpen brauchen Ruhephasen und auf mich wartet noch eine ungeliebte Hausfrauenpflicht. Justus wird für ein Schläfchen wieder in den Laufstall befördert und ich widme mich im Keller den frisch gewaschenen Wäschebergen.

      Als fast alle Wäschestücke ihren Platz an der Leine gefunden haben, höre ich lautes Poltern im Erdgeschoss. »King? King, was machst du?« Und während ich zwei Stufen auf einmal nehme, taucht mein Terrierkönig an der Treppe auf und freut sich über meine Rückkehr aus den tieferen Gefilden des Hauses. Und noch jemand freut sich und hüpft und springt ausgelassen um mich herum. »Justus!« schreien und ins Wohnzimmer stürmen dauert nur Bruchteile von Sekunden. Tischdecke und -deko sind ihm diesmal zum Opfer gefallen. Für heute lasse ich ihn nicht mehr aus den Augen, den kleinen Ausbrecherkönig, das steht fest. Aber eines muss ich bewundernd feststellen: Meine Bekannte hat einen sehr begabten Kletterkünstler. Er muss den Weg aus dem Laufstall mit einem beachtlichen Klimmzug bewältigt haben.

      Die Welpenüberwachung ist gar kein Problem, wenn ich das Wohnzimmer nicht verlasse. Deshalb bleibt die Arbeit für heute endgültig liegen und ich ziehe mich mit einem Buch auf die Couch zurück. Gänzlich versöhnt bin ich, als meine Jungs lebende Wärmflasche spielen. King schnarcht auf meinen Füßen und Justus macht es sich auf meinem Schoß gemütlich. Er liegt im Tiefschlaf auf dem Rücken, alle Viere von sich gestreckt, und lässt seine Mausezähnchen sehen. Auch kleine Airedales beherrschen bereits dieses unwiderstehliche Lachen, wenn sie in Rückenlage schlafen.

      Ein schrilles Klingeln kann sehr störend sein, wenn man gemütlich auf der Couch liegt und dem Mörder dicht auf den Fersen ist. Genervtes Brummen aus zwei Airedale-Kehlen ertönt, als ich die Heizquellen zur Seite schiebe und mich zum Telefon bequeme.

      »Klar, mach ich doch gerne. Nein, nein, mach dir keine Gedanken wegen so einer kleinen Gefälligkeit. Ich bin dann in einer halben Stunde da!« Die alte Dame von gegenüber hat einen Termin zu später Stunde und keine Fahrgelegenheit. Normalerweise ist solch kleiner Freundschaftsdienst überhaupt kein Problem. Heute allerdings war Normalität bisher Mangelware und deshalb grübele ich darüber nach, wie ich Justus wirklich ausbruchssicher festsetzen kann. Aber klar doch, »Deckel drauf« heißt die Lösung! Die Suche im Keller ist erfolgreich und ich wuchte eine beachtlich große Holzplatte die enge Treppe hinauf. Justus verfrachte ich mit Kauknochen und Spielzeug in den Laufstall und setze den Deckel auf! »Tut mir leid, mein Kleiner! Ich bliebe jetzt auch lieber auf dem Sofa liegen und würde dich nicht schon wieder einsperren. Aber eine neue Wohnzimmereinrichtung übersteigt mein Budget! Seid schön brav, Jungs, ich bin gleich zurück!« In der beruhigenden Gewissheit, mein Wohnzimmer nach meiner Rückkehr wohlgeordnet vorzufinden, gehe ich aus dem Haus.

      Ich hätte es besser wissen müssen. Airedales sind immer für Überraschungen gut. Diesmal sind Justus die CDs samt Hüllen unter die Zähnchen gekommen, ein Häufchen ziert meinen Fußboden und einer der granulierten Dekoäpfel, die in einer Schale auf dem Couchtisch lagen, bleibt trotz intensiver Nachsuche verschwunden. King sitzt mit nach hinten gelegten Ohren in seinem Körbchen und scheint ein schlechtes Gewissen zu haben, obwohl ich jede Wette eingehen würde, dass er garantiert keinen Anteil an den Schandtaten hat. Nur seine Schwanzspitze signalisiert: »Schön, dass du wieder da bist!«

      Die Holzplattenabdeckung des Laufstalls ist verschoben, sodass ein erneuter Ausbruch für Justus eine Kleinigkeit war. Ob King dem Kleinen geholfen hat, die Platte wegzurücken, oder ob der es selbst geschafft hat, weiß ich bis heute nicht. Wohin der Zierapfel geraten ist, bleibt als einziges Problem nicht rätselhaft. Nachdem ich alle Schäden beseitigt habe, fängt Justus plötzlich heftig an zu würgen und fördert Unmengen von Zellstoff mit Granulat zutage.

      »Der erste Gedanke ist immer der richtige«, das wusste zu meiner Schulzeit mein Mathematiklehrer stets anzubringen, wenn ich vor einer Aufgabe saß und vergeblich nach zunächst richtigem Ansatz x falsche Lösungsversuche unternahm. Daran hätte ich besser von Anfang an gedacht. Wie war das noch? »Gefängnis für Welpen, so ein Quatsch!« Absolut korrekt! Bei einem kleinen Ausbrecherkönig hilft das sowieso nicht.

       Markierkünstler

      Das Beinchenheben des Rüden dient der Kennzeichnung des Reviers und der Verbreitung seiner speziellen Urin-Nachrichten. Rüden markieren gerne vertikale Oberflächen, da die Höhe ihrer Markierung Aussagen über ihre Größe macht, die ja bekanntlich Einfluss auf die Stellung in der Rangordnung nimmt. Daher bemüht sich jeder Rüde, das Hinterbein so hoch wie möglich zu heben. Je höher er seine Duftmarken-Botschaft platziert, umso schwerer haben es andere Hunde, sie durch ihre eigene zu überdecken. Es gilt also in der Hundegesellschaft der Grundsatz: je höher, desto besser!

      Aber nicht für King! Er bevorzugt schon seit fast acht Monaten horizontale Flächen, hockt sich hin und erledigt, was es zu erledigen gibt, ohne Wert darauf zu legen, Nachrichten an exponierten Stellen zu hinterlassen. Dabei hätte er eine ganze Menge zu erzählen: »58 cm bin ich jetzt schon groß, kerngesund, hatte heute Hühnchen mit Gemüse und Leinöl zum Frühstück und stehe als Trainingspartner für spielintensiven Wiesenschnelllauf in meinem Revier jederzeit zur Verfügung.« Die Nachrichten anderer Vierbeiner jedoch lassen ihn keineswegs kalt, er liest sie zunehmend interessierter, sodass ich die berechtigte Hoffnung hege, bald statt eines Riesenbabys einen gestandenen Rüden an meiner Seite zu haben.

      Heute schnüffelt King ausgiebig an dem dicken Baumstamm der schönsten Linde in unserem Revier. Er umrundet ihn im Schneckentempo, einmal, zweimal und ich schleiche fast auf Zehenspitzen hinter ihm her, um ihn ja nicht aus seiner Konzentration zu bringen. Jetzt rückt er an den Stamm, dreht sich in Markierposition und hebt – das rechte Vorderbein. Nun ja, der Anfang ist gemacht und der Tag noch lang!

      Beim nächsten Versuch geht King schon routinierter vor. Eine Buche ist Ziel der Markier-Übung. King macht mit geschickten Drehungen jedem Walzerkönig Konkurrenz, rückt dem Baum ganz dicht zu Leibe, hebt den linken Hinterlauf einige Zentimeter hoch, gerät ins Wanken und fällt um. Verdutzt rappelt er sich wieder auf, schaut erst die Buche, dann mich