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Ich bin am besten wie ich bin


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nur kurz ausruhen, nach dem Mittagessen, und bin dabei wohl einfach auf der Couch eingeschlafen! Schon fast halb vier, ach du lieber Gott, jetzt muss ich wirklich fliegen!

      Karin wohnt in einer gepflegten Vorortsiedlung, kleine adrette Reihenhäuser mit kleinen adretten Gärten, an ihrer Tür hängt ganz saisongemäß ein herbstlicher Kranz in Orangetönen, auf der Fußmatte steht „Willkommen“. Ich schelle, es klingt wie ein sanfter Gong, gleichzeitig höre ich von innen laute, erregte Stimmen.

      „Ich hab dir gesagt, du sollst das wegmachen.“ Das ist Karin.

      „Iiih, das ist so eklig, ich denke gar nicht dran, das kann Tim doch machen!“, kreischt eine weiblich-hysterische Teenagerstimme.

      „Bist du bescheuert, du blöde Kuh?“ Ein Junge.

      Die Tür geht auf, Karin steht vor mir, aus dem Ei gepellt wie immer, aber mit gerötetem Gesicht, ihr Atem geht schwer.

      „Hallo Doris“, japst sie, „tut mir leid, macht es dir etwas aus, wenn wir in der Küche Kaffee trinken? Der Hund hat gerade unter den Wohnzimmertisch gekotzt, die Kinder wollen es nicht wegmachen und ich habe jetzt wirklich keine Lust dazu.“

      „Überhaupt nicht“, sage ich, strahle sie an und nehme sie in die Arme. „Im Gegenteil, Küche ist einfach perfekt!“

      Jutta Wilbertz studierte Diplomtheaterwissenschaft in Gießen und absolvierte zusätzlich eine Schauspiel- und Gesangsausbildung in Rom und Köln. Sie ist Autorin, schreibt Kurzkrimis und Chansons und tritt regelmäßig mit eigenem Bühnenprogramm auf. Sie lebt und überlebt mit Mann, Tochter und Hund in Köln. www.wilbertz-kunz.de · www.jutta-wilbertz.kulturserver-nrw.de

      Entscheiden oder Leiden.

       Vom Glück, immer eine Wahl zu haben

      Antje Balters

      Ich hab‘s gerne übersichtlich. Eine zu große Auswahl zu haben macht mich nervös, und vor allem kostet es mich unendlich viel Kraft und Zeit.

      Ich finde es schrecklich, in solche „Auswahlsituationen“ zu geraten.

      Wenn ich beispielsweise mit Leuten zum Italiener-Griechen-Inder ihres Vertrauens gehe, der 271 Gerichte auf der Karte hat, dann sind längst alle fertig mit dem Essen und wischen sich den Mund ab, während ich immer noch nicht weiß, ob ich lieber Lasagne oder Chicken-Curry essen soll, und schon ganz stolz bin, dass ich zumindest den Rest des Angebotes bereits verworfen habe.

      Auch immer wieder ein unlösbares Problem sind Prospekte großer Bekleidungshäuser, in denen es einen Pulli in fünf unterschiedlichen Varianten und acht Farben gibt: V-Ausschnitt, Rundhals, Rollkragen, U-Boot-Ausschnitt, Schalkragen (die acht Farben erspare ich Ihnen). Schon allein bei dem Anblick kapituliere ich.

      In Bezug auf Bekleidung weiß ich mir mittlerweile ganz gut zu helfen. Zum Klamottenkaufen gehe ich nicht in die großen Kaufhäuser, in denen alle angesagten und weniger angesagten Modelabels ihre eigene Ecke haben, sondern ich habe ein kleines Geschäft in der Kleinstadt in der Nähe entdeckt – zufällig, weil es neben der Praxis des Zahnarztes meines Vertrauens ist –, wo ich nicht zwischen 79 Hosen wählen muss, sondern nur zwischen drei infrage kommenden Modellen. Und die – oh Wunder – passen alle drei so gut, dass ich nicht einmal vor der Entscheidung stehe, ob sie nicht doch einen Tick zu groß bzw. zu klein ist.

      Wegen meines Entscheidungsproblems kaufe ich auch immer die gleichen Nudeln im Supermarkt, obwohl es vielleicht bessere oder günstigere gäbe ... aber dann müsste ich die 50 Sorten vergleichen, und das kostet mich einfach zu viel Zeit und zu viele Nerven.

      Ich gehöre auch nicht zu den Menschen, die sich Matratzen zum Probeschlafen nach Hause bringen lassen – obwohl das vielleicht vernünftig wäre bei einer so großen Anschaffung –, aber es ist mir einfach zu aufwendig! Und wenn ich die eine Matratze nach einer Woche Probeliegen vielleicht für nicht passend befinde, muss ich vielleicht auch noch eine zweite, dritte oder vierte probeliegen – und schon allein bei dem Gedanken an ein solches Unterfangen befällt mich eine bleierne Müdigkeit.

      Sie merken, worauf ich hinauswill.

      Es gibt aber auch noch eine andere Art von Entscheidungen, die ich sehr viel schwieriger finde – Entscheidungen, die mich und mein Leben betreffen und sich deshalb auch viel unmittelbarer auf meine Lebensqualität und –freude auswirken als diese rein „materiellen“ Dinge.

      Einige Beispiele:

      Ich habe eine Maximalanzahl von Veranstaltungen als Referentin, die ich pro Jahr annehme. Normalerweise gehe ich bei der Annahme solcher Termine rein chronologisch vor. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Irgendwann ist die letzte Veranstaltung gebucht und zugesagt, und drei Tage später kommt eine Anfrage, die für mich sehr verlockend ist: nette Ausrichter, viele Besucher, angenehme Koordinatoren und auch noch gutes Honorar. Soll ich noch Ja sagen oder nicht? Es ist eine Veranstaltung, die erst in etwas über einem Jahr im Herbst stattfinden soll. Jetzt ist es Sommer, ich bin gut erholt und ausgeruht und habe das Gefühl, viel Kraft zu haben. Aus Erfahrung weiß ich aber, dass nach einer Reihe von Terminen meine Kraft nachlässt und ich aufpassen muss, mich nicht selbst zu überfordern – was machen? Das ist für mich eine schwierige Entscheidung.

      Ein weiteres Beispiel:

      Tante Irmchen möchte uns besuchen. Tante Irmchen geht es nicht so gut. Sie hat eine längere Krankheit hinter sich und ist ein bisschen depressiv, sie ist sehr auf Ordnung und Sauberkeit bedacht und sagt gerne (auch ungefragt) ihre Meinung über alles und jeden. Tante Irmchen lebt allein und klagt über Einsamkeit. Ich möchte Tante Irmchen nicht zu Besuch haben – gerne mal für ein Wochenende, aber nicht für zwei Wochen. Ich würde mich verpflichtet fühlen, sie zu unterhalten, jeden Tag lecker zu kochen, ständig zu putzen und aufzuräumen und ihr als Seelentrösterin zur Verfügung zu stehen und auch für Besuch in unserem Haus zu sorgen. Dazu habe ich aber weder Zeit noch Kraft noch Lust.

      Aber ist meine Lust wirklich eine ausreichende Begründung, ihr abzusagen? Sollen wir nicht nett sein zu Senioren (schließlich werde ich auch in absehbarer Zeit eine solche sein, und nach Meinung meiner Kinder ist die verbleibende Zeitspanne gleich null)? Ist es da nicht mangelnde Nächstenliebe, wenn ich Tante Irmchen absage? Bin ich nicht eine Egoistin, wenn ich auf meine Kräfte und meine Arbeit verweise? Was ist, wenn Tante Irmchen in der Familie rumerzählt, dass ich sie nicht haben will, wo sie doch alt und krank ist und sich früher immer so rührend um mich gekümmert hat ...

      Ich weiß nicht, was ich Tante Irmchen auf ihre Anfrage antworten soll, und habe das Gefühl, die Wahl zwischen Pest und Cholera zu haben. Entweder Tante Irmchen denkt schlecht über mich (und sagt schlimmstenfalls auch noch weiter, was sie denkt), oder ich stelle mir selbst ein Bein, indem ich mich mit etwas überfordere, was ich zusätzlich zu meinen anderen mannigfaltigen Aufgaben einfach nicht bewältigen kann. Ich habe die Wahl – na toll!

      Es gibt solche Entscheidungen auch in Bezug auf unsere Gesundheit: Soll ich mir ein künstliches Hüftgelenk einsetzen lassen und Schmerzen sowie eine lange Genesungszeit in Kauf nehmen? Ohne Garantie, dass ich hinterher wieder herumspringen kann wie ein junges Reh? Oder geht es auch noch eine Weile so, mit Schmerzen, Bewegungseinschränkung und Angewiesensein auf Schmerzmedikamente? Wieder die Wahl zwischen Pest oder Cholera: entweder Schmerzen, lange Zeit der Genesung, eventuelle Komplikationen oder weiter mit den Schmerzen leben – auch ganz toll.

      Oder noch eine nicht selten vorkommende Situation: Die Eltern werden gebrechlich und können nicht mehr allein leben. Ich weiß, dass es die eigene Familie belasten wird, wenn sie zu uns ziehen – aber kann man so etwas wirklich aussprechen? Soll man nicht Vater und Mutter (und auch Schwiegervater und Schwiegermutter) ehren? Haben sie nicht ein Recht auf unsere Versorgung? Wenn ich Nein sage zu dem Plan, bin ich die böse, hartherzige Tochter/Schwiegertochter, sage ich Ja, setze ich meine Ehe und den Familienfrieden aufs Spiel.

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