Herbert Schoenenborn

Der Schatz der Kürassiere


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fuhren nicht nördlich an der Stadt vorbei, sondern etwas südlicher mitten darüber hinweg.

      Obwohl es im Ballonkorb recht eng war und wir uns fast schon die Beine in den Bauch gestanden hatten, wollten wir Paris so nah wie möglich kommen. Mit Pferd und Wagen über Straßen zu rumpeln schien uns viel unbequemer und anstrengender als noch einige Zeit im Korb ausharren zu müssen.

      Dann wurden wir entdeckt, und man winkte uns zu. Viele Menschen dort unten hatten offenbar vorher noch nie einen Ballon gesehen. Einige versuchten vergeblich, uns auf Pferden zu folgen, aber wir waren immer noch relativ schnell und mussten uns nicht an Wege und Straßen halten. Jedenfalls erschien die Zeit im Ballon nun sehr kurzweilig. So gegen acht Uhr bemerkte ich, dass der Wind seine Richtung leicht geändert hatte, und wir ein wenig nach Süden abdrifteten. Weil wir weder nach Orleans noch sonst wohin wollten, sondern nach Paris, beschloss ich nach einem geeigneten Landeplatz Ausschau zu halten. Ich wollte, wenn möglich, in der Nähe eines Bauernhofes landen. Wir waren inzwischen auf eintausend Fuß heruntergegangen, da entdeckte ich hinter einer Bodenwelle einen Gutshof, umgeben von abgeernteten Feldern. Auf einem dieser Felder beschloss ich zu landen.

      Unverhofft erfasste uns starker Seitenwind und drückte den Ballon nach unten. Das wäre nicht weiter schlimm gewesen, wir waren ja noch hoch genug, doch plötzlich entdeckte Philippe direkt oberhalb des Korbs einen ungefähr zehn Zentimeter langen Riss in der Ballonhülle. Da hatten uns offenbar die Deutschen doch erwischt. Möglicherweise ein Streifschuss, der den Stoff angekratzt hatte. Aus der beschädigten Stelle entstand wahrscheinlich zunächst ein kleiner Riss, der sich von uns zunächst unbemerkt nach und nach vergrößert hatte.

      Seit dem Start begann ich erstmals nervös zu werden, denn wir verloren nun sehr schnell an Höhe. Ich wusste, dass wir es bis zu dem angestrebten Landeplatz nicht mehr schaffen würden. Wir fuhren direkt auf eine Gruppe Obstbäume zu, die wir ohne Leck in der Hülle spielend überquert hätten. So aber sah es nach einer Notlandung aus. Ich musste den Ballon vor den Bäumen nach unten bringen. Ich ließ nun so viel Gas ab, dass unsere Sinkkurve steiler wurde und der Boden sehr schnell näher kam. Meine Begleiter forderte ich auf, sich gut festzuhalten, da der Korb bei der Landung sehr hart aufsetzen und umkippen könnte und ermahnte sie, den Korb nicht eher zu verlassen, bevor ich es ihnen sagen würde.

      Ich muss erwähnen, dass es leider schon vorgekommen ist, dass ein Ballon bei vorzeitigem Aussteigen von Passagieren, nun entsprechend leichter, kurz wieder aufgestiegen ist, oft mit bösen Folgen für die im Korb verbliebenen.

      Bei unserem Landeanflug waren wir entdeckt worden, denn uns kamen im gestreckten Galopp zwei mit Gewehren bewaffnete Reiter entgegen, die, als wir noch ungefähr zweihundert Meter entfernt waren, absprangen und ihre Gewehre auf uns richteten.

      Wir machten nun kaum mehr Fahrt und befanden uns nur noch zwanzig Fuß über dem Boden. Als wir uns auf Rufweite den Reitern genähert hatten, schrie Pierre ihnen entgegen, dass wir Franzosen wären und aus dem eingeschlossenen Metz kämen. Daraufhin senkten die beiden Männer ihre Waffen. Dann setzte der Korb hart auf, stieg wieder ein Stück in die Höhe und schlug dann erneut auf den Boden, schlitterte noch ein paar Meter übers Gras und kippte dann um. Der Ballon sackte nun schnell in sich zusammen und als das Gas fast vollständig aus der Hülle entwichen war, krabbelten wir aus dem Korb, leicht lädiert, aber glücklich. Wir waren froh, dass wir nicht zu Schaden gekommen waren und wir wieder festen Boden unter den Füßen hatten.

      Wir hatten seit dem Start um zwei Uhr morgens in sechs Stunden fast zweihundert Kilometer zurückgelegt. Das war eine beachtliche Strecke.

      Die beiden Reiter kamen vorsichtig und noch immer mit dem Gewehr im Anschlag auf uns zu. Pierre hielt ihnen seinen Armeeausweis entgegen. Das schien sie endlich zu überzeugen, denn sie sicherten und schulterten ihre Waffen. Ihre bis dahin drohenden Minen hatten sich erhellt, und sie stellten sich uns als Vater und Sohn Alexandre und Baptiste de Luc vor. Die beiden de Lucs entschuldigten sich für ihr Misstrauen, aber in diesen Kriegstagen sei nun einmal Vorsicht geboten, meinten sie.“ Muller unterbrach seine Schilderung, um an seinem Rotweinglas zu nippen, dann fuhr er mit seiner Erzählung fort:

      „Während wir die Ballonhülle zusammenfalteten, erfuhren wir von Alexandre de Luc, dass wir nur vier Kilometer von Nogent-sur-Seine entfernt gelandet waren. Das Städtchen liegt an der Eisenbahnstrecke Troyes-Paris und hat eine Bahnstation.

      Monsieur de Luc lud uns ein, auf seinem Gut zu übernachten. Am kommenden Morgen, also heute, würde er uns zum Bahnhof fahren, dann wären wir so gegen Mittag in Paris. Wir nahmen sein Angebot gerne an, denn so langsam kroch die Müdigkeit in uns hoch. Ich bat den Gutsherren, den Ballon und die Postsäcke sicher zu lagern. In Paris angekommen, würden wir sofort veranlassen, dass Ballon und Post abgeholt würden. Nachdem alles sicher untergebracht war, nutzten wir die Gelegenheit, uns bis zu Abendessen auszuruhen.

      Während des Essens im Kreise der Familie de Luc, mussten wir über die Lage in und um Metz und über unsere Ballonfahrt berichten, wobei wir selbstverständlich nicht auf die wahren Hintergründe unserer Reise eingegangen sind.

      Der Rest ist schnell erzählt. Ausgeruht bestiegen wir heute Morgen so gegen neun Uhr in Nogent-sur-Seine den Zug und erreichten um die Mittagszeit Paris. Am Gare d'Austerlitz trennten sich unsere Wege. Pierre und ich begaben uns sofort ins Ministerium, um dem Kriegsminister Bericht zu erstatten. Wir wollten aber zunächst Richards Nachricht abwarten, ob die Pläne in Paris angekommen waren oder nicht. Als die Depesche von Richard eintraf, hatte der Kriegsminister bereits das Ministerium verlassen. Ich denke mit Grauen an den morgigen Tag, denn wenn er erfährt, dass die Pläne verloren sind, wird er eine Krisenkonferenz nach der anderen einberufen.

      Übrigens, Richard, haben Sie mit Ihren Männern gesprochen, wenn ja, was war geschehen?“

      „Selbstverständlich habe ich sie rufen und mir berichten lassen“, antwortete Fréchencourt.

      „Meine Leute sagten aus, nach ihrem Aufbruch im Fort Queuleu wäre zunächst alles nach Plan verlaufen. Sie seien gut vorangekommen und als sie nicht mehr damit gerechnet hätten, noch auf Deutsche zu treffen, wären kurz vor Pouilly plötzlich mindestens zehn feindliche und bis an die Zähne bewaffnete Soldaten in hellen Uniformen auf sie zugerannt, die sich an einem Waldrand versteckt gehalten hätten. Da sie selbst unbewaffnet gewesen wären, hätten sie gegen die Übermacht schwer bewaffneter Soldaten keine Chance gesehen und ihr Heil in der Flucht gesucht. Wie ich es ihnen geraten habe, hätten sie sich in dieser argen Bedrängnis schweren Herzens von der Kiste trennen müssen und sie in ein Gebüsch geworfen. Als sie merkten, dass sie nicht mehr verfolgt wurden, hätten sie sich eine Weile im Unterholz versteckt. Als die Luft rein gewesen sei, wären sie nochmals zu der Stelle zurückgekehrt, wo sie sich ihrer Last entledigt hätten, aber die Kiste sei fort gewesen.

      Sie hätten dann schnell ihren Weg fortgesetzt. Ein Bauer, der auf dem Weg zum Markt nach Pompey gewesen sei, habe sie auf seinem Fuhrwerk mitgenommen. Ab Pompey wären sie mit dem Zug über Vitry-le-François und Châlons nach Paris gefahren und hätten sich schnurstracks nach hier begeben.“

      „Halten Sie es für möglich, dass Ihre Männer die Kiste für sich behalten und sie irgendwo versteckt haben könnten“, fragte Grau vorsichtig.

      „Das habe ich mich auch gefragt und sie auch darauf angesprochen“, antwortete Fréchencourt.

      „Und wie war ihre Reaktion?“, fragte Muller.

      „Sie waren entsetzt über meinen Verdacht und haben geschworen, nie auch nur im Entferntesten einen Gedanken daran verschwendet zu haben, die Kiste für sich zu behalten. Ich glaube ihnen das, sonst wären sie sicherlich nicht hierher gekommen. Ich meine, wir sollten es dabei bewenden lassen.“

      „Non, Richard, Sie müssen verstehen, dass wir uns mit der Aussage nicht zufrieden geben können, wir werden sie morgen früh abholen lassen und in unserem Ministerium nochmals getrennt befragen. Ich versichere Ihnen, fair und ohne Druck auf sie auszuüben. Wir müssen ganz sicher sein, dass sich die Pläne in deutscher Hand befinden.“ Grau ließ keinen Zweifel aufkommen, dass Widerspruch zwecklos war.

      „Gut Pierre, dann erlauben Sie mir bitte meinen Leuten zu sagen, dass sie morgen im Kriegsministerium ihre Aussage wiederholen müssen“, bat