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Karl Polanyi


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vom Keynesianismus und einem „eingebetteten Liberalismus“ beherrscht und in der Soziologie vom Ende der Ideologie, um dann mit dem Aufschwung der sozialen Bewegungen in den 1960er-Jahren aufgesprengt zu werden.

      Die dritte Welle, die Polanyi nicht erwartet hatte, beginnt im Jahre 1973 mit der Energiekrise, sie wurde später unter dem Stichwort „Washington Consensus“ beschrieben und bekam großen Auftrieb durch die Regierungen von Margaret Thatcher und Ronald Reagan in Gestalt eines erneuten Angriffs auf die Arbeit. Im Laufe der Zeit hat sie sich mit dem Aufstieg der Finanzwirtschaft als eine Ära der Rekommodifizierung des Geldes und der verschärften Kommodifizierung der Natur, das heißt von Luft, Boden und Wasser, erwiesen. Diese dritte Welle der Vermarktlichung führte zum Zusammenbruch des Staatssozialismus und bezog aus ihm neue Energien. In Lateinamerika kam die Strukturanpassung genau zu dem Zeitpunkt, als die Diktaturen fielen, was zu Experimenten in partizipativer Demokratie führte. Während die Wellen der Vermarktlichung in den Kernländern in einem Zeitraum von mehr als zwei Jahrhunderten aufeinanderfolgten, wurden die Länder an der Peripherie in sehr rascher Folge mit ihnen konfrontiert, sodass sie umso explosiver wirkten.

      Es hat nationale Reaktionen auf die Vermarktlichung gegeben – etwa in Gestalt eines islamischen Nationalismus oder sozialistischer Schattierungen in Lateinamerika –, aber sie können die dritte Welle der Vermarktlichung nicht umkehren. Dazu bedarf es einer planetarischen Reaktion auf die globale Reichweite des Finanzkapitals und die heraufziehende Umweltkatastrophe, die eine Bedrohung für die ganze Erde ist. Das Finanzkapital ist allerdings die treibende Kraft hinter der Prekarisierung der Arbeit – ihrer Rekommodifizierung ebenso wie ihrer dementsprechenden Exkommodifizierung – sowie der steigenden Verschuldung, nicht nur auf individueller Ebene, sondern auch auf der Ebene der Gemeinde, der Stadt, des Staates und der Region. Das Finanzkapital hat Wissen zur Ware gemacht und seine Produktion vorangetrieben, gemeinsam haben sie sich die Natur einverleibt, als eine Akkumulationsstrategie des Kapitals. Eine Gegenbewegung wird einen globalen Charakter annehmen und mit Bezug auf die Menschenrechte formuliert werden müssen, da das Überleben der menschlichen Spezies auf dem Spiel steht.

      Es stellt sich die Frage, wo genau wir uns auf der Kurvenlinie der dritten Welle der Vermarktlichung befinden. Optimisten behaupten, die dritte Welle der Vermarktlichung habe bereits von selbst begonnen, sich umzukehren, und wir befänden uns im Aufstieg zu einer Einschränkung der Vermarktlichung. Andere meinen, dass die Kommodifizierung von einem Stillstand weit entfernt sei. Viele Menschen, darunter auch ich, dachten, dass die Wirtschaftskrise von 2008 und die Umstrukturierung der Machtverhältnisse auf der Welt Gelegenheit für eine Gegenbewegung bieten würde, aber dies erwies sich als Illusion. Es ist möglich, dass eine Gegenbewegung noch in weiter Ferne liegt, so wie es auch möglich ist, dass es niemals eine Gegenbewegung im Sinne der Einschränkung der Vermarktlichung geben wird.

      Es handelt sich bei diesem Text um einen neu zusammengestellten Auszug aus: Michael Burawoy (2015), Public Sociology – Öffentliche Soziologie gegen Marktfundamentalismus und globale Ungleichheit (hg. von Brigitte Aulenbacher und Klaus Dörre und aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Regine Othmer). Beltz Juventa: Weinheim und Basel.

       „DU ALS DEUTSCHER BIST NICHTS MEHR WERT“

       Der Aufstieg des Rechtspopulismus – eine Arbeiterbewegung von rechts?

       KARINA BECKER UND SOPHIE BOSE

      In zahlreichen frühindustrialisierten Ländern sind wir derzeit mit dem Aufstieg rechtspopulistischer Formationen konfrontiert, die eine Zäsur für das politische System darstellen. Zwar rekrutieren populistische Parteien ihr Elektorat grundsätzlich aus allen Klassen und Schichten der Bevölkerung, es fällt jedoch auf, dass sie bei der Arbeiterschaft auf überdurchschnittliche Zustimmung stoßen. US-Präsident Donald Trump verdankt seinen Wahlsieg nicht nur Stimmen aus der Mittelschicht und dem Kleinbürgertum, sondern auch aus dem deindustrialisierten Rust Belt der USA.

      Die von der rechtspopulistischen UKIP federführend betriebene Brexit-Kampagne fand in der Arbeiterschaft überdurchschnittliche Zustimmung. In Österreich votierten bei der Bundespräsidentenwahl 85 Prozent der Arbeiter und Arbeiterinnen für den FPÖ-Kandidaten Hofer (insgesamt 46,2 % der Stimmen), sein siegreicher Konkurrent Van der Bellen kam in dieser Statusgruppe auf gerade einmal 15 Prozent. In Frankreich erzielt der Rassemblement national (ehemals Front national) seit den 1990er-Jahren Spitzenwahlergebnisse in ehemaligen Hochburgen der Kommunistischen Partei Frankreichs (PCF).

      Auch die Wahlerfolge der Alternative für Deutschland (AfD) fügen sich in dieses Muster. Die AfD war neben der FDP die eigentliche Gewinnerin der Bundestagswahl 2017. In den ostdeutschen Bundesländern hat sie insgesamt Ergebnisse einer Großpartei erzielt, in Sachsen ist sie mit 27 Prozent sogar die stimmenstärkste Kraft. Laut Analysen von infratest dimap haben überdurchschnittlich viele Arbeiterinnen und Arbeiter sowie Arbeitslose (jeweils 21 %) die AfD gewählt, aber auch in anderen Berufsgruppen und im Bereich der mittleren Bildungsabschlüsse konnte sie Stimmen im zweistelligen Bereich für sich gewinnen. Bei den Gewerkschaftsmitgliedern hat die AfD mit 15 Prozent leicht überdurchschnittliche Unterstützung; bei den Gewerkschaftsmitgliedern im Osten Deutschlands liegt sie mit 22 Prozent gleichauf mit der Linkspartei. Gerade in den Kohorten, die von Erwerbstätigen geprägt werden, verzeichnet sie Zugewinne, und zwar insbesondere bei den Männern in der Altersgruppe von 25 bis 59 Jahren.

      Angesichts dieser Situation stellt sich die Frage, wie die hohe Akzeptanz der völkischen Rechten unter Arbeitern und Arbeiterinnen – auch gewerkschaftlich organisierten – zu erklären ist und ob wir es gar mit einer Arbeiterbewegung von rechts zu tun haben?

       Eine Bewegung Polanyi’schen Typs

      Um dies zu beantworten, ist es unseres Erachtens geboten herauszufinden, unter welchen Bedingungen sich der Aufstieg rechtspopulistischer Formationen vollzieht. Karl Polanyis Konzept der Doppelbewegung hilft uns dabei zu verstehen, was sich derzeit in Gestalt eines völkischen Populismus ereignet und in einigen Ländern wie beispielsweise Deutschland zuspitzt. Durch marktradikale Ideologien forciert, wurden in den letzten Jahren marktbegrenzende Institutionen und Organisationen geschwächt, Märkte sozial entbettet und marktabhängige Individuen oder Gruppen einem Wettbewerbsprinzip ausgesetzt, bei dem einige gewinnen und andere verlieren. Die Entbettung von Märkten, als deren Folge die fiktiven Waren Arbeit, Boden und Geld so behandelt werden, als seien sie Waren wie jede andere, hat im globalen Maßstab Gegenbewegungen vor allem von unten hervorgerufen. Damit verbindet sich eine Kapitalismuskritik, die nicht wie in der Analyse Karl Marx’ an klassenspezifischen Ungleichheiten und Ausbeutung ansetzt, sondern an den gesellschaftszerstörenden Konsequenzen dieser Entwicklung.

      Bewegungen Polanyi’schen Typs richten sich gegen eine marktgetriebene Transformation moderner Gesellschaften. Was wir derzeit auch im Wahlverhalten beobachten, interpretieren wir als eine Art imaginärer, konformistischer Revolte in Opposition zur weit getriebenen Marktsteuerung von Erwerbsarbeit. Sie richtet sich gegen die Universalisierung von Marktvergesellschaftung und Konkurrenz und vor allem gegen deren Folgen.

      Ökonomische Marktmacht wirkt diffus und abstrakt, sie lässt sich selten eindeutig zuordnen, und die Kritik an ihr kann in unterschiedliche Richtungen politisiert werden. Bewegungen gegen den Markt können, wie die frühen sozialistischen Arbeiterbewegungen, systemtranszendierende Ziele verfolgen; sie können aber auch bloßen Schutz vor marktvermittelter Konkurrenz einfordern und reaktiv-nationalistische oder, wie im Falle faschistischer Mobilisierungen, geradezu terroristische Züge annehmen.

       Konflikt zwischen innen und außen

      „Du als Deutscher bist nichts mehr wert.“ Mit diesen und ähnlichen Wahrnehmungen wurden wir in Interviews mit männlichen, gewerkschaftlich aktiven Industriearbeitern konfrontiert, die wir im Jahr 2017 in Sachsen führten. Anhand dieser Forschung wollen wir Einblicke dahingehend geben, wie sich befragte gewerkschaftlich aktive, rechts orientierte Arbeiter ihre eigene Lebenssituation und die sie umgebende Wirklichkeit erklären und illustrieren, dass der gegenwärtige völkische Nationalismus und dessen Attraktivität für Arbeiterinnen und Arbeiter als Bewegung Polanyi’schen Typs gedeutet werden kann.

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