Ulrich Borchers

Was haben Sie da Angerichtet


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zwanzig Jahren trocken und clean. Ich hatte nur einen schlechten Tag. Es wird alles klappen.“

      „Der alten Zeiten wegen, Georg. Versaue es heute nicht, sonst wird es schwer mit Folgeauftritten.“

      Aufgelegt. Sobald seine Leistung nicht mehr ausreicht, wird Robert die Beziehung abrupt beenden. Alte Zeiten hin oder her. Da werden ihm weder seine ruhmreiche Zeit als Begleitmusiker eines der bekanntesten deutschen Rockstars, noch seine frühere Klasse als Studiomusiker helfen.

      Alles hat und braucht seine Zeit. Als der Wachtraum seines damaligen sogenannten Lebens endete, stürzte er sich noch mehr in die Musik. Sein Gitarrenspiel wurde immer besser und nachdem er seine Schulden bezahlt hatte, wunderte er sich, dass so eine Menge Geld übrigbleibt, wenn man es sich nicht durch die Nase zieht. Er kaufte sich Gitarren. Weitere Gibson, Rickenbacker, Martin und natürlich Fender. Sein ganzes Geld für diese taillierten Ersatzfrauen, die ihn retteten, aber lediglich Flucht vor seiner Beziehungsunfähigkeit waren. Heute ist ihm das klar.

      Der alte George Best Spruch fällt ihm ein, der unter seinen Musikerkollegen Quintessenz ihres Handels war. „Ich habe viel von meinem Geld für Alkohol, Weiber und schnelle Autos ausgegeben. Den Rest habe ich einfach verprasst.“ Na ja, er hat zumindest seine Gitarren.

      Er drückt weiter fleißig den Schwamm. Der Schmerz lässt nach, aber die Knoten in seiner Hand machen ihn zornig. Wieso werden seine Hände zum Feind? Immer hatten sie es gut mit ihm gemeint. Durch sie kam er vom Alkohol und den Drogen weg und schließlich brachten sie sein Leben auch noch auf die Liebesspur. Neben klassischen Stücken waren damals auch Popsongs auf Akustikgitarre angesagt und auf einem kleinen lokalen Gig spielte er zum Abschluss auf seiner Martin „Cavatina“. Ein Herzensöffner, wie Vera im später einmal sagte, und zum ersten Mal seit Jahren entdeckte er etwas neben seiner Musik. In machen Augen findet man sich, in anderen nicht. In den Augen der Rothaarigen in der zweiten Reihe verweilte er. Beim Verklingen des letzten Tons hatten sie sich gefunden.

      Nach dem Stück kam sie nach vorn und sagte: „Wer so spielt, den könnte ich versuchen zu lieben“, und er antwortete zu seiner eigenen Überraschung: „Ich hätte nichts dagegen.“

      Sie mussten es nicht versuchen, es war beiden vom ersten Moment klar. Er brauchte nicht mehr von der großen Liebe singen und auf falsche Versprechungen setzen. Späte Liebe, sagt man so? Beide hatten ihre Weichen schon gestellt. Vera ein wenig schlauer als er, das gibt er zu. Jetzt sitzt er hier, hat das Rentenalter erreicht und versucht mit Schwamm und warmen Wasser seine zweite Leidenschaft und ein wenig Zukunft am Leben zu erhalten. Mist, seine Knie und sein Rücken sind völlig in Ordnung. Er würde auf die Bühne kriechen, wenn er nur alle Riffs hinbekommen würde.

      Pensionsansprüche hat sie. Da kann er nicht mithalten. Früher hätte er sich darüber lustig gemacht. Jetzt schämt er sich gegenüber Vera ein wenig. Seine Altersversorgung ist ein Witz, viel zu lange hat er danach gelebt, dass Morgen so wird wie Gestern und sich im Heute keine weiteren Gedanken gemacht. Bis auf seine Instrumente ist er finanziell gesehen kaum existent. Vera hat gesagt, das wäre egal. Es würde schon für beide reichen. Obwohl er es ihr umgekehrt wohl auch zugesagt hätte, fühlt er sich deswegen nicht ein Stück besser.

      Neulich hatte er sich mit einem Kollegen unterhalten, der sich bitter darüber beschwerte wie die Allgemeinheit mit ihren Künstlern umgeht. „Keiner fängt uns auf, wir bilden im Alter das kreative Proletariat“, meinte er. Georg trank seinen Tee und entgegnete nichts. Die Spielregeln waren allen von Anfang an bekannt. Sie hatten früher bloß keine Lust gehabt, sich daran zu halten und fühlten sich dabei toll. Und jetzt weinen, weil sie nicht eingewechselt werden und wieder mitspielen dürfen. Ne, so ein Selbstmitleid liegt ihm nicht und er hat auch noch nie die Schuld bei den Anderen gesucht.

      Er nimmt die Hände aus dem Wasser und trocknet sie ab. In einer Stunde muss er los. Heute wird es wohl gehen. Die Fans werden nichts merken, Robert ein wenig. Er selbst weiß, dass es nicht mehr reicht. Seinen eigenen Ansprüchen wird er nicht mehr gerecht werden. Und seine Hände werden glühen und die Entzündung und die Schmerzen werden ihm die Tränen in die Augen treiben.

      „Es ist vorbei“, denkt er sich. Der letzte Auftritt. „Ich muss loslassen, mit meinen Händen müsste es mir doch leicht fallen.“ Er lächelt wegen dieses Gedankens. Morgen wird er sich um den Verkauf seiner Gitarren kümmern. Es müsste eine Stange Geld zusammenkommen und für eine Weile würden sie gut davon haben.

      Er nimmt die Jacke vom Haken, schultert seine Fender und denkt: „Too old to Rock’n’ Roll, to young to die.“

      Den ersten Teil des Spruchs erfährt er gerade leidvoll. Georg wird mit Vera zusammen einen Weg zu finden, den zweiten Teil bejahen zu können. Als er sich von ihr verabschiedet sagt er: „Ich möchte dich im Morgenlicht sehen.“ Vera verbindet diese Zeile nicht mit dem alten Dylan Titel und sagt nur lächelnd: „Wie schön!“

      Ihm bedeutet es alles.

      SEESTERN

      Die Morgensonne wärmt schon, aber noch sind die Temperaturen angenehm. Für mich die schönste Zeit des Tages. Eine leichte, frische Brise vom Meer und ich denke: „Ach, das Leben könnte so schön sein.“ Nicht, dass sie mich falsch verstehen, im Moment ist es das auch, aber ich weiß, es wird sich spätestens in einer Viertelstunde ändern. Ich atme tief durch und genieße den Augenblick. Diesen Strandkorb hier am Timmendorfer Strand habe ich für die Saison gemietet, nachdem ich mich nach aufreibenden beruflichen Herausforderungen verdientermaßen zur Ruhe gesetzt habe. Er ist nur einen Katzensprung von der Eigentumswohnung entfernt, die ich mir gekauft habe. Alles könnte so schön sein, wäre da nicht …

      Der Teufel, von dem ich in Gedanken sprach, naht. Etwas früher als gewöhnlich, wahrscheinlich bereitet es ihm Freude, mich zu quälen.

      „Komm Püppchen, mach mal hinne. Vaddern hat nicht ewig Zeit.“

      Frank Kasischke, ehemaliger Bauunternehmer, ebenfalls im Ruhestand robbt an den Strand. Sonne, Sand, Meer und der Ort haben es ihm leider genau so angetan wie mir. Er hat den Strandkorb neben mir gemietet. Sein Püppchen hinkt vollbeladen mit den notwendigen Utensilien des Tages hinter ihm her. Sie schleppt hauptsächlich Nahrung für ihn mit. Ich nenne Kasischke im Gedanken „den Gorilla“. Einerseits weil er sich in ähnlicher Weise auf seinen Strandkorb zubewegt und andererseits, weil Gorillas ihren Stellenwert in der Gesellschaft gern durch Körperfülle demonstrieren. Das gilt ebenso für Kasischke. Aufgrund seiner Ausmaße schwitzt er jetzt schon aus allen Poren und in der Hitze des Tages wird es unerträglich werden. Wenn er sich dann noch umdreht und das Wasser seinen langen behaarten Silberrücken runterläuft, sollten keine Kinder in der Nähe sein. Das würde sie nur verschrecken und zu Albträumen führen.

      Jeder wird auf seine Weise alt, aber wenn ich mir den Gorilla betrachte, bin ich für meinen durchtrainierten Körper dankbar. Immer noch die gleiche Konfektionsgröße wie vor vierzig Jahren. Mein Beruf brachte das mit sich. Ich musste immer in Form sein. Normalerweise ist mir das egal, beim Anblick Kasischkes, macht es mich sogar ein wenig stolz.

      Egal wie einsilbig ich bin, er hat einen Narren an mir gefressen und wird sich auch heute den ganzen Tag lautstark von Strandkorb zu Strandkorb unterhalten.

      „Moin Werner. Schon da! Wie immer. Früher Vogel und so weiter. Ha ha ha … Aber allein. Immer allein. Wird das nicht bald mal was? Musst dir auch so eine Schnecke zulegen wie ich. Hast doch Kohle. Ha ha ha …“ Er stoppt kurz, um dann weiterhin schreiend fortzufahren: „Bist du etwa von der anderen Fraktion? Macht ja nix. Stört mich nicht, wenn du hier lieber mit Martin als mit Martina liegen würdest. Nur zu. Ha ha ha …“

      Seine Toleranz und Feinfühligkeit beeindrucken mich zutiefst. „Guten Morgen Frank. Keine Sorge. Alles gut.“ Na ja, ich hätte schon gerne jemanden an meiner Seite, aber das werde ich diesem Urmenschen nicht auf die Nase binden. Der würde gleich telefonisch eine Horde Frauen bestellen und mir auf den Hals hetzen. „Geb ich aus, Werner, lass es mal krachen. Ist doch ungesund, wenn man gar nicht … Ha ha ha!“ Nein danke! Mein Beruf hat mich zum Einsiedler werden lassen. Irgendwann werde ich auch das ablegen. Es braucht nur ein wenig Zeit.

      Jetzt kommt