Gabriele Lukacs

Geheimnisvoller Da Vinci Code in Wien


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seine Demontage zum Zweck des Transfers nach Paris befohlen haben. Da sich aber ein Fresco nicht so leicht ablösen lässt, gab er eine Kopie in Auftrag, die dann nach Paris gebracht werden sollte.

      Der renommierte römische Künstler Giacomo Raffaelli übernahm 1806 die Aufgabe. Hunderttausende Glas-Mosaiksteinchen, die nur ein paar Millimeter groß sind, baute er ohne Zwischenräume aneinander. Als das Meisterwerk 1814 vollendet war, befand sich der Kaiser der Franzosen in der Verbannung und konnte das Bild nicht mehr in Besitz nehmen. Sein Schwiegersohn Kaiser Franz I. von Österreich (1768–1835) erwarb das gigantische Mosaik und wollte es im Schloss Belvedere anbringen lassen. Aber dafür erwies es sich als zu groß. So schenkte er es den Minoriten, in deren Kirche das Monumentalmosaik seither zu bewundern ist.

      Nicht nur, dass es eine Original-Kopie in Größe, Darstellung und Farbe ist, es wurde auch genauso aufgehängt wie das Original in Mailand: mit dem tatsächlichen Lichteinfall durch die Kirchenfenster von links. Das deckt sich mit dem Lichteinfall, den Leonardo im Original genauso dargestellt hat: Jesus und die Apostel von vorne beleuchtend, den Lichtstrahl auf Jesus Kopf zentriert.

      Die Farben sind besser erhalten als auf dem Mailänder Original

      Leonardo hat mit den Farben für die Seccotechnik experimentiert, aber leider einen Fehlgriff getan. Bereits wenige Jahre nach Vollendung des Gemäldes verblassten die Farben. Aus diesem Grund hat man es seit dem 17. Jahrhundert mehrmals restauriert, aber vielfach mehr geschadet als genützt. Laut dem Wiener Kunsthistoriker Artur Rosenauer halten Da Vinci-Kenner das Wiener Mosaik für einmalig: Es sei besser erhalten und leuchtender in den Farben als inzwischen das Original.

       Das Original: Leonardo da Vincis „Letztes Abendmahl“. (Foto Chris Norman)

      Jesu Füße nur in Wien

      Noch eine Sensation kann das Wiener Mosaik bieten, ein Detail, welches auf Leonardos Original nicht mehr zu sehen ist: die Füße von Jesus Christus unter dem Abendmahltisch. Im Refektorium des Mailänder Klosters Santa Maria delle Grazie wurde genau an dieser Stelle eine Tür eingebaut. Somit ist die 200 Jahre alte Wiener Kopie dem Original näher als das Original selbst, nach all den Veränderungen und Beschädigungen, denen es im Lauf der Zeit ausgesetzt war.

      Ob Leonardo – wissentlich oder unwissentlich – geheime oder sogar häretische Inhalte in seinem Werk verarbeitet hat, ist nicht bekannt. Aufzeichnungen darüber hat er uns nicht hinterlassen, allerdings seine Überlegungen zur Darstellung der Charaktere der zwölf Apostel und der Abendmahlszene. Warum dann aber der berühmte Abendmahlkelch fehlt, ist wiederum ein Rätsel. Vier Codes, also verschlüsselte Botschaften, sollen nach Ansicht vieler Forscher in diesem Gemälde versteckt sein:

      1 Der vermeintliche Jünger Johannes ist in Wahrheit Maria Magdalena und diese sei der personifizierte Gral.

      2 Die zwölf Apostel symbolisieren die zwölf Sternzeichen. Leonardo selbst sei Thaddäus als Sternzeichen Stier.

      3 Die Brotlaibe auf dem Abendmahltisch und die Hände der Apostel stellen vermutlich Musiknoten dar, deren Melodie eine feierliche Hymne ergibt.

      4 Die Zentral-Perspektive des Bildes fokussiert in der Schläfe von Jesus. Darin könnte Leonardo ein Wortspiel versteckt haben.

      Versteckte Hinweise im „Abendmahl“?

      Leonardo da Vinci stellt Jesus und die zwölf Apostel beim letzten Abendmahl dar, in jener Szene, in der dieser ihnen den späteren Verrat an ihm offenbart. Die Apostel sind entsetzt, sie gestikulieren heftig, außer einem, der neben Jesus sitzende Johannes. Er scheint still und in sich gekehrt zu trauern.

      Der Tisch und die Apostel sind im Bildvordergrund angeordnet. Dahinter verengt sich der Raum zu dem dreiteiligen Fenster, welches die scheinbare Lichtquelle darstellt. Das Licht, das die Szene ausleuchtet, kommt jedoch nicht aus dem gemalten Fenster, sondern schräg von links wie das wirkliche Licht, das durch Fenster an der linken Wand einfällt, in der Minoritenkirche wie auch im Mailänder Kloster-Refektorium.

       Weltweit die einzige Kopie in Originalgröße: das „Letzte Abendmahl“ als Mosaikbild von Raffaelli in der Minoritenkirche, 1814.

      In Leonardos eigenen Aufzeichnungen findet sich die Beschreibung über die unterschiedliche Haltung der Jünger. Im berühmten Forster-II-Kodex – heute im Londoner Victoria and Albert Museum – beschreibt Leonardo die Szene: „Einer, der gerade getrunken hat, setzt seinen Becher ab und dreht seinen Kopf zum Sprecher. Ein anderer verschränkt die Finger und wendet sich stirnrunzelnd seinem Kumpan zu … “ So versammelt Leonardo die Apostel in Dreiergruppen, die auf unterschiedliche Weise auf Jesu Enthüllung „Einer von euch wird mich verraten“ reagieren.

      Der Heilige Gral im „Abendmahl“

      In Leonardos Gemälde fehlt der Kelch, den Jesus anlässlich des letzten Abendmahls mit den Aposteln benützt hat. Dieses Fehlen des Kelches interpretieren einige Autoren, darunter Dan Brown oder Lincoln/Baigent/Leigh, als bewusste Weglassung. Wollte Leonardo damit ein Geheimnis andeuten?

      Um dieses Gefäß, den Gral, ranken sich viele Legenden. Sowohl seine Herkunft als auch sein Verbleib sind unbekannt. Niemand weiß, ob er ein Trinkgefäß, eine Schale oder etwas ganz anderes gewesen ist. Er soll von der Abendmahltafel gestohlen, zu Pilatus gebracht und von diesem an Josef von Arimathea weiter gegeben worden sein. Diese Version der Legende verfolgt den Weg des Grals bis nach Glastonbury in England. Die erwähnten Autoren vertreten eine ganz andere, gewagtere These. Sie entschlüsseln die erstmals in Frankreich des 12. Jahrhunderts auftauchende Bezeichnung für den Abendmahlkelch „San Gral“ als „Sang real“, also als „sanguis regalis“ (königliches Blut). In diesem Begriff sehen sie einen Hinweis auf das königliche Geblüt Jesu und seiner Nachfahren aus der Verbindung mit der Frau, „die er am meisten liebte“, wie es im Evangelium heißt, mit Maria Magdalena.

      Code Nr. 1:

       Johannes oder Maria Magdalena?

       Wo ist der Gral?

      Wäre es möglich, dass Leonardo in seinem Gemälde diese Bedeutung des Begriffs „San Gral“ als „Sang real – königliches Blut“ dargestellt hat? Zwischen Jesus und der rechts von ihm sitzenden Person klafft ein auffälliger V-Spalt, einem Dreieck gleich. Das mit der Spitze nach unten zeigende Dreieck gilt als Mutterschoß des Göttlich-Weiblichen. Ein Dreieck mit der Spitze nach oben steht für das männliche Prinzip. Leonardo stellt Jesus mit den ausgestreckten Armen als symbolisches Dreieck dar. In der Ikonographie der Renaissance wurde das Männliche heraldisch rechts und das Weibliche links dargestellt. Der Jünger Johannes zeigt – entgegen seiner Sitzrichtung – seine weibliche Seite. Auch die gegengleichen Farben der Kleidung ergeben einen Hinweis. Sie ergänzen einander wie das Männliche und das Weibliche. Der Apostel Johannes wäre dann in Wirklichkeit die schwangere Maria Magdalena, der Heilige Gral, das Gefäß, welches das Blut Jesu in sich trägt!

      So habe Leonardo da Vinci „codiert“ dieses Geheimnis der Nachwelt mitgeteilt – daher der englische Originaltitel „The Da Vinci Code“.

      Wo ist Johannes?

      Wenn also die Person rechts von Jesus tatsächlich Maria Magdalena sein sollte, wo ist dann der Jünger Johannes?

      Bibelforscher können weder in der Bibel noch in den außerbiblischen Schriften einen klaren Hinweis auf eine Ehefrau Jesu bzw. die Anwesenheit von Maria Magdalena beim letzten Abendmahl finden. Auch Leonardo selbst schreibt angeblich nichts in seinen Aufzeichnungen darüber, warum er den Lieblingsjünger Johannes allzu weiblich aussehen lässt.