lieber alleine verbringen würde, komme, was da wolle. Eine wahrhaft stille Nacht erhoffte ich mir. Ich hatte zwar Freunde, mit denen ich schon gerne die Weihnachtstage verbracht hätte – aber das eben das besondere Problem, das man als Single hat: die meisten Bekannten oder Freunde haben alle ihre familiären Verpflichtungen. Da bleibt keine Zeit für ein Treffen mit jemandem, der nicht zur Familie gehört. Zumindest nicht an den Festtagen. So beschloss ich, ganz für mich alleine zu feiern, denn so hatte ich wenigstens meine Ruhe. Selbst wenn ich mich alleine vielleicht ein bisschen einsam fühlen würde – das war mir immer noch lieber als der übliche Aufstand zu Weihnachten.
Ende Oktober hatte ich mich daran gemacht, diesen Plan zu verwirklichen. Natürlich fahren über Weihnachten viele Leute weg. Zum Teil, um einfach die Feiertage in einer schöneren Umgebung zu verbringen als zuhause, zum Teil, um diesen Tapetenwechsel gleich mit Wintersport zu verbinden. Von daher ahnte ich schon, dass ich vielleicht Schwierigkeiten haben würde, zwei Monate vor Weihnachten noch etwas zu bekommen. Ich ärgerte mich, dass ich nicht früher angefangen hatte zu suchen. Aber das half mir in diesem Augenblick auch nicht mehr.
Dann hatte ich aber mehr Glück, als ich es zu hoffen gewagt hatte. Viele verreisten über Weihnachten natürlich nicht alleine, sondern in der Gruppe. Mit Familie oder im Freundeskreis. Deshalb waren zwar die ganzen Berghütten in den Alpen, die ich von dem einen oder anderen Wintersporturlaub her kannte und mir als Ziel ausgesucht hatte, längst belegt. Es gab aber eine wirklich winzige Hütte, für die der Begriff Ferien-Haus schon fast übertrieben war, die gerade mal für eine Person reichte, also ideal für Singles wie mich, und die war noch frei.
Bei der schlug ich sofort zu und mietete sie vom Weihnachtstag bis kurz vor Silvester. Danach wollte ich für die große Silvesterparty bei Freunden wieder zurück sein.
Leider musste ich an Heiligabend noch bis zum Mittag arbeiten, doch danach brach ich gleich auf. Gepackt hatte ich schon am Abend zuvor. Es lag zwar Schnee, und weiterer Schneefall war angesagt, aber das machte mir nichts aus. Mit vernünftigen Winterreifen, etwas mehr Vorsicht als sonst und Schneeketten für die steilen Strecken in den Bergen würde ich schon bis an mein Ziel kommen, hoffte ich.
Eine erste Vorahnung, dass es vielleicht nicht nur der Schnee sein könnte, der mich eventuell in meinem Tatendrang bremste, bekam ich allerdings gleich beim Losfahren. Ich drehte den Zündschlüssel im Schloss. Der Motor grummelte schwerfällig vor sich hin, bevor er endlich ansprang. Ich hielt das aber für eine Folge der Kälte, in der so manche Autobatterie schwächelte. Dieses Problem würde sich durchs Fahren schon von selbst erledigen. Und notfalls war ich schließlich ADAC-Mitglied. So tröstete ich mich – und fuhr los.
Die ersten zweihundert Kilometer brachte ich zügig hinter mich. An Heiligabend war wirklich nicht viel los. Es lief alles hervorragend, und die Autobahn war frei, geräumt und gestreut. Doch dann hörte ich die erste Staumeldung. Und das war auch gleich ein beachtlicher Stau. Den würde ich besser umfahren, überlegte ich. Wofür hatte ich denn ein Navi? Allerdings wollte ich vorher, auf einem Autobahnrastplatz, noch mal schnell auf die Toilette, damit es mich nicht später auf irgendwelchen Landstraßen erwischte. Also fuhr ich an der nächsten Gelegenheit raus, stellte das Auto ab, schaltete den Motor aus und erledigte das drängende Problem mit der Blase.
Es war verdammt kalt, zumal ich nun schon Stunden im warmen Auto verbracht hatte. Da fiel mir die beißende Kälte auf meinem Gesicht um so mehr auf. Auch die junge Dame, die neben mir aus ihrem Fahrzeug stieg, fröstelte sichtlich. Wir lächelten uns kurz zu, bevor wir beide in unseren jeweiligen Toilettenhäuschen verschwanden.
Wie nicht anders zu erwarten, war ich schon fertig. Ich saß bereits im Auto, hatte den Schlüssel reingesteckt und drehte ihn. Dabei blickte ich mich nach der jungen Dame um, die mir ausnehmend gut gefallen hatte. Ich hätte schon noch mal gerne einen Blick auf sie geworfen.
Die Panne
Jeder Gedanke daran wurde jedoch jäh erstickt, als der Motor auf das Starten hin nur noch einmal zuckte und sodann erstarb. Ich probierte es noch mehrfach. Aber der Motor war tot. Und ich saß in eisiger Kälte auf einem dämlichen Autobahnparkplatz fest, am Nachmittag von Heiligabend!
Mir blieb erst mal vor Schreck die Luft weg. Ein paar Augenblicke später konnte ich wieder einigermaßen klar denken. Ich musste den ADAC rufen, das stand schon mal fest. Aber irgendwie konnte ich es noch gar nicht ganz glauben.
Ich stieg aus, lief um das Auto herum – natürlich ohne etwas feststellen zu können. Wie auch. Ich wunderte mich ansonsten immer über die Menschen, die bei Pannen wie ein Schwein ins Uhrwerk schauten und dachten, man würde einem rundum verkapselten Motor ansehen, woran das Triebwerk krankte. Nun gehörte ich auch zu diesen Typen.
Fluchend versetzte ich dem linken Hinterreifen einen Tritt mit meinen Winterboots. Genau in diesem Augenblick erschien die junge Dame wieder.
„Probleme?“, erkundigte sie sich neugierig.
„Das kann man wohl sagen!“, schimpfte ich. „Das blöde Ding springt nicht mehr an – da geht gar nichts mehr!“
„Die Batterie vielleicht?“, bemerkte sie hilfsbereit. „Ich habe ein Überbrückungskabel im Auto.“
Ich schüttelte den Kopf. „Danke, ich habe auch eines“, sagte ich, „aber die Batterie ist es definitiv nicht. Ich bin schon über zweihundert Kilometer gefahren, und der Motor ist noch warm. Wenn die Batterie zu schwach wäre, hätte sie sich auf der Fahrt wieder erholt. Außerdem würde das Auto dann wenigstens noch einen Ton von sich geben. Aber das hier sagt gar nichts mehr.“
Auch die junge Dame marschierte um mein Auto herum. Bei ihrem Rundgang um mein Fahrzeug konnte ich sie nun aber wenigstens noch ein bisschen genauer betrachten. Sie trug eine Felljacke, die ihr zwei Handbreit übers Knie ging. Viel länger war ihr Rock auch nicht, der darunter ab und zu hervor lugte. Dazu trug sie dicke wollene Strumpfhosen und Stiefel, die ihr bis an die Knie reichten. Sie sah echt sexy aus in ihrer Winterkleidung. Unter anderen Umständen hätte ich bestimmt erwogen mit ihr zu flirten, aber im Moment hatte ich wirklich andere Sorgen.
„Und was machen Sie jetzt?“, erkundigte sich die junge Dame nun.
„Gute Frage!“, brummte ich. „Den ADAC rufen und mir hier zwei Stunden lang den Hintern abfrieren, bis die kommen. Was dann wird – keine Ahnung. Auf jeden Fall hänge ich erst mal hier fest – und das am Heiligen Abend!“
„Müssen Sie irgendwohin?“, fragte sie.
„Wie man es nimmt“, erklärte ich. „Ich muss zu keiner Familienfeier oder so, wenn Sie das meinen. Aber ich hatte mir eine kleine Hütte in den Bergen gemietet, um über Weihnachten endlich mal alleine sein zu können, fernab von dem üblichen Familienstress.“
„Wie romantisch!“, schwärmte sie.
Ja, das hätte ich auch gefunden. Aber da hatte mir mein Auto ja nun einen gründlichen Strich durch die Rechnung gemacht!
„Hm“, überlegte sie. „Wäre es nicht besser, ich nehme Sie jetzt irgendwohin mit, in ein Hotel oder so? Dann müssen Sie wenigstens nicht frieren – und um das Auto kümmern Sie sich einfach morgen.“
„Sie meinen, ich soll das Fahrzeug hier einfach stehen lassen?“, fragte ich ungläubig.
Vorstellungen hatte die Lady!
„Na, klauen kann es ja keiner“, kicherte sie.
Damit hatte sie nun auch wieder Recht. Und ich hatte wirklich keine Lust, in der Kälte zu warten, wer weiß wie lange. Und dunkel wurde es auch schon. Wenn es wenigstens ein Parkplatz mit Raststätte gewesen wäre, dann hätte ich ja in der Gaststätte warten können. Aber nein – hier gab es nur die kalten, ziemlich geruchsintensiven Toilettenhäuschen.
Von daher war ihr Vorschlag gar nicht mal so schlecht. Ich hatte mir zwar den Heiligabend anders vorgestellt. Allerdings überlegte ich: allein in einem Hotelzimmer hocken oder in einer einsamen Berghütte sitzen, dazwischen ist nun mal kein besonders großer Unterschied. Im Hotel gab es vielleicht sogar mehr Komfort, zum Beispiel einen