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Ich bin am besten wie ich bin


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bin völlig perplex, und gleichzeitig spüre ich, dass mir kalt wird. Meine Hände und Füße fühlen sich taub an, mein Herz klopft wild, am liebsten würde ich jetzt einfach wegrennen, aber ich kann nicht. Was ist hier los, um Gottes willen?

      „Doris!“ Wieder Karins Stimme, wild, hysterisch! „Hol uns hier raus! Da muss irgendwo ein Schlüssel sein, bitte, beeil dich!“

      „Mama, sei ruhig, sie hören uns noch!“ Auch Thea klingt hysterisch.

      „Wer ist die Frau, Mama?“ Tims Stimme, ganz leise, verwirrt.

      „Eine alte Freundin. Mach schnell, Doris, BITTE!“ Karin unterdrückt krampfhaft ihr Schluchzen, jetzt weint auch Thea.

      Ich verstehe gar nichts, aber ich muss helfen, das ist ein Notfall! Auch wenn ich nicht weiß, was für einer. Sind sie durch eine Falltür vom Wohnzimmer direkt in diesen Keller gestürzt? Keine Zeit, nachzudenken, später, erst mal hol ich sie hier raus. Ich schaue mich fieberhaft in dem dämmrigen Wäschekeller um. Er wirkt so aufgeräumt, so sauber, so, wie ein Wäschekeller in der Werbung auszusehen hat, gleich wird die schmunzelnde Mutti das dreckige T-Shirt ihres Sohnemannes einweichen, gleich wird sie sich begeistert über Waschkraft und Aprilfrische äußern, nein, dieser geweißte Keller mit seiner topmodernen Waschmaschine, dem Trockner, dem Becken für die Handwäsche, all das passt nicht zu dem Grauen, das mich gepackt hat, nicht zu dem verzweifelten Weinen hinter der Tür.

      Ich muss den Schlüssel finden! Ich stoße gegen den Wäscheständer, es scheppert und ich kann ihn gerade noch am Umfallen hindern. Karin stöhnt. Verzweifelt tappe ich im Halbdunkeln hin und her, streiche über die Wände, ob da nicht irgendwo ein Nagel mit einem Schlüssel dran ist, fahre mit den Händen an sämtlichen Regalen entlang, in denen sauber gefaltete Handtücher und gemangelte Tischdecken liegen, hier ist nichts, gar nichts, vielleicht im Hobbyraum? Ich habe Angst, das Licht anzumachen, bin mir nicht sicher, ob ich zu Beginn meiner Expedition die Kellertür hinter mir zugezogen habe, und das Licht würde mich verraten, sie würden runterkommen. Warum sie, sie sind doch hier unten, hinter der Tür, sie, wer sind sie?

      „Was haben wir denn hier?“

      „Doris, lauf!!!!“

      Aber Karins Schrei kommt zu spät, das Licht ist schon aufgeflammt und ich starre verschreckt in Karins lächelndes Gesicht im Türrahmen. Sie ist nicht alleine gekommen, die Kinder und der Hund stehen neben ihr, starren mich an und Rolli bleckt die Zähne, knurrt leise, drohend. Er sieht überhaupt nicht mehr nach Bundesverdienstkreuz aus – ein Schritt, und er geht mir an die Kehle, das ist klar.

      „Wer bist du?“, frage ich, meine Stimme ist ganz zittrig. Da ist er wieder, dieser nachsichtige Gesichtsausdruck, Karins Ausdruck.

      „Ich bin Karin, das weißt du doch“, sagt sie mit ganz leichtem Tadel in der Stimme.

      „Nein, das ist nicht wahr. Karin und die Kinder sind hinter der Tür. Wer seid ihr?“ Ich habe Angst, aber ich bin auch wütend. Wütend, entsetzt und ich weiß nicht, was.

      „Ich hab’s dir doch gesagt. Ich bin Karin. Die eigentliche Karin, die Karin, wie sie sein sollte, die perfekte Karin mit ihrer perfekten christlichen Familie!“

      Sie lächelt sanft, während Thea und Tim mich weiter ausdruckslos anstarren und der Hund immer noch leise knurrt.

      „Wo kommt ihr her?“, frage ich.

      Das Ding, das sich Karin nennt, schaut mich freundlich an.

      „Deine Freundin Karin hat die Firma um Hilfe gebeten“, sagt es. „Und das war in der Tat höchste Zeit, dass sie uns eingeschaltet hat!“

      „Welche Firma?“

      „Christian Klono-Tech. Die perfekte christliche Ersatzperson für die perfekte christliche Gelegenheit.“ Jetzt spult es einen Text herunter, die Stimme klingt strahlend wie bei einer Werbesendung, die Zähne sind zu einem breiten Lächeln gefletscht. Offenbar ist der Programm-Modus angesprungen. „Wie sollen wir die Welt erreichen, wenn wir nicht selbst ein strahlendes Licht sind? Perfekt? Freundlich? Modisch und gepflegt? Sozial engagiert? In der Gemeinde tätig? Exzellente Leistungen auf sämtlichen Gebieten? Vorzeigefamilien mit Vorzeigekindern?“ Auch Thea und Tim zeigen nun strahlende Zähne, sprechen unisono den Text mit: „Christian Klono-Tech schickt Ihnen den perfekten Ersatz, wenn Sie selbst den Ansprüchen nicht genügen. Eine Haarprobe reicht – und für Sie völlig kostenlos!“

      „Es gibt genügend Sponsoren im Hintergrund“, setzt das Karin-Ding nun mit normaler Stimme hinzu. „Sie haben die große Vision, die gesamte Christenheit zu perfektionieren. Ist einfach ein besseres Zeugnis, als diese ganzen Verlierer, die die Gemeinden bevölkern.“ Es zuckt die Achseln. „Eigentlich hat Karin mich ja nur als temporäre Vertretung bestellt. Ihr wurde alles zu viel, aber das sollte keiner merken. Sie ist ja sehr anspruchsvoll und selbstkritisch. Einige Aktivitäten wurden dann von mir übernommen, und ich habe einen wesentlich besseren Job gemacht, als sie je gekonnt hätte.“

      Das Ding rümpft die Nase.

      „Ja, wir haben festgestellt, dass sie tatsächlich in sämtlichen Bereichen völlig unzureichend war – und die Kinder erst! Thea hat, als sie in die Pupertät gekommen ist, einige Kilos zugelegt, und dann noch diese Pickel. Dabei war sie mal so ein hübsches kleines Mädchen. Außerdem wurde sie launisch und unordentlich. Und Tim hatte Probleme in der Schule. Trotz Förderunterricht und Gebet. Da haben wir kurzerhand alle ersetzt – und nun ist die Familie so, wie sie sein soll.“

      „Aber Gerd, der muss doch etwas gemerkt haben! Das ist seine Frau, seine Kinder und ihr habt sie schließlich hier im Haus eingesperrt! Oder gehört er auch zu euch?“

      Das Karin-Ding kichert.

      „Nein, Gerd noch nicht. In der Regel lassen wir einen Humanoiden so lange wie möglich dabei, das gibt den realistischen Touch. Gerd funktioniert ganz ordentlich, er hat einen guten Ruf in der Gemeinde und verlangt nur, dass sein Haus, sein Auto, seine Frau, seine Kinder, sein Hund perfekt sind. Viel Zeit zu Hause verbringt er sowieso nicht, den Wäschekeller hat er noch nie betreten, der Hobbyraum ist reine Makulatur. Nein, Gerd brauchte bisher nicht ausgetauscht zu werden, aber bei seinem Arbeitspensum hat er in zwei oder drei Jahren einen Herzinfarkt. Gut, vorher werden wir natürlich eingreifen, das ist ja kein gutes Zeugnis! Christen sind gesund und fallen nicht plötzlich um.“

      Hinter der Tür höre ich wieder dieses Weinen. Es dreht mir das Herz um. Und ich habe Angst, Angst, Angst.

      „Und jetzt?“, frage ich, „was wollt ihr tun? Ihr könnt sie nicht ewig dort eingesperrt halten.“

      „Nicht?“, fragt das Karin-Ding und mir läuft es kalt den Rücken runter.

      „Du wirst ihnen Gesellschaft leisten, liebe Doris. Genau darum habe ich dich hierhin gebeten. Um dich aus dem Verkehr zu ziehen. Bei der Konferenz habe ich eine Speichelprobe von dir genommen, du erinnerst dich an die Tasse Kaffee? Dein Klon ist schon fertig, wir werden ihn für dich nach Hause schicken. Er wird viel mehr als du in der Gemeinde mitarbeiten, wird zu Hause alles tipptopp in Ordnung halten, wird Bio-Kost zubereiten und den Obdachlosen Butterbrote schmieren. Dein armer Mann und deine armen Kinder werden endlich erleben dürfen, wie es in einem perfekt organisierten Haushalt zugeht. Außerdem haben wir einen Job-Chills-Chip fürs gehobene Management eingebaut, der sich selbst aktiviert, sobald die Kinder aus dem Haus sind. Ach ja, volleres Haar und dezent mehr Busen hat dein Klon auch.“

      „Das dürft ihr nicht!“, höre ich Karins Stimme hinter der Tür. „Sie wollte nie perfekt sein, das dürft ihr nicht!“

      „Aber das war doch immer dein Wunsch“, sagt das Karin-Ding sanft, „du wolltest doch, dass alle Frauen so perfekt sind wie du. Dein Wunsch ist uns Befehl.“

      Weg, weg, ich muss hier weg. Aber meine Beine bewegen sich nicht, ich starre nur dieses lächelnde Karin-Ding an, plötzlich stehen die Kinder neben mir, besser gesagt, die Kinder-Dinger, was immer sie auch sind, sie halten mich an den Armen fest, ihr Griff ist eisern, und das Karin-Ding holt einen Schlüssel aus der Tasche, er dreht sich knirschend im Schloss der Eisentür. Jetzt wollen sie mich also einsperren. Ich bin wie gelähmt,