hat: „Wir haben für Sie alles getan, was möglich ist. Sie werden lernen müssen, mit diesem Problem zu leben.“ Ein hoher Prozentsatz dieser zahlreichen Menschen kann aber zu einem sehr viel höheren Maß an Gesundheit geführt werden, als ihnen in ihrem jetzigen Zustand zur Verfügung steht. Solche Patienten, denen man helfen kann, liegen mir am Herzen. Damit sie weiterkommen, brauchen sie die Hilfe von Osteopathen mit Fähigkeiten in den besagten Bereichen. Zurzeit gibt es in Amerika aber lediglich eine Handvoll Osteopathen, die sich Worte und Werk von Dr. Sutherland – das ganzheitliche Konzept der Osteopathie also – zu Herzen genommen haben und versuchen, diese Art von Behandler zu werden.
Ich möchte noch einen weiteren Punkt betonen, der bislang noch nicht erwähnt wurde: Der Osteopath, der diese Art von Praxis auf baut, wird gleichzeitig ein Forscher werden. Genauso wie Dr. Sutherland viele lange Jahre damit verbrachte, die Wahrheiten zu erfassen, die er sich durch Untersuchungen an sich selbst und durch Beobachten seiner Patienten erarbeitete, wird jeder Behandler Wege des Forschens und Studierens entdecken, die in der heutigen Fachliteratur nirgendwo zu finden sind. Die Autorität zum Lösen vieler Probleme wird sich in der komplexen Physiologie des Körpers eines jeden Patienten zeigen und in dem wachen Offensein des Behandlers für die Möglichkeit, aus diesen Problemen zu lernen. Das Werk und die Wegweiser, die Dr. Sutherland uns gab, sind lediglich der Anfang weitergehender Erkenntnisse, die das bestehende Wissen ergänzen und wiederum neue Wahrheiten hervorbringen werden. Diese gilt es dann zu testen und wieder zu testen, bis sie von uns allen genutzt werden können.
Ein junger Patient von mir, Studienanfänger an einem unserer Colleges, hat seiner Mutter erzählt, dass er nun plane, seinen DO zu machen, dann nach Dallas zurückzukehren, um dort unter meiner Anleitung weiter zu studieren, bis er in Besitz der Prinzipien sei und der Möglichkeit, sie in seiner eigenen Praxis umzusetzen – und dass er vorhabe, es noch besser zu machen als ich. Seine Mutter bemerkte, dass dies wohl etwas unbescheiden sei. Ich aber antwortete, dass er dazu sehr wohl in der Lage sein müsste, dass ihm meine Erfahrungen die Zeit verkürzen werden, die er zum Erlernen der Fähigkeiten benötigt, mit denen er die gleichen Resultate erzielt wie ich, und dass er sozusagen auf meinen Schultern stehend ein besserer Osteopath als ich werden sollte. Ich applaudiere seiner Einstellung. Und ich denke, es ist höchste Zeit, dass wir alle auf Dr. Sutherlands Schultern stehen, indem wir erstens in seiner Arbeit so fähig werden, wie er es war, und indem wir zweitens dieses Können und Verstehen einsetzen, um sein Werk und das von Dr. A. T. Still voranzutreiben. Dies ist unsere Rolle als Forscher und Behandler in der Wissenschaft der Osteopathie. Es war Dr. Sutherlands Wunsch, dass dem so sei. Sind wir bereit, diese Herausforderung anzunehmen?
„In der Stille liegt das Wissen.“ „Sie kommen zurück zur: Ursache.“ „Der Atem des Lebens ist das fundamentale Prinzip in der Wissenschaft der Osteopathie.“ Diese Gedanken hinterließ uns Dr. Sutherland in seinem Vermächtnis an die Wissenschaft der Osteopathie. Ich würde gerne abschließend einen Brief zitieren, den er mir vor vielen Jahren als Antwort auf ein Schreiben geschickt hat, in dem ich mich auf bestimmte Aspekte der Osteopathie im kranialen Bereich bezog. Seine Antwort schließt jedoch die gesamte Körperphysiologie in der Wissenschaft der Osteopathie ein. Ich zitiere ihn hier wörtlich:
„Mir näher als mein Atem ist der Schöpfer des Kranialen Mechanismus … Dem Patienten näher ist der Schöpfer seines oder ihres Kranialen Mechanismus …7 Meine denkenden, fühlenden, sehenden, wissenden Finger werden auf Intelligente Art und Weise vom Meisterlichen Mechaniker geführt, der diesen Mechanismus erschuf. Es ist nicht wichtig, wie man interpretiert, solange man mental Kontakt zur Oberleitung hat wie eine Straßenbahn.“
Lassen Sie mich das wiederholen: „Es ist nicht wichtig, wie man interpretiert, solange man mental Kontakt zur Oberleitung hat wie eine Straßenbahn.“
2. DEN MECHANISMUS VERSTEHEN
2.1. DER UNWILLKÜRLICHE MECHANISMUS
Überarbeitete Auszüge aus Vorlesungen, gehalten 1976 während eines Grundkurses der Sutherland Cranial Teaching Foundation in Milwaukee, Wisconsin.
Wir wollen über das Wesen des primären respiratorischen Mechanismus sprechen, der eine einfache, grundlegende, primäre rhythmische Funktionseinheit darstellt. Er ist ganz und gar unwillkürlich, umfasst die gesamte Anatomie und Physiologie und kann von einem ausgebildeten Behandler in jedem Körperbereich palpiert werden. Ebenso wie er das Indiz für Gesundheit innerhalb der gesamten Körperphysiologie liefert, weist er auch auf eine Verringerung der Gesundheit in jedem Dysfunktionsgebiet hin. Man kann ihn für Diagnose und Behandlung gleichermaßen als Werkzeug nutzen. Der Primäre Respiratorische Mechanismus ist eine Manifestation des Lebens im Patienten und der Behandler kann bei seinem Dienst, Gesundheit im Patienten wiederherzustellen, seine Hilfe in Anspruch nehmen.
Er ist und bleibt eine Funktionseinheit, dieser Primäre Respiratorische Mechanismus, auch wenn er zu Unterrichtszwecken in fünf Komponenten aufgeteilt wurde, von denen also jeder einen Teil dieser einfachen, rhythmischen, primären Funktionseinheit innerhalb der Körperphysiologie bildet. Ihr seht, dass ich nicht einfach gesagt habe: ‚Innerhalb des Primären Atemmechanismus‘ , sondern ‚innerhalb der Körperphysiologie‘ . Die gesamte Einheit hat diesen Faktor. Alles folgt den Gesetzen von Flexion/Außenrotation und Extension/Innenrotation des anatomisch-physiologischen Mechanismus. Wir sind vollständig abhängig von diesem simplen, rhythmischen, mobilen, motilen Fluid-Drive-Mechanismus.
Der gesamte Körper besitzt einen unwillkürlichen Mechanismus. Auch wenn euer Psoasmuskel krank ist, ist er dazu bestimmt, in Außen- und Innenrotation zu gehen. Euer Fuß ist so gestaltet, dass er zehn- bis zwölfmal pro Minute in Außen- und Innenrotation geht – nicht aufgrund des Primär Respiratorischen Mechanismus, sondern weil der Primäre Respiratorische Mechanismus nur auf diese Weise funktionieren kann. Deshalb müssen wir seine Regeln und Gesetze lernen.
Lasst mich euch einen Text vorlesen, in dem es um das geht, was ich hier ausdrücken möchte. Er stammt aus einem Buch mit Essays des amerikanischen Anthropologen Loren Eiseley. Wenn ihr Loren Eiseley noch nicht gelesen habt, solltet ihr das tun – vor allem, wenn ihr lernen wollt, wie man palpiert. Durch seine Bücher taucht man in seine Erfahrung als Fossiliensucher ein. Mit ihm reist ihr in der Zeit zurück und habt teil an dem, was er so lebendig beschreibt. Man kann es förmlich ertasten und gleichzeitig mit dem ganzen Sein wahrnehmen. Für mich war es sehr nützlich. Das Zitat lautet folgendermaßen:
„Stell dir für einen Moment vor, dass du aus dem Kelch eines Zauberers getrunken hast. Du drehst den unumkehrbaren Strom der Zeit um. Gehst die lange dunkle Treppe hinunter, aus der das Menschengeschlecht emporgestiegen ist. Bist schließlich auf der untersten Stufe der Zeit, gleitest, rutschst und wälzt dich mit Schuppen und Finnen hinunter in den Schleim und Modder, aus dem du hervorgekrochen kamst. Kommst unter Grunzen und stimmlosem Zischen unter den letzten baumhohen Farnen vorbei. Treibst ohne Augen und Ohren im ursprünglichen Wasser – Sonnenlicht kannst du nicht sehen. Du streckst absorbierende Tentakel hin zu verschwommenen Geschmäckern, die im Wasser zu finden sind. Doch in deinem formlosen Sichverschieben bleibt der Anblick der gleiche. Sich ständig verschiebende Teilchen, Säfte, Transformationen arbeiten in einem exquisit gestalteten Rhythmus, der kein anderes Ziel hat, als dich am Leben zu erhalten – dich, dieses amöbenhafte Wesen, dessen Substanz die unergründliche Zukunft in sich trägt. Dennoch kommt jeder Mensch aus den Geburtswassern nach oben. Doch sollte sich in irgendeinem Moment der Zauberer über dich beugen und rufen: ‚Sprich, erzähle uns von der Reise‘ , könntest du nicht antworten. Deine Empfindungen gehören dir, nicht aber, und das ist eines der großen Geheimnisse, die Macht über den Körper. Du bist außerstande zu beschreiben, wie der Körper in seiner Beschaffenheit funktioniert, dir das wilde Drehen der tanzenden Moleküle vorzustellen oder es zu steuern oder zu wissen, warum sie in diesem besonderen Muster tanzen, dass dich ausmacht, oder warum sie auf dieser langen Treppe der Ewigkeiten von einer Form in die nächste tanzen. Aus diesem Grund interessiere ich mich nicht mehr für die allerkleinsten Teilchen. Man kann ihnen nach Belieben folgen, sie verfolgen, bis sie namenlos werden,