Tommy Krappweis

Ghostsitter


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nur ein Schatten seiner selbst ist. Der ist vollkommen fix und fertig, schwitzt und kann kaum ’nen Arm heben. Und nicht nur er ist am Ende, sondern auch seine Ledertrine. Und wie!«

      »Was? Dada geht’s schlecht?«, fragte Tom und biss sich sofort auf die Zunge. Er wusste doch eigentlich, dass Mimi auf die bloße Erwähnung von Zoracz’ Assistentin empfindlich reagierte.

      Aber zu seinem Erstaunen blieb Mimi diesmal ganz ruhig und nickte: »Ja, auch wenn sie mich sonst ab und zu mal nervt, hab ich mich echt richtig erschrocken. Erst hab ich nur gesehen, dass sie auf ihrem Bett liegt, und gehört, dass sie ganz flach atmet. Aber dann bin ich näher rangeschwebt, und fast hätt’ ich vor Schreck gequietscht! Leute, Dada sieht aus wie … wie …«

      »… eine alte Dame?«, unterbrach sie da der Vampir, und Mimi schaute ihn verwundert an.

      »Ja, genau! Woher weißt du das? Ganz alt ist sie geworden und schwach. Als Zoracz ihr ein Glas Wasser gegeben hat, konnte sie es nur mit zwei Händen festhalten, dabei hat sie voll gezittert und die Hälfte verschüttet.«

      »Das klingt ja echt furchtbar …«, murmelte Tom. »Können wir ihr denn irgendwie helfen, Vlarad?«

      »Wir wissen noch nicht genug über ihren Zustand, mein Junge«, antwortete der Vampir. »Und im Moment weiß ich gar nicht, was mich mehr erstaunt: dass Dada nun in diesem Zustand ist oder dass Zoracz irgendwem freiwillig ein Glas Wasser bringt.«

      »Du hast recht, Vlarad«, antwortete Mimi. »Ich hab so was Ähnliches gedacht. Es war irgendwie … voll abgefahren, dass der blöde Zoracz plötzlich so nett war.«

      »Nun, ich wage zu bezweifeln, dass unser Erzfeind nun plötzlich zum Streiter des Lichts wird, nur weil er seiner Assistentin ein Glas Wasser reicht«, sprach der Vampir und begann nun wieder, im Wagen hin und her zu schreiten. »Ihr fragt euch vielleicht, warum ich ahnte, dass Dada nun wirkt wie eine alte Dame …«

      »… und da sagst du es uns auch schon!«, riefen Tom und Mimi wie aus einem Mund, sahen sich an und mussten grinsen. Vlarad überging diesen Einwurf, als hätte er niemals stattgefunden. »Wie wir seit unserem letzten Abenteuer wissen, ist Dada ein Katzenwesen ähnlicher Art wie unser Welf ein Wolfswesen ist. Einer der Unterschiede ist, dass sie nicht nur eins, sondern ganze neun untote Leben zur Verfügung hat. Darum gilt diese Spezies auch als besonders risikofreudig.«

      »Das hab ich schon bemerkt …«, antwortete Tom. »Aber warum liegt sie jetzt als alte Dame da drüben in dem Camper?«

      »Der Verlust eines untoten Lebens ist eine anstrengende Sache, und das merkt man ihr zur Stunde noch deutlich an«, entgegnete der Vampir. »Ich gehe davon aus, dass Dada zum Morgengrauen wieder ganz genauso aussieht wie zuvor.«

       Kapitel 6: Geisterwecker

      Du hast gesaaagt …«, begann Mimi, aber Vlarad hob energisch die Hand. »Ich habe gesagt, ›Ich gehe davon aus‹! Diese Vermutung äußerte ich aufgrund der mir bekannten Parameter. Wenn meine Einschätzung nun nicht zutrifft, gibt es wohl Faktoren, die mir bislang verborgen blieben.«

      Tom blinzelte angestrengt in Richtung seines Weckers. Er zeigte 07:21 Uhr. Vor ihm schwebte Mimi, und daneben stand Vlarad, der Vampir – wie immer vollständig und fältchenfrei gekleidet.

      Das konnte man von Tom nicht gerade behaupten, denn er lag noch im Bett und trug aufgrund der sommerlich-schwülen Hitze nur das Nötigste. Also zog er erst einmal die Bettdecke Richtung Kinn und fragte dann mit belegter Stimme: »Ähm … könnt ihr nicht wenigstens klopfen oder …«

      »Tom«, sagte Mimi. Wenn sie einen Satz mit seinem Vornamen und einer langen Pause begann, war klar, dass es danach umso flüssiger weitergehen würde. So auch jetzt. »Tom. Ich hab dich telepathisch angefunkt und dir gesagt, dass ich noch mal bei Zoracz und Dada war und dass ich jetzt zu dir rüberkomm und dass du dir vielleicht was anziehst und dass ich Vlarad Bescheid sage und dass …«

      »Stoppstoppstopp!«, winkte Tom ab. »Wenn ich schlafe, dann hör ich doch kein Telepathie-Dings!«

      »Ach ja, stimmt!«, rief das Gespenst, lachte und patschte sich lautlos gegen die durchsichtige Stirn. »Hihi, ich vergess immer, dass du ja deinen Schönheitsschlaf brauchst.«

      »Das hat mit Schönheit nix zu tun!«, blaffte Tom zurück. »Ich muss eben schlafen wie jeder andere Nicht-Untote auf dieser W–«

      »Soll ich denn so lange wieder gehen, oder können wir in absehbarer Zeit eine sinnstiftende Konversation über die aktuelle Sachlage beginnen?«, frage Vlarad dazwischen, und Tom schloss seinen Mund.

      »Verbindlichsten Dank«, säuselte der Vampir süffisant und deutete dann durch die geschlossenen Vorhänge hinüber zu Zoracz’ Lagerplatz. »Mimi hat den beiden abermals einen Besuch abgestattet und meine gestrige Prognose zweifelsfrei widerlegt. Dada scheint sich nicht erholt zu haben und befindet sich immer noch in einem ähnlichen Zustand.«

      »Richtig«, pflichtete das Geistermädchen bei. »Ich finde, es sieht sogar noch schlimmer aus als gestern Nacht.«

      »Wie meinst du das?«, fragte Tom bestürzt.

      »Na ja, gestern sah Dada aus, als wäre sie etwa fünfundsiebzig Jahre alt und vorhin eher wie … hundert …«

      Erschrocken schaute Tom zu Vlarad. Der legte die Hand ans Kinn und überlegte.

      »Ich bleibe dabei: Sie müsste sich in den letzten Stunden erholt haben.« Der Vampir seufzte. »So geht das nicht weiter. Ich kann auf diese Weise keine Diagnose stellen. Ganz egal, ob es eine Finte von Zoracz ist oder nicht – das untote Leben der Katzendame scheint auf dem Spiel zu stehen, und die Zeit läuft ab.«

      »Was brauchst du denn, um festzustellen, was ihr fehlt?«, fragte Tom. »Musst du sie selbst untersuchen?«

      »Wir könnten Vlarad als Arzt verkleiden!«, schlug Mimi vor.

      Der Vampir schüttelte den Kopf. »Ich würde den Weg über den Platz nicht überleben und schon nach wenigen Metern in der Morgensonne zu Staub zerfallen.«

      Tom rieb sich die Stirn in der Hoffnung, dass es ihm half, klarer zu denken. »Wir können aber nicht warten, bis es dunkel ist! Der Rummelplatz macht in drei Stunden auf, und mit vielen Menschen drum rum wird alles noch schwieriger. Und ich glaub auch nicht, dass Zoracz überhaupt jemanden reinlässt, der nachts an seinen Camper klopft und sagt: ›Hallo, ich bin rein zufällig Arzt, brauchen Sie vielleicht einen?‹ Das glaubt der doch nie!«

      »Und wenn Vlarad sich so ein Dings umhängt und so ein anderes Dings an den Kopf macht, wie die Ärzte immer haben?«, überlegte Mimi. »Daran erkennt man doch sofort, dass jemand ein Doktor ist.«

      »Du meinst ein Stethoskop und einen Stirnreflektor?« Tom musste grinsen. »Also, ich glaube, so sehen Ärzte nur noch in Comics aus und inzwischen nicht mal mehr da. Und es geht doch nicht darum, ob Zoracz erkennt, dass es ein Doktor sein soll, sondern dass ein solcher nicht um elf Uhr nachts herumläuft und …«

      »Schluss damit«, knurrte Vlarad unwirsch. »Das ist Unsinn, und ich kann mich dabei nicht konzentrieren.«

      »’tschuldigung«, murmelten Mimi und Tom im Chor, bemerkten das und mussten beide grinsen. Das tat Tom gut, und er sah auch, dass es dem Geistermädchen genauso ging.

      »Ich muss die Dame nicht zwangsläufig persönlich in Augenschein nehmen«, erklärte der Vampir. »Es genügt, wenn ich ein Haarbüschel von ihr untersuchen kann. Die Frage ist nur, wie kommen wir daran?«

      Mimi seufzte. »Ich komm locker rein und wieder raus, kann aber weder was abschneiden noch festhalten …«

      Sofort schoss Tom der Gedanke an das Stofflichkeits-Training durch den Kopf. Natürlich hätten sie das Problem jetzt nicht, wenn