Dave Nocturn

Babylon


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      »Entschuldigung. Vielleicht hast du gelogen, vielleicht auch nicht. Aber das Risiko ist mir einfach zu hoch.«

      Sie durchsuchte den Schrank und förderte drei Dosen des Medikaments zutage. »Ein Wort zu irgendjemand, dann erzähle ich, du wolltest mich vergewaltigen und ich hätte mich nur gewehrt. Verstanden?«

      Peter nickte mit glasigen Augen.

      »Okay. Danke für das Spray, im Namen von Gabi.«

      Damit ging Sandra zurück zur Krankenstation.

      ***

      »Was sollen wir tun, Herr Karls?« Der junge Soldat sah mit deutlicher Angst im Gesicht zu seinem Offizier.

      »Außer beten? Stevens, ich habe keine Ahnung. Wir müssen das Tor irgendwie schließen.«

      »Aber wie?«

      »Schießt gefälligst so, dass die Biester schon vorher umfallen, sonst türmen sie sich in der Lücke auf und überrennen das Tor!«

      Und uns, dachte er.

      Stevens war bei dem gebrüllten Befehl zusammengezuckt. »Und wenn wir das Tor räumen?«, fragte er.

      »Räumen? Wie stellen Sie sich das vor?«

      »Indem wir den Iltis nehmen und in die Lücke stellen. Das Tor müsste kurz vorher ein Stück aufgefahren werden, damit der Wagen hindurchpasst.«

      Karls sah den Soldaten nachdenklich an. »Das könnte vielleicht sogar klappen. Wir müssten aber irgend etwas dranmontieren, damit der Wagen nicht über die unterste Schicht drüberschiebt.«

      »Ein Brett?«

      »Irgendetwas, Stevens. Lassen Sie sich was einfallen!«

      »Jawohl, Herr Hauptmann!«

      Karls ging zu der Schützenstellung, von der aus das Tor und die dagegen anrennenden Zombies unter Feuer genommen wurden. Das Stakkato der Gewehrschüsse und des MGs zertrümmerten immer mehr seine Ruhe und trieben die Gewissheit in sein Denken, dass sie einen aussichtslosen Kampf führten.

      »Wie viel Schuss habt ihr noch, Männer?«

      Seine geschriene Frage wurde mit einer knappen Geste auf die leeren Munitionskisten beantwortet, die sich hinter der Stellung stapelten. Eine einzige war noch in dem Schützennest verblieben.

      »Scheiße!«

      Karls rannte zurück zu dem Bereitstellungsraum, in dem der Rest seiner Truppe auf weitere Befehle wartete.

      »Sievers, Hansen, Sie nehmen den Unimog und fahren zu Munbunker 3. Holen Sie alles, was an Kleinteilen da ist. Wenn möglich, besorgen Sie mir einen Flammenwerfer. Und Panzerfäuste. Oder Mörser. Oder etwas anderes mit Wumms.«

      Die beiden Angesprochenen sahen sich an.

      »Jawohl«, sagte Sievers, und die beiden rannten zu dem Fahrzeug.

      »Wenn sie nicht bald mit Mun kommen, war es das, Hömmrich.«

      Hömmrich, langjähriger Zugführer unter Karls und sein engster Vertrauter, machte ein abfälliges Geräusch. »Wir sind doch jetzt schon am Arsch. Selbst wenn wir das Tor zukriegen, werden sie es irgendwann überklettern. Wir sollten von hier abhauen.«

      »Hömmrich, Mann, reißen Sie sich zusammen! Was reden Sie denn da?«

      »Hauptmann, wir sind totes Fleisch, wenn wir hierbleiben. Beziehungsweise werden wir totes Fleisch, das noch weiter herumläuft. Der Stützpunkt ist verloren, und Sie wissen das auch.«

      Karls sah ihn nachdenklich an. »Die anderen verlassen sich auf uns. Wenn wir nicht standhalten, was bleibt dann noch?«

      Hömmrich spuckte auf den Boden. »Asche, Herr Hauptmann. Die Asche unserer glorreichen Zivilisation.«

      ***

      Sandra eilte zu Gabi in die Sanitätsstation. Das Mädchen röchelte und lag schweißüberströmt auf einer der Liegen im Untersuchungszimmer. Sandra zog sie in eine sitzende Position und stützte sie.

      »Mir … geht es … gut. Das schreibt man g-u-t.«

      Sandra lächelte – beruhigend, wie sie hoffte.

      »Klar, Kleines. Hier ist es nur ein bisschen warm. Du, ich habe was für dich.«

      »Eine Überraschung?«

      Gabis fiebrige Augen begannen zu leuchten.

      »So etwas Ähnliches. Es ist ein Spray, das musst du einatmen, wenn ich es in deinen Mund sprühe. Jetzt schau nicht so misstrauisch. Es wird dir helfen.«

      Gabi schüttelte den Kopf.

      »Wirklich, Gabi. Das ist gutes Zeug.«

      »Nein.« Das Mädchen kniff die Lippen fest zusammen.

      Sandra seufzte. Warum verstand das Kind nicht, dass sie ihm helfen wollte?

      »Bitte! Mit ganz großem B.«

      Gabi schüttelte trotzig den Kopf.

      Sandra hätte vor Verzweiflung schreien können. Dann hatte Sie einen Einfall. Sie setze die Spraydose an ihren Mund.

      »Guck mal, ich nehme es auch«, quetschte sie um das Mundstück herum hervor. »Dann kann es doch nicht gefährlich sein, oder?«

      Gabi schaute immer noch skeptisch. »Du hast ja noch nichts davon genommen.«

      Sandra seufzte. Also gut. Sie schloss die Augen und drückte den Dosierer beherzt nach unten, während sie tief einatmete. Das Salbutamol schoss in ihre Kehle und strömte in ihre Lungen. Es schmeckte, wie der Inhalt einer vergessenen Sporttasche roch, und Sandras Bronchien schienen förmlich zu Gummi zu werden.

      »Siehst du? Alles gut«, krächzte sie mit Tränen in den Augen. Sie holte mehrmals tief Luft, und langsam beruhigte sich ihr Körper wieder.

      Sandra lächelte. »Und jetzt du.«

      Vorsichtig setzte sie Gabi das Mundstück an die Lippen, die diese immer noch fest verschlossen hielt. Nur sehr zögerlich öffnete sich der Mund, während das Mädchen krampfhaft durch die Nase Luft holte.

      »So ist es gut. Und nun tief einatmen, während ich sprühe.«

      Gabi tat ihr Bestes, so wenig es auch war.

      »Los, noch einmal!«

      Wie viel von dem Scheißzeug darf man eigentlich pro Anwendung geben?

      »So, das reicht erst einmal. Jetzt warten wir, ob es hilft. Leg dich mal wieder hin.«

      Erschöpft sank Gabi auf die Liege.

      »Was machen Sie da?«

      Der scharfe Ton ließ Sandra herumfahren.

      »Oh, Doktor, Sie sind es.«

      »Was Sie da machen, möchte ich wissen! Was haben Sie da?«

      Sandra gab ihm die Medikamentenflasche. Der Arzt las die Aufschrift und runzelte die Stirn.

      »Wo haben Sie das denn her? Das ist genau so ein Medikament, wie es die Kleine braucht.«

      »Ich habe es … gefunden.«

      »So, so, gefunden. Und gibt es dort noch mehr, wo Sie es gefunden haben?«

      »Nein, leider nicht.«

      »Na, dann heben Sie es gut auf, es könnte Gabi das Leben retten. Aber denken Sie daran, nach spätestens sechs Monaten ist eine angebrochene Packung nutzlos. Das Mittel zersetzt sich und wird dann zu einem giftigen Cocktail, den man besser nicht in die Lungen bekommen sollte.«

      Sandra nickte. Das Medikament machte ihr zu schaffen. Leichter Schwindel befiel sie, und sie wünschte sich, der Arzt würde gehen. Ein tiefer Atemzug, der aus Richtung der Liege kam, auf der Gabi lag, lenkte sie ab.

      »Gabi?«, fragte Sandra.