muss gestehen, dass ich anfangs Ängste empfand, schien es doch, als wachse etwas zur Lawine, die uns alle überrollen und verschlingen würde, und meine Frau vertraute sich mir an, ihr werde von zwei Befürchtungen die Vorfreude verdorben. Würden die Beiden sich in finanzielle Ausgaben stürzen, die sie für den Rest ihres Lebens zu Schuldnern machten? Und wenn die Eheschließung noch über ein Jahr warten müsste, sei doch die Gefahr nicht von der Hand zu weisen, dass unser ersehnter und schon jetzt geliebter Enkel ein unehelicher werden könnte. Ich konnte sie beruhigen, denn für das finanzielle galt, beide waren Unternehmensberater. Und für das Baby: Die Beiden waren mit den Vorbereitungen so ausgefüllt, dass sie für nichts Anderes Zeit hätten.
Aber auch mich ließ das alles nicht kalt. Ich träumte drei- oder viermal – darüber führte ich kein Buch – den gleichen Traum. Ich sitze in einem prächtigen, schwach erleuchteten Konzertsaal, ich als einziger mitten im Parterre. In den Händen Stift und Tafel, die in wohl 20 gleich große Felder unterteilt ist, in deren linker oberer Ecke eine Nummer steht. Trompeten schmettern eine Ouvertüre wagnerschen Kalibers, von einem engen Lichtstrahl eingefangen, tänzelt ein allerliebster pausbäckiger Engel mit goldenen Locken auf die Bühne, hebt eine Tafel mit einer 1 über den Kopf und verschwindet flugs hinter dem Vorhang. Und da gleitet ein lebendes Bild herein. Hoch oben auf dem Scheitelpunkt einer prächtigen Brücke das ausnehmend glückliche Paar, links und rechts auf den Stufen freudig gestimmte Menschen, fast ausgelassen, alle in festlich-feiner Kleidung. Unter ihnen ein schier unentwirrbarer Gondelwust. Die Gondolieri rufen ihr Vivat hinauf, so voller Inbrunst, dass sie fast den Vivaldi des Kammerorchesters am Fuß der Brücke ersticken.
Mit einer lässigen Handbewegung bedeute ich dem Spektakel den Abgang, und sofort gleitet alles davon. Der Engel schwebt mit der 2 vorüber, gleich darauf kommt und so weiter und so fort. Schließlich der Kleine mit der goldenen Aufschrift Fines Operis, einige Herren in dunklen Anzügen schreiten herbei, ordnen sich zu einem Halbkreis, blicken zu mir herüber, mir wird klar, ich soll die Entscheidung geben, das Urteil fällen – der Schweiß bricht aus, die Luft wird knapp, gerade noch gelingt mir durch den Saal zu schreien:„Ich kann es nicht!“, meine Frau wischt mir den Schweiß von Stirn und Wangen, hat sich über mich gebeugt, fragt mich liebevoll: „Was kannst du nicht?“
Ich wollte mich mit der passiven Rolle des Zuschauers und bloßen Registrators nicht begnügen und bot meinem künftigen Schwiegersohn an, das Fotografieren zu übernehmen. Er klopfte mir auf die Schulter, nickte anerkennend und lobte mich, aber es sei ihnen schon gelungen, in ihren Bekanntenkreisen drei Kameramänner aufzutreiben und einen Fotojournalisten. Die würden das gesamte Geschehen vom Anfang bis zum Ende filmen und fotografieren und sofort nach dem Ende des Festes noch in der Nacht das gesamte Material sichten, schneiden und zusammenfügen und mit Musik garnieren. Aber wenn ich schon tätig werden wolle, ich könnte mir ja mein Outfit vornehmen. Ich wisse ja, die Kleiderordnung verlange Smoking und Zylinder. Ich gebe zu, dass ich aufatmete und gerade noch verhindern konnte, mich zu bedanken.
Im Hutgeschäft sagte ich freundlich: „Ich möchte einen Zylinder.“
Der Verkäufer sah mich ratlos an und fragte: „Einen was?“
„Einen Zylinder.“
Er grinste: „Mein Herr, man befindet sich hier in einem Geschäft für Kopfbedeckungen und nicht in einem Kostümverleih.“
Ich verließ ohne Gruß das Geschäft und bediente mich im Internet.
Den Smoking bekam ich ohne blöde Bemerkungen in einem Salon für gehobene Herrenkleidung. Die Preise entsprachen dem Attribut. Einige Tage später sah ich in der Lokalpresse das Angebot dunkler Anzug, Weste, zwei Hosen, dezent gemustertes Hemd und ebensolche Krawatte für 159,99 €. Für einige Wochen hatte ich den Spaß an meinem Smoking verloren.
Ein Element der geplanten Vorführung gefiel mir am besten. Einmal gab ich zu bedenken:„Und wenn es dann regnet? Oder gießt? Dann fallen die Abendkleider, Blumenbouquets, Zylinder, Schimmel und Kutschen einfach ins Wasser? Das ist Spiel mit dem Risiko als der besondere Kick?“
Meine Tochter wurde richtig böse. „Für wie blöd hältst du uns! Noch nie was von Silberjodit gehört? Mannomann, wenn gefährliche Wolken auftauchen, werden sie mit Silberjodit behandelt, und dann verhalten sie sich gesittet.“
„Nässen überhaupt nicht?“
„Kein Tropfen.“
„Kennst du etwa jemanden, der das schon einmal versucht hat?“
„Natürlich!“, sie wurde ungeduldig. „Bei der Olympiade in Peking 2008 die Eröffnungsfeier. Kein Regentropfen hat da was kaputtgemacht.“
„Eine letzte Frage …“
„Ja, los doch!“
„Also: Wie teuer ist … oder wie preiswert ist so ein Einsatz?“
„Mit einer fünfstelligen Summe müssen wir rechnen.“
Ich zog mir einen Stuhl heran.
„Aber für die Gäste ist das doch ein ganz besonderes Erlebnis. Nicht nur, dass sie trocken bleiben. Auch dabei zu sein, wenn es gemacht wird, zu sehen, wie es gemacht wird, ist doch aufregend!“
Ja, sie hatte Recht. Neben Frau Holle im Sessel sitzen und erleben, wie sie Wetter produziert. Live! Ich malte mir aus, wie am Horizont eine dunkelblau, violett geballte Wolkenmasse sich heraufschob, unheimlich lautlos oder auch mit donnernder Ouvertüre im Tiefflug über uns heranglitt – das Brautpaar, meine Frau und ich waren fast damit überfordert, hin- und her zu springen, um die hysterisch aufspringenden Gäste in die Gartensessel zurückzudrücken. Ein erhebendes Gefühl, dass ein paar Meter weiter oben einige militärisch ausgediente Kampfjets, eine Mirage, eine Phantom, eine MIG, in Tuchfühlung über das Brodeln der Wolkendecke kurvten, und durch die geöffneten Luken schaufelten starke Männer in Kampfanzügen der deutschen Luftwaffe dieses hellglänzende Silberzeug in die dunkelblaue Watte unter ihnen, wo es lautlos versank und in geheimnisvoller Weise seine Aufgabe erfüllte.
Und ich stand unten, lächelnd, locker, souverän. Ja, das sind die unseren da oben. Ich blickte in die Runde der kopfschüttelnden, ungläubig und ratlos, ja, dümmlich und blöde lächelnden Gesichter. Ich lauschte noch, als das Gewitterdonnern in der Ferne abzog und das Geheul der Maschinen schwächer wurde, während sie in elegantem, weitem Bogen abdrehten.
Von nun an hatte sich meine erwartungsvolle Vorfreude zur Hochspannung gesteigert. Wir hatten noch 7 Monate, bis der große Tag aus dem Ei schlüpfen sollte. Ich wünschte mir so sehr, es möge ein Tag mit dauerhaftem Landregen oder mit einer breiten Gewitterfront werden. Das war so spannend! Diese Hochzeit hatte einen neuen Akzent bekommen.
Am 1. Aprilsonntag trat meine Tochter mit forschem Schritt ins Haus, zog meine Frau und mich in die Sessel, ließ sich aufs Sofa fallen und verkündete, die Entscheidung sei gefallen. Endgültig. Die Hochzeit solle ja ein besonderes Ereignis werden. Abseits des Trends, es sei halt Mode in dieser Zeit, ein aufwendiges, kostspieliges, abenteuerliches Event von atemberaubenden Dimensionen aufzutürmen. „Was wir machen, hat in den vergangenen 10 Jahren niemand gemacht und wird uns in den nächsten 10 Jahren niemand nachmachen. Also: 12 Gäste, Standesamt am frühen Nachmittag, Spaziergang an den See, nach halber Strecke Kaffeetrinken im Café an der Brücke. Abendessen bei uns: Klare Suppe, Schweinebauch mit Rotkohl und Kartoffelklößen, Eis mit geschlagener Sahne. Ausklang: zwei alte Videofilme aus dem Familienfundus. Plaudern. So wird’s gemacht, bitte keine Widerrede. Und ihr könnt mir glauben: Das wird Aufsehen erregen, damit kommen wir groß raus. Ich bin ich.“
Ich unterließ die Frage, ob wenigstens die silbersprühenden Flieger zum Einsatz kämen und, ach ja, mein Smoking. Aber für ihn fiel mir sofort eine glänzende Lösung ein. Meine Frau hatte im Herbst gesagt, es sei peinlich, wenn die Nachbarn sähen, wie ich bei der Gartenarbeit meine alten Anzüge auftragen würde. Das sollte schon ab morgen sich ändern. Zumindest im Vorgarten. Wenn es nicht regnet.
Performance für alle
Es geschah mir im Flughafen Suvarnabhumi. In Bangkok. Dem internationalen, dem neuen Koloss. In einem der