bleibt es nach dem Tatortprinzip dabei, das wir den Vorgang abgeben. Aber bis Montag muss er abgabefertig sein.“
Nun erheben sich auch die beiden Kolleginnen.
„Also werden wir morgen doch arbeiten müssen?“
„Allerdings Frauke, Restvernehmungen und Vermerke. Aber das ist überschaubar. Vorher kannst du noch in aller Ruhe auf dem Markt einkaufen gehen.“
„Das ist gut. Sagst du den übrigen Kollegen Bescheid, oder soll ich das übernehmen?“
„Gute Idee, mach’ du das bitte. Das spart mir Zeit.“
Kluge blickt gehetzt auf die Uhr.
„Gleich zehn, aber es nützt nichts. Wir bringen es zu Ende.“
Die Ermittler sind sich einig. Für ihren Chef und um der Sache willen hängen sie schon mal ein Arbeitswochenende an. Frauke eilt aus dem Zimmer.
„Ich setze noch einen Kaffee auf. Ich glaube, der tut uns gut“, hören die Männer sie vom Flur rufen.
„Du hast eine gute Truppe versammelt.“
Kluge blickt seinen Vertreter erstaunt an. Dann grinst er.
„Was du aber alles merkst. Und du gehörst dazu, mein Freund.“
Zufrieden setzen sich die Ermittler an den runden Tisch, um die nächsten Schritte zu besprechen.
„Unabhängig vom letzten Sachstand habe ich ein Fernschreiben mit der Frage nach Erkenntnissen mit der Beschreibung des unbekannten Toten, einschließlich seiner Bekleidung, bundesweit abgesetzt. Ich hoffe, in deinem Sinne, Bernhard.“
„Ich will wissen, wie viele ungeklärte Todesfälle es bei Bahnreisen bundesweit mit dem Verdacht auf Fremdverschulden gegeben hat – und in diesem Zusammenhang wie viele Hinweise auf Vergiftungen.“
„Sehr gut. Könnte von mir stammen. Die nächste Mordkommission leitest du, dafür sorge ich.“
Jetzt ist Scharnhorst der Überraschte. Er freut sich über das Lob seines Vorgesetzten, mit dem er ein freundschaftliches Verhältnis pflegt. Das motiviert.
„Supi, aber das muss ja nicht gleich übermorgen sein.“
Am Samstagmorgen, Viertel nach Neun, kündet der Gong über der Haustür den Bewohnern der Doppelhaushälfte, Breite Lade 12, nahe der Werra, frühen Besuch an.
Karin Lindholm schreckt am Frühstückstisch hoch und lässt den „Mündener Anzeiger“ auf die Kaffeetasse fallen, die prompt umkippt.
Dann tönt der Gong ein zweites Mal. Die erschrockene Frau bindet mit zitternden Händen ihren Hausmantel zu und eilt an die Tür. Vor ihr stehen zwei ernst blickende Männer, von denen sie sofort weiß, dass es Polizisten sind. Der Mann mit dem Schnauzer tritt näher. Karin Lindholm erkennt ihn wieder. Es ist Schwerdtfeger von der Anzeigenaufnahme im Polizeikommissariat. Sie wird blass und gerät ins Wanken. Geistesgegenwärtig greift der Kriminalbeamte nach ihrem Arm.
„Wir haben eine Nachricht zu Ihrer Vermisstenanzeige. Aber wir sollten das drinnen besprechen, Frau Lindholm.“
Schweigend geht diese voraus in das unaufgeräumte Wohnzimmer, in dem sie eine unruhige Nacht auf dem Sofa verbracht hat. Beide Kriminalbeamte blicken sich besorgt an. Während die Frau fahrig die Wolldecke zusammenrafft, verlässt Schwerdtfegers Kollege, Kommissar Fehling, das Haus. Die erfahrenen Ermittler haben schon erlebt, dass Angehörige bei der Überbringung schlechter Nachrichten zusammengebrochen sind. Heute haben sie vorgebeugt und vorsorglich einen Notarzt in Kenntnis gesetzt. Schwerdtfeger zieht das Fernschreiben der Polizeiinspektion Lüneburg über den Fund des unbekannten Toten heraus, obwohl er den Inhalt mittlerweile auswendig kennt. Er ist sich sicher, dass es sich dabei um den Vermissten Hans-Georg Lindholm handelt. Das sagt ihm seine Berufserfahrung und seine Intuition.
Die Betroffene hat auf dem Sofa Platz genommen, und ihr ängstlicher Blick gleitet unablässig von dem Stück Papier zum Gesicht des Beamten. Sie kann die zitternden Hände nicht verbergen.
„Frau Lindholm, wir haben eine Meldung der Kripo Lüneburg herein bekommen, in der es um einen Mann geht, der mit Ihrer Personenbeschreibung eindeutig übereinstimmt und der in Lüneburg auf dem Bahnhof in einem Zug …“
Weiter kommt er nicht. Ein hoher Schrei, wie von einem todwunden Tier. Lindholm ist aufgesprungen.
„Was ist mit meinem Mann? Sagen Sie es mir!“
Sie zerrt mit aller Kraft am Revers des völlig überraschten Kriminalisten. Aber Schwerdtfeger ist Herr der Lage. Vorsichtig löst er ihre verkrampften Hände und führt sie zurück zum Sofa. Tränen strömen über ihr Gesicht.
„Ist er tot, mein Mann? Ist er tot? Ich habe es geahnt, ich habe es geahnt. Mein Hansi, mein Ein und Alles. Oh Gott, warum lässt du das zu?“
„Frau Lindholm, versuchen Sie bitte, sich zu beruhigen. Wir wissen ja noch nicht genau, wer der Mann aus dem ICE ist. Aber es ist richtig; der Mann ist tot.“
Mühsam unternimmt der Beamte den Versuch, sie zu beruhigen. Es gelingt nicht.
Herzzerreißendes Schluchzen erfüllt den Raum.
„Frau Lindholm, ich sagte es doch schon. Wir wissen noch nicht mit abschließender Sicherheit, ob es sich wirklich um ihren Ehemann handelt. Aber wir müssen mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen. Die Beschreibung der Kripo in Lüneburg stimmt genau mit der ihres vermissten Mannes überein.“
Die Reaktion erfolgt spontan. Laut weinend schlägt sie die Hände vor das Gesicht und wirft sich in die Sofakissen. Betroffen erhebt sich der Ermittler und blickt ungeduldig zur offenen Wohnzimmertür.
„Der Notarzt muss gleich eintreffen“, ertönt von dort die Stimme seines Kollegen.
Stumm erleben sie den Zusammenbruch eines fremden Menschen. Trotz aller Routine geht ihnen das Leid der Frau unter die Haut. Immer noch weint sie vor sich hin, nur ist sie leiser geworden. Hoffnungsloser. Die Männer vernehmen die Signale herannahender Fahrzeuge. Endlich.
„Ich sage schon mal Bescheid.“
Schwerdtfeger nickt.
„Frau Lindholm? Hallo, Frau Lindholm! Wir haben einen Arzt bestellt. Der wird sich gleich um Sie kümmern.“
Schwerdtfegers kräftige Stimme zeigt Wirkung. Mühsam richtet sich die Angesprochene auf.
Wachsbleich ist ihr Gesicht, und Schweiß steht auf ihrer Stirn. Der Blick irrt rastlos hin und her. Die Frau steht unter Schock.
„Bitte legen Sie sich aufs Sofa, Frau Lindholm. Und die Beine anziehen.“
Dann hört Schwerdtfeger, wie Autotüren zugeschlagen werden und rasche Schritte. Wenig später betreten der Notarzt und zwei Rettungsassistenten den Raum.
„Jetzt sind wir dran, Herr Kollege.“
Der Arzt hat mit einem Blick die Situation erfasst und schiebt den Ermittler freundlich zur Seite.
„Danke, Doktor, dass Sie so schnell kommen konnten. Wir hätten hier nicht weiter gewusst.“ Schwerdtfeger reicht dem Arzt die Hand.
„Warten Sie bitte eine Weile draußen. Danach besprechen wir, wie es weitergeht.“
Im obersten Geschoss des mit den großen Glasfronten versehenen modernen Gebäudes mitten im Zentrum der alten Hansestadt, sitzt der Mann, der auch „Captain“ genannt wird. Leichter Regen läuft in langen Perlenreihen die Scheiben hinunter. Typisches Schmuddel Wetter in der Großstadt an der Elbe. Aber das beeindruckt ihn nicht, er ist damit groß geworden.
Nach dem opulenten Frühstück in seiner Villa, serviert von der Haushälterin mit ihrem weißen Häubchen auf dem Kopf, blättert der gut gelaunte Mann interessiert nun die morgendliche Presse durch.
Nichts hat seine Nachtruhe stören können, aber jetzt wecken die Titel der Boulevard Zeitungen seine Aufmerksamkeit. Und er wird fündig. In einem Artikel des Hamburg-Teils auf Seite