William Garner Sutherland

Das große Sutherland-Kompendium


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tun. Während der Kopf des Patienten in Ihren Händen ruht, bewegen sich die Ossa temporalia nur deshalb, weil sie sich in Ihrem Griff wiegen und der Patient atmet. Sie gebrauchen Ihre Bewegungskraft nur für Ihre Hände, nicht für den Kopf des Patienten. Ihre Hände bewegen sich in ganz geringer Auslenkung um das Fulkrum Ihrer gekreuzten Finger. Darum wird dies eine palliative Anwendung genannt.

      Wir bekommen die gleiche physiologische Antwort wie die, welche auftritt, wenn Sie den vierten Ventrikel komprimieren. Dies geschieht, wenn Sie die Squama occipitalis, das Supraocciput, nach medial federn lassen und es so halten, dass sich die Gestalt der Fossa cranii posterior verändert. Diese Veränderung senkt das Cerebellum auf das Dach des vierten Ventrikels und hebt die Pons nach oben, sodass die Ventrikelgröße verkleinert wird. Da die Zerebrospinale Flüssigkeit nicht komprimiert werden kann, bewegt dieses Verfahren die Flüssigkeit; mit anderen Worten: Es verlagert sie.

      Ich möchte, dass Sie sich Gedanken darüber machen, was geschieht, wenn Sie diese Vorgehensweise zur Kontrolle der Fluktuation der Zerebrospinalen Flüssigkeit anwenden. Wenn jene kurze Periode vibriert, fühlen Sie dies als eine rhythmische Balance in der Flüssigkeit. Dies ist der Punkt der Veränderung. Es ist ein Zustand beinahe wie ein Film, der kurz angehalten wird. Aus diesem Grunde ist die Arbeit des Therapeuten beendet, sobald dieses Ziel erreicht ist. Nach dem Stillpunkt übernimmt der Körper des Patienten die Arbeit. Sie können möglicherweise beobachten, wie dies geschieht, aber Ihre Behandlung ist vorbei.

      Sie haben den Körper der Zerebrospinalen Flüssigkeit in einen Zustand gebracht, in dem er in seiner Gesamtheit – um das Gehirn herum, innerhalb des Gehirns, um das Rückenmark herum, innerhalb des Rückenmarks – einfach nur bebt oder vibriert. In dem Stillpunkt, der sich durch die Anwendung dieser Behandlungsmethoden einstellt, befindet sich der Motor im Leerlauf und es gibt einen Austausch zwischen allen Flüssigkeiten des Körpers.

      Von diesem Beben geht etwas aus; eine Veränderung oder eine Transmutation findet in der Flüssigkeit statt, ein unsichtbares Etwas. Es handelt sich nicht um ein Ausfließen über die Nerven, obwohl die Veränderung bis zu jenem Bereich fortschreitet, in dem die Enden des peripheren Nervensystems mit den Lymphgefäßen zusammenkommen. Die Veränderung durch Transmutation findet in den einzelnen Bestandteilen oder Elementen statt. Dies ist nicht das Gleiche wie eine Übertragung oder ein Ausströmen.

      Ich möchte, dass Sie jenes ‚höchste bekannte Element‘ im menschlichen Körper sehen, wie es ausstrahlt in der Transmutation, von der Nervenzelle, die Fasern entlang und bis zu den Nervenendigungen. Dann erfassen Sie möglicherweise deutlicher, was Dr. Still meinte, als er davon sprach, dass die Lymphe mehr von den Flüssigkeiten des Gehirns verbraucht als sämtliche Viszera.

       „Die Lymphgefäße sind eng und universell mit der Wirbelsäule und allen anderen Nerven verbunden. Sie alle trinken von den Wassern des Gehirns.“ 73

      Ich möchte noch einmal besonders betonen, dass ich die Fluktuation der Zerebrospinalen Flüssigkeit als das grundlegende Prinzip im Kranialen Konzept betrachte. Der ‚Saft des Baumes‘ ist etwas, das den ATEM DES LEBENS enthält, nicht den Atem der Luft – etwas Unsichtbares. Dr. Still bezeichnete es als eines der höchsten bekannten Elemente im menschlichen Körper, das sich von Zeit zu Zeit wieder auffüllt. Glauben Sie, dass wir jemals erfahren werden, woher es kommt? Wahrscheinlich nicht. Aber es ist da. Das ist alles, was wir wissen müssen.

      Wenn Sie das Lenken der Tide zur Korrektur und Behandlung verwenden, benutzen Sie den gleichen Prozess des Lenkens wie bei Ihrer Diagnosestellung. Sie lenken die Tide von jenem Bereich aus, der Ihrem zu untersuchenden Gebiet diagonal gegenüberliegt. Wenn Sie nichts anderes machen als die Tide zu lenken, wird sich mit der Zeit die Dysfunktion korrigieren.

      ***

      Hier ist noch etwas anderes, das Sie bei einer Behandlung tun können. Nehmen Sie beispielsweise das Os temporale und das Os occipitale; während Sie die Bewegung an der okzipitomastiodalen Gelenkverbindung visualisieren, drehen Sie das Os temporale äußerst sanft in eine Richtung und das Os occipitale in die andere. Halten Sie sanft diese Stellung, während Sie die Tide vom diagonal gegenüberliegenden Stirnbereich lenken. Sie werden unter Ihren sanften, fühlenden, sehenden, klugen, wissenden Fingern einige überraschende Erfahrungen machen. Sie werden es bei Ihrer Arbeit mit vielen unterschiedlichen Arten von Traumen zu tun haben. Deshalb betone ich bei der Diagnostik und den Behandlungstechniken so stark dieses Lenken der Potency in der Fluktuation der Zerebrospinalen Flüssigkeit.

      Sie müssen lernen, das durchzuführen, was ich eine Aktivierung oder Anregung der Fluktuation der Zerebrospinalen Flüssigkeit nenne. Dieses wohlüberlegte Verfahren ist nur im Notfall angebracht. Solche Situationen kommen nicht oft vor, aber wenn in solchen Fällen ein fähiger Osteopath anwesend war, hat diese Methode schon erfolgreich die physiologische Fluktuation der Zerebrospinalen Flüssigkeit innerhalb ihres natürlichen Hohlraums wieder in Gang gesetzt. Ich habe mehrere Berichte erhalten, die dies bestätigen. Die betreffende Behandlung wird durchgeführt, indem die Partes petrosae der Ossa temporalia in die gleiche Richtung, das heißt in Außenrotation, gedreht werden, während Sie das Os occipitale zur gleichen Zeit in Flexion bewegen. Dies ist ein schwieriges manuelles Unterfangen und in Notfällen besonders kompliziert. Es handelt sich um eine weitere Möglichkeit, das Tentorium cerebelli zur Kontrolle der Zerebrospinalen Flüssigkeit zu verwenden.

      Platzieren Sie die Daumen und die Daumenballen entlang der Procc. mastoidei der Ossa temporalia. Verschränken Sie die Finger locker unterhalb des Nackens.

      Die gekreuzten Finger dienen als Fulkrum für die Aktivität der Daumenballen und der Daumen. Drehen Sie dann beide Partes petrosae mithilfe der Daumen und der Daumenballen in Außenrotation, während Sie das Os occipitale mit den Handkanten in Flexion bewegen. Dies bringt die Schädelbasis in ihre Flexionsposition. Lassen Sie den Mechanismus für eine Zeit in den neutralen Zustand zurückgehen und wiederholen Sie dann die Induktion der Flexion.

      BEHANDLUNG DER OKZIPITOATLANTALEN GELENKE

      Im Falle eines ligamentären Strains am okzipitoatlantalen Gelenk wird eine reine Extension oder Flexion des Os occipitale auf dem Atlas keine Ergebnisse liefern. Das liegt daran, dass sich die Facettengelenke des Atlas bei Dysfunktionen normalerweise gemeinsam mit den Kondylen des Os occipitale nach vorne bewegen. Es ist notwendig, den Atlas zu halten, während sich das Os occipitale dreht – das heißt, die Schraube zu halten, während die Mutter gedreht wird. Eine Methode, welche die Gewebe zusammenführt, und zwar mit Gefühl, ist dem Versuch, sie auseinanderzuziehen, vorzuziehen.

      Sie werden die Kondylen nicht direkt ertasten können, denn wie beim Chirurgen mit seiner Sonde wird die Bewegung der Kondylen durch den geschulten Tastsinn erspürt. Die veränderte Beweglichkeit des Gelenks, wenn es sich wieder im Normalzustand befindet, ist besonders eindrucksvoll. Das Gewebe zu fühlen und wahrzunehmen, während man es bewegt, das ist als kunstvolle osteopathische Behandlungsweise bekannt, wenn man sie bei Fehlstellungen der Knochen anwendet.

      Dieses wichtige Gelenk ist ein ligamentärer Gelenkmechanismus, eine Diarthrose. Begreifen Sie, was an diesem Gelenk geschieht, während der Patient ein- und ausatmet. Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auch auf das Drehgelenk, das dabei ins Spiel kommt. Das Os occipitale bewegt sich auf dem Atlas, wenn wir mit dem Kopf nicken. Außerdem bewegen sich Os occipitale und Atlas auf dem Axis gemeinsam in einer weiten Rotation. Die atlantoaxialen Ligamente, die Membrana tectoria und die intraspinale Dura mater kommen alle mit ins Spiel.

      Es ist eine einfache Angelegenheit, Ihren Zeige- oder Mittelfinger unterhalb des Os occipitale in der Nähe des Opisthion zu platzieren, nicht auf dem Arcus des Atlas.

      Am besten beginnt man am Inion und folgt der Mittellinie auf dem Supraocciput in Richtung dieses Punktes auf dem posterioren Rand des Foramen magnum. Das ist so nahe, wie Sie dem Tuberculum posterior auf dem Arcus posterior des Atlas kommen können, ohne zu weit zu gehen. Bitten Sie dann den Patienten, mit dem Kopf leicht zu nicken, ohne dabei den Hals zu beugen, da es das okzipitoatlantale Gelenk ist, welches eine nickende Bewegung zulässt.

      Der einfache Teil dieser Technik besteht darin, den Atlas einfach nur zu halten, während das Tuberculum posterior