Prinzip, das in unseren Patienten arbeitet; und wir können als Behandlerinnen und Behandler unsere Wahrnehmung entwickeln und beobachten, wie es in den Geweben der Patienten arbeitet.
Bislang habe ich mich auf das Funktionieren der Tide im Körper bezogen und auf die vielen Fulkren, die in der Körperphysiologie arbeiten. Nun ist es an der Zeit, über etwas anderes zu sprechen, was uns Dr. Sutherland mit auf den Weg gab, um unser Verständnis zu vertiefen. Das ist die Stille der Tide – nicht das Auf-und-ab-Fluktuieren ihrer Wellen, sondern die Stille, die man am Fulkrum-Punkt innerhalb der Tide findet. Es gibt eine Potency innerhalb dieser Stille. Der Begriff Stille verwirrt beim Versuch, diese Art der Arbeit zu verstehen, möglicherweise unser Denken. Wie kann es eine Potency oder Kraft oder Energie in der Stille geben? Dr. Sutherland beschrieb das bildhaft: Wenn man auf ein Glas Wasser eine Vibration überträgt, kann man beobachten, wie sich im Zentrum der Wasseroberfläche ein Stillpunkt bildet. Er wies darauf hin, dass dies ein Fulkrum-Punkt innerhalb des Wasserglases sei, und verglich ihn mit dem Fulkrum-Punkt, den wir erreichen, wenn wir die Fluktuation des Liquor cerebrospinalis bei der Kompression des vierten Ventrikels (oder jeder anderen Technik zum Steuern der Tide) zu ihrem Stillpunkt herunterbringen. „Es ist die Stille der Tide, die wir suchen“, pflegte er zu sagen, denn in dieser Stille liegt die Potency der Tide.
Diejenigen von uns, die das Glück hatten dabei zu sein, wenn er über dieses Thema sprach, konnten miterleben, wie der gesamte Unterrichtsraum spürbar still wurde. Dr. Sutherland machte uns darauf aufmerksam und erwähnte, dass dies häufig geschehe, wenn über die Potency in der Tide gesprochen werde. Und es geschah völlig spontan, war nicht geplant oder vorgesehen. Alle Anwesenden konnten die Stille spüren, und er bemerkte: „Können Sie die Veränderung in der Tide spüren?“ Dies geschah für einen Moment, dann war es vorbei. Wir sprechen also über etwas, was in einem vitalen Mechanismus geschieht, in einer Zeitspanne, wenn alle für dieses Geschehen erforderlichen Faktoren richtig abgestimmt sind. Ist in dieser Stille Leblosigkeit, ein Fehlen von Vitalität? Nein. Es ist etwas Lebendiges, birgt Kraft und Potency. Es kann nicht erklärt werden, denn mir fehlen die Worte, es zu beschreiben. Aber es tritt in Erscheinung und es tut gut.
Bestimmt hat es Zeiten gegeben, wo dies auch in Ihrer Praxis geschehen ist, während Sie einen Patienten behandelt haben. Sie werden sich plötzlich bewusst, dass der gesamte Raum in dem Sie arbeiten, in eine Pause oder Ruhezeit zu kommen scheint – und etwas ist anwesend: eine Stille, die jenseits von allem ist, was Sie sich selbst oder dem Patienten erklären können. Es ist ein Gefühl, Ihrem Schöpfer nahe zu sein. Dazu Punkt befragt, sagte Dr. Sutherland: „Wir wissen, es gibt eine Potency. Wir müssen nicht unbedingt wissen, woher sie kommt oder wohin sie geht.“
Die Natur gibt uns viele Beispiele für die Potency und die Kraft in der Stille ihres Funktionierens. Das Auge eines Hurrikans ist ein unglaubliches Zentrum von Stille, und zwar einer sehr potenten Stille. Ebenso ist es ein frei schwebender, automatisch sich verändernder Fulkrum-Bereich, der sich über den Ozean bewegt. Die Winde, die über die Erdoberfläche blasen, können nicht überall gleichzeitig wehen. Es muss einen Stillpunkt geben. Die Achse eines Rades muss einen stillen Punkt haben, um den das Rad sich dreht. So könnte man weiter und weiter Beispiele finden. Sind diese Beispiele lebendige Systeme in der Natur? So werden sie von uns nicht eingeordnet. Aber in der Körperphysiologie biologischer Systemen, stoßen wir auf Prinzipien und „[…] keine menschliche Hand hat ihre Gesetze geformt“6, und wir finden, dass die Stille der Tide in den Funktionsabläufen des Körpers Kraft und Potency in sich birgt. Wir haben es nicht mit einem statischen Mechanismus zu tun, bei dem wir sagen, wir sind still, wenn wir hier in unseren Stühlen sitzen. Unsere Körper sind ein dynamischer Energiefluss, der vom Moment der Empfängnis an das ganze Leben hindurch funktioniert, und innerhalb dieser Energiefelder gibt es Momente der Stille, zeitliche Fulkrum-Punkte für verschiedene physiologische Bedürfnisse – und all dies zentriert mit der Potency der Stille als der bewegenden Kraft für die darauf folgende Handlung. Wir müssen den Mechanismus dieser Stille begreifen und beim Behandeln unserer Patienten nutzen. Es ist nicht notwendig, dass wir vollständig verstehen, was sie ist oder woher sie kommt oder wohin sie geht, nachdem sie uns in diesem Moment von Nutzen war – die Stille der Tide in der Körperphysiologie.
Bis jetzt habe ich über Funktion, das frei schwebende, automatisch sich verändernde Fulkrum und die Tide, die Stille und die Potency gesprochen, die innerhalb all dieser Facetten in der Körperphysiologie agieren. Es scheint, als ob ich versuche, eine theologische Hypothese zu entwickeln, um dieses Art Arbeit zu erklären. Das ist allerdings nicht der Fall. Ich versuche lediglich, Ihnen zu zeigen, dass der Schöpfer des menschlichen Körpers und seiner Mechanismen mehr als ein passiver Begriff ist, von dem wir nur sprechen, ohne an ihn zu glauben und ihn zu nutzen. Zur Wissenschaft der Osteopathie gehört das tägliche, aktive Nutzen des Schöpfers. Osteopathie ist eine erworbene Kunst, nicht nur eine Wissenschaft; und ich mag das Zitat, das ich irgendwo gelesen habe: „Sei in Frieden mit Gott, wer und was auch immer Er deiner Meinung nach ist. Und was auch immer Deine Wünsche und Sehnsüchte in dieser lärmenden Verwirrung des Lebens sein mögen: ‚Sei im Einklang mit Deiner Seele.‘“ Daher brauchen wir in unserer täglichen Praxisarbeit Werkzeuge zum Verstehen und Nutzen eines Spirituellen Fulkrums.
Was gehört zu diesen Werkzeugen? Erstens muss ein Behandler meiner Meinung nach eine objektive Wahrnehmung entwickeln. Er sollte die Anatomie, Physiologie und Pathologie kennen und all die integrierten, untereinander und mit sich selbst in Beziehung stehenden Funktionsabläufe, die zwischen all diesen Elementen der Körperphysiologie stattfinden. Er muss fähig sein, diagnostische und prognostische Erkenntnis zu evaluieren und zu bestimmen, angefangen vom ersten Untersuchen des Patienten bis zu dessen Entlassung aus der Behandlung. Er sollte in der Lage sein, bei jedem Patienten die Veränderungen, die die Nutzung der Potency im Gewebe bewirkt, mit dem objektiven Fortschritt in Richtung Normalität und wiederhergestellter Kompensation in Zusammenhang zu bringen. Und er sollte sich beim Festlegen der Vorgehensweise in jedem einzelnen Behandlungsfall von den objektiven Befunden leiten lassen.
Zweitens sollte der Behandler eine subjektive Wahrnehmung des Potenzials haben, das in der Anwendung der hier beschriebenen Heilungsprinzipien liegt. Und er sollte spüren können, wie hoch die Chance ist, den pathologischen Befund beim Patienten umzudrehen, und inwieweit eine Erholung innerhalb der Gewebeeinheiten möglich ist. Er hat mit dem subjektiven Phänomen des Lebens selbst zu tun und nimmt an den im Patienten sich vollziehenden subjektiven Veränderungen teil, indem er versucht, sie zu evaluieren. Er muss die anatomisch-physiologischen Erfordernisse für jedes Patienten-Problem erkennen und subjektiv mit ihnen arbeiten, während er zusätzlich objektiv den Fortschritt beobachtet.
Drittens sollte der Behandler denkende, sehende, fühlende, wissende Finger entwickeln, die buchstäblich den von Moment zu Moment stattfindenden Veränderungen folgen können, die innerhalb der eingeschränkten Gewebe geschehen, während diese mit dem Meisterlichen Architekten arbeiten, um ihr normales bzw. neu kompensiertes Muster der Gesundheit wiederherzustellen. Dieses kundige Berühren ist nicht einfach zu erlernen. Es braucht Monate und Jahre der Geduld und Arbeit an Patienten, bis dies zu einem brauchbaren, effizienten Werkzeug für Diagnose und Behandlung wird. Jeder Patient ist eine Herausforderung, diese Fähigkeiten weiter zu verbessern. Es gibt keinen Zeitpunkt, zu dem ein Behandler sagen könnte: „Jetzt weiß ich alles, was es über dieses spezielle Problem zu wissen gibt.“ Schon der nächste Besuch des Patienten eröffnet Neues.
Natürlich gibt es noch viele andere Faktoren, die man hier diskutieren könnte, aber diese drei sind die Hauptpunkte, wenn der Behandler lernen will, sowohl beim Diagnostizieren als auch beim Behandeln mit den heilenden Prinzipien des Höchsten Bekannten Elementes zu arbeiten. Zusätzlich zu diesen drei Punkten sollte sich der Behandler jedoch immer, wenn ein Patient seine Dienste in Anspruch nimmt, eines ganz bewusst machen: die objektive, subjektive und wissende Wahrnehmung der Potency in ihm selbst, in seinen sich entwickelnden, wissenden Fingern und