Ulrich Borchers

Was haben Sie da Angerichtet


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      „Hallo Lilo“, sage ich.

      Ich ernte schallendes Gelächter. „Hach Gottchen, du bist ja herrlich. Ich sehe schon, du wirst ein spannendes Projekt. Aber keine Sorge, ich ziehe dich schon in das Leben. Komischer Laden hier, oder? Irgendwie piefig.“ Sie zieht sich einen Moment von mir zurück und holt aus ihrer Tasche einen Rosenquarz und Duftstäbchen und stellt sie auf den Tisch. „So, jetzt ist es etwas besser. Sag mal Rainer, wie bist du denn auf den Laden hier gekommen? Na lass man, du wirst durch mich die Richtigen kennenlernen.“

      Inzwischen steht die Bedienung wieder mit den Speisekarten an unserem Tisch und um auch mal was zu sagen, schlage ich vor. „Sollen wir uns erst mal etwas bestellen, bevor wir uns weiter kennlernen?“

      „Rainer, Rainer ich werde dich schon durch deine Bestellung kennen lernen“, entgegnet sie schelmisch grinsend. Zu der Bedienung sagt sie: „Vegane Karte ist nicht, oder? Habe ich mir gedacht.“

      Ich rutsche auf meinem Stuhl herum und weiß nicht, was ich machen soll. Schließlich entscheide ich mich zunächst tatsächlich zu bestellen: „Steakteller bitte.“

      Ein Aufschrei. „Das wird ja herausfordernder als ich dachte. Nein, bringen Sie uns bitte beiden je einen Kressesalat und die vier Nudelköstlichkeiten, bitte ohne Schinkenstreifen in der Soße.“ Dann strahlt sie mich wieder an und sagt: „Ich weiß, was dir gut tut.“

      Ich strahle zurück: „Ich weiß das auch, Lilo. Und das hier gerade ganz bestimmt nicht. Ich nehme den Steakteller. Blutig bitte.“

      Mit einem Ruck steht Lilo und faucht mich an: „Wieder so ein Würstchen. Einer der keine Partnerschaft sucht, sondern eine Haushaltshilfe, ein stummes Muttchen. Starke Frauen unerwünscht. Von mir aus. Mach doch weiter in deinem Soloprogramm.“ In Sekunden schnappt sie sich Rosenquarz, die Duftstäbchen und den Umhang und ist verschwunden.

      „Was war das denn?“, fragt die Bedienung kopfschüttelnd.

      „Pflanzenschutzmittel trifft auf Sonnenblume. Jetzt wo sie weg ist, hätte ich mein Steak doch lieber medium.“

      „Ich werde den Koch bitten, es auf den Punkt perfekt zuzubereiten“, antwortet sie und blinzelt mir zu.

      Ich schaue ihr hinterher und stelle fest, dass es mir in der Schönen Aussicht gefällt. Das anschließende Mahl unterstützt diesen Eindruck. Die präsentierte Rechnung lässt es sogar noch zu einem perfekten Tag werden. Die nette Bedienung lehnt mein großzügiges Trinkgeld ab und bittet mich stattdessen einen Blick auf die Rückseite zu werfen. Sie ist so schnell verschwunden, dass sie mein grinsendes Gesicht nicht mehr erlebt, als ich lese: „Bin giftresistent. Weiteres kannst du herausfinden, wenn du folgende Nummer wählst.“ Ich schaue mich nach ihr um, aber sie ist nicht mehr zu entdecken. Noch beim Verlassen des Restaurants speichere ich die Nummer im Handy ab.

      TRENNUNG

      „Ein schöner, fast schon sommerlicher Frühlingstag“, denkt Jürgen. „Die schönste Jahreszeit überhaupt, das Leben startet durch.“

      Er schaut auf seinen Sohn, der neben ihm auf der kleinen Steinumrandung des Bolzplatzes sitzt. Der tippt den Ball beleidigt auf den Boden und das knallende Geräusch verursacht ein zorniges Echo an den gegenüberliegenden Garagen. Tim ist nicht gut auf seinen Vater zu sprechen. Wie soll ein Achtjähriger das auch verstehen.

      Jetzt sitzen sie schon eine ganze Weile schweigend nebeneinander. Jürgen schaut in die Sonne, ohne blinzeln zu müssen. Erstaunlich, denkt er. Egal. Bald kann er seinen Aufbruch nicht mehr aufschieben. Es wird Zeit, dass sie miteinander reden. Der Junge ist manchmal so stur. „Ich kann doch nichts daran ändern, Tim“, sagt er schließlich.

      „Nicht können, heißt nicht wollen, sagst du sonst immer“, und wieder erklingt das Echo.

      „Nun tu mal nicht so schlau“, sagt Jürgen und muss fast schmunzeln. „Es gibt nun mal Situationen, in denen es keine Alternative gibt. Du wirst das auch noch lernen müssen.“

      Tim schaut ebenfalls in die Sonne und kneift seine Augen zusammen. Statt zu antworten, pfeift er vor sich hin. Er empfindet es als Riesengemeinheit und am schlimmsten ist es, nicht zu wissen, wer die Schuld trägt. Vater, Mutter oder sogar er selbst? Und wieder lässt er es knallen.

      „Niemand ist daran schuld“, sagt sein Vater. Tim dreht abrupt seinen Kopf in Vaters Richtung. Kann der jetzt auch noch seine Gedanken lesen? Das wird ja immer schöner. Jürgen sagt nichts dazu, sondern schaut seinen Jungen nur an. Gerne würde er ihm jetzt wieder, wie so oft, vertraut auf den Arm boxen. Auch er muss mit der veränderten Situation klar kommen. „Tim, ich kann jetzt nicht mehr lange bleiben. Ich hätte schon längst los müssen.“

      „Sag nicht, du verspätest dich sonst.“

      „Doch, ich verspäte mich, aber das verstehst du nicht.“

      Pamm…Pamm…Pamm… dreimal prellt er den Ball.

      „Kann Mama nicht mit dir sprechen? Wenn sie dich bittet, bleibst du dann noch ein wenig?“

      „Mama hat sich schon längst von mir verabschiedet. Sie weiß, dass ich gehen muss. Und Mandy ist noch zu klein, die hat noch gar nicht richtig begriffen, dass es mich gibt. Sie wird mich nicht so vermissen.“

      „Ich werde dich vermissen“, sagt Tim. Er schafft es nicht mehr, nun muss er doch weinen.

      „Ich weiß“, sagt Jürgen.

      „Und jetzt?“, schluchzt Tim.

      Jürgen würde das Häufchen Elend so gerne in den Arm nehmen. Hätten sie nicht den Sommer miteinander erleben können oder vielleicht sogar noch den Herbst? Dann hätten sie noch ein halbes Jahr mit ihrem geliebten Fußballspiel verbringen können. Der Winter eignet sich doch für Abschiede viel besser. Aber, das ist egoistisch. Tim wird ihn in diesen hellen Monaten viel weniger vermissen. Wenn er erst mal wieder mit seinen Freunden spielt, wird der Alltag schnell zurückkehren. Er ist nicht der einzige Junge, der seinen Vater nicht um sich hat. Um sich haben? Jürgen kommt eine Idee.

      „Tim, ich muss jetzt wirklich los. Tust du mir einen Gefallen?“

      Pamm…

      „Welchen denn?“

      „Ich habe dir doch noch den Spannschlag beigebracht, du weißt, der Fuß muss angewinkelt werden. Wenn du zukünftig per Spann ein Tor schießt, musst du dich erinnern, dass ein Teil von mir immer bei dir ist. Auch wenn wir uns nicht mehr sehen, bin ich dann immer ein bisschen bei dir. Außer natürlich, du schießt nie Tore.“

      „Pah. Keiner schießt so viele Tore wie ich. Das weißt du genau“, erwidert Tim stolz.

      „Na, dann ist ja alles gut“, fasst Jürgen zusammen.

      „Na ja, fast alles“, antwortet Tim.

      Jürgen schaut seinen Jungen belustigt an. „Du bist ja einer. Mama und Mandy sind bei dir in guten Händen. Pass gut auf die beiden Frauen auf!“

      Jürgen richtet seinen Blick noch mal nach oben. Jetzt ist es bald soweit. Er hat sich schon viel zu lange hier aufgehalten. Aber manche Dinge müssen erledigt werden.

      „Tim, lässt du mich jetzt gehen?“

      Tim antwortet nicht, sondern schluckt nur stumm und nickt. Sein Vater lächelt ihn nochmals an, dreht sich um und winkt ihm beim Gehen so lange zu, bis er nur noch als Schemen wahrzunehmen ist. Tim senkt seinen Arm und lässt den Ball noch einmal mit aller Entschiedenheit knallen. Dann lässt er ihn auf das Spielfeld rollen, hetzt hinterher und haut den Ball mit Vollspann in den Winkel. Ein Tor des Monats, das seinen Vater stolz gemacht hätte. Er blinzelt in die Sonne und denkt: „Papa ist bei mir.“ Dann dribbelt er mit dem Ball dem gegenüberliegenden Tor entgegen.

      Seine Mutter hat ihn aus dem Fenster beobachtet. Gott sei Dank spielt er wieder Fußball, denkt sie. Tagelang saß er allein auf der Steinmauer und hat stoisch den Ball auf den Boden geprellt. Niemand konnte mit ihm reden. Sie hatte wirklich Angst, dass der Junge an dem Tod seines Vaters